Wer tippt bei der Frage nach der deutschen IoT-Hochburg Deutschlands auf der Landkarte sofort auf Sachsen? Hand aufs Herz: Bei den meisten landet der Finger eher im Schwäbischen. Wer für seine digitale IoT-Bildungsreise schon ein Ticket in Richtung Baden-Württemberg gebucht hat, sollte das allerdings umbuchen: Die Smart-Systems-Musik spielt in Dresden, und das immer lauter. Michael Kaiser, CEO des Smart Systems Hub, berichtet im Interview, was am Standort alles passiert.
Sachsen hat sich zu einem echten Digital-Zentrum in Deutschland entwickelt. Mit dem Netzwerk Silicon Saxony gibt es ein bekanntes Mikroelektronik- und IT-Cluster. Der vom Bundeswirtschaftsministerium und Bitkom geförderte Digital Hub Smart Systems führt die verschiedenen Know-how-Gebiete zusammen und ist unter anderem spezialisiert auf Sensoren, Elektronik, Funkmodule und andere technische Bauteile für das Internet der Dinge (IoT).
Michael Kaiser, was macht Dresden so attraktiv als Standort für die Entwicklung einer intelligenten Industrie?
Michael Kaiser: Erfolg in der Technologie braucht Forschung und Industrie vereint! Dresden ist der größte Halbleiterstandort Europas, hat eine große Anzahl exzellenter Forschungseinrichtungen wie beispielsweise die Exzellenzuniversität TU Dresden und die im deutschlandweiten Vergleich größte Zahl an Fraunhofer-Einrichtungen an einem Ort. Darüber hinaus befinden sich hier räumlich geballt alle für IoT wichtigen Technologiekernbausteine, nämlich Software, Hardware, und Konnektivität. Und, was nicht alle wissen: Dresden ist die Geburtsstätte von 5G.
Dazu kommt eine wachsende Gründerszene mit mehr als 30 Hightech-Start-ups im Bereich smarter Systeme. Für die von diesen Firmen entwickelten Anwendungen gibt es wiederum reichlich Abnehmer durch einen starken Mittelstand, der die komplette Wertschöpfungskette abdeckt. Alles gute Gründe, genau hier einen IoT-Hub zu etablieren.
Michael Kaiser ist Geschäftsführer der Smart Systems Hub GmbH und leidenschaftlicher Netzwerker. Er begleitet seit Jahren erfolgreich Digitalisierungsprojekte und ist davon überzeugt, dass Kooperation im Innovationsprozess der Schlüssel zum Erfolg ist.
Was passiert in dem Hub konkret?
Michael Kaiser: Eine Menge: Zentraler Baustein ist die Co-Innovation: Im Fokus steht, dass wir die verschiedenen Know-how-Träger zusammenbringen, damit diese unter optimalen Bedingungen intelligente Systeme entwickeln. Innovation braucht Kooperation. Doch mindestens genauso wichtig ist Geschwindigkeit. Deshalb haben wir spezielle Formate für einen beschleunigten Go to Market geschaffen. Vollblut-Programmierer entwickeln beim Thin[gk]athon® in nur vier Tagen Lösungen für konkrete IoT-Aufgaben unserer Unternehmenskunden. Im Rahmen der „Digital Product Factory“ erhalten Unternehmen nach nur drei Monaten eine 80-Prozent-Lösung in Form eines ersten anwendbaren Produktes. Aktuell arbeitet die Ideenfabrik an Entwicklungen zusammen mit Infineon und T-Systems. Bei einem Vorhaben geht es zum Beispiel um Anwendungsgebiete für den 60-GHz Radar von Infineon.
Eine weitere Aufgabe des Hubs ist die Digitalisierungsberatung: Wir helfen Start-ups und etablierten Unternehmen bei der Entwicklung und Einführung neuer, digitaler Geschäftsmodelle. Dazu kommt der Baustein Innovationsmanagement: Wir moderieren Innovationsprozesse. Konkret nehmen wir den Gründern Arbeit ab und schaffen (Frei-)Räume, damit diese schnell und ergebnisorientiert Innovationen zur entwickeln und vermarkten.
Einen großen Mehrwert bietet zudem der Zugang zu Referenzlösungen, beispielsweise mit unserem Format #HUBTRAILS. Wer möchte, kann schnell auf etablierte Branchenlösungen aufbauen, beispielsweise aus den Bereichen Maschinenbau, Energie und Smart Building. Wir bieten somit Orientierung und Sicherheit im Technologiedschungel und geben eine Übersicht über skalierbare Systemlösungen, die auf die jeweiligen Bedürfnisse und Prozesse von Unternehmen zugeschnitten sind.
Dazu stellen wir die nötige Entwicklungsumgebung zur Verfügung. Vom Sensor bis zur Cloud erhalten Forscher und Start-ups hier Raum für die Verwirklichung ihrer IoT-Produktideen. Das Zusammenbringen der drei Bausteine Software, Hardware und Konnektivität ist der zentrale Faktor. Erst dieser Dreiklang ermöglicht beispielsweise eine digitale Lösung, die Haarrisse in Knochenbrüchen erkennt.
Mit den verschiedenen Formaten sorgt der Hub für einen Wissenstransfer: Zudem schulen wir Fach- und Führungskräfte im Unternehmen, und wir stellen Experten zur Verfügung. Denn um IoT-Lösungen erfolgreich zu etablieren, müssen Mitarbeiter und Führungskräfte oft mehrerer Führungsebenen inhaltlich eingebunden und fit gemacht werden.
Was zeichnet den Digital Hub Smart Systems besonders aus?
Die Know-how-Dichte: Wir verfügen über ein Netzwerk von 450 relevanten Partnern. Darunter befinden sich Schlüsselpartner wie Infineon, SAP, T-Systems und Global Foundries. Sie decken die Technologiekernbausteine Software, Hardware und Konnektivität ab. Darüber hinaus bieten wir 15 erfolgreiche IoT- und Innovationsformate sowie 20 Jahre IoT-Praxis durch das hier gebündelte Wissen.
Inhaltlich setzen wir auf Co-Innovation. Bei uns gibt es keine Digitalberatung im luftleeren Raum. Wir vernetzen Partner unternehmensübergreifend in Teams und entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Wer arbeitet hier mit wem an welchen Projekten zusammen?
Großunternehmen arbeiten mit dem Mittelstand und Start-ups sowie mit den Forschungseinrichtungen zusammen. Die Innovationsprozesse begleiten wir alle persönlich, sehr eng und individuell. Eine unserer Erfolgsgeschichten ist Wandelbots. Wir haben das Start-up mit SAP zusammengebracht, und nach nur einem Jahr demokratisiert die Firma den weltweiten Robotikmarkt und krempelt ihn ordentlich um.
Ein weiteres Hub-Gewächs ist GreenScore, entwickelt von itelligence und ENSO. Die Gesamtlösung für die Energiewirtschaft begann mit einem Thin[gk]athon® und wurde später mit unserer Unterstützung zur Marktreife gebracht. Mit GreenScore digitalisieren Energieversorger den Ableseprozess, und sie fördern die Nutzung lokal produzierter, erneuerbarer Energien. Nutzer der App sammeln zum Beispiel Punkte dafür, wenn sie ihre Waschmaschine so programmieren, dass sie läuft, sobald die Sonne scheint. Die gesammelten Punkte können eingelöst oder gespendet werden.
Wie unterscheiden sich die deutschen Digitalzentren vom Silicon Valley?
Ich würde sagen, hier wird Kooperation von Old und New Economy als Mehrwert gesehen und stärker gelebt als im Silicon Valley, wo sich Leuchtturmunternehmen wie Apple, Google oder Facebook doch stark den Ton angeben. Typisch für die deutsche Herangehensweise ist die intensive Zusammenarbeit und die Entwicklung von Systemlösungen. Das ist zwar ein wenig aus der Not heraus geboren, hat sich aber mittlerweile zu einem echten Markenkennzeichen und Standortvorteil entwickelt.
Michael Kaiser, vielen Dank für das Gespräch!
Über die Blogreihe
Die USA haben mit dem Silicon Valley ein großes digitales Zentrum, das alle anderen überstrahlt. Deutschland setzt auf mehre starke Cluster der digitalen Exzellenz, wie die Initiative Digital Hubs Germany vom Digitalverband Bitkom und dem Bundeswirtschaftsministerium zeigt. Wir stellen sie der Reihe nach im Blog Digitale Exzellenz vor.
Teil 1: New Work auf knarrenden Speicherböden (Logistics-Hub in Hamburg)
Teil 2: Gesunde Start-up-Luft schnuppern (Digital-Health-Hub in Nürnberg/Erlangen)
Teil 3: Vom Großatelier-Filmstudio zum globalen MediaTech-Standort (Mediatech-Hub in Potsdam)
Teil 4: K wie Karlsruhe, K wie Künstliche Intelligenz (AI-Hub in Karlsruhe)
Teil 5: Zu Besuch in Europas größtem IoT-Hub (Smart Systems Hub Dresden)
Teil 6: Digital-Reiseland Deutschland: Mit Start-ins zu mehr Innovationen (Digital Hub Logistic Dortmund)
Teil 7: Vom Banken-Viertel zur Fintech-Metropole (Fintech Hub Frankfurt)
Teil 8: Früher Knödel-Labor, heute Insurtech-Brutkasten (Insurtech Hub München und Köln)
Teil 9: Sectechs aus der Wissenschaftsstadt (Cybersecurity Hub Darmstadt)
Teil 10: Vom historischen Buchhandelszentrum zur Smart City (Smart Infrastructure Hub Leipzig)