Digitale Exzellenz
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Wie nachhaltig ist eigentlich… das Homeoffice?

, 28. Juni 2023

Fotocredit: Getty Images

Lesezeit: 9 Minuten

Wie nachhaltig ist eigentlich… das Homeoffice?

Viele Beschäftigte lieben Homeoffice. Arbeitgeber messen im Durchschnitt Auslastungsquoten ihrer Büros von 40 Prozent, zeigt eine aktuelle Studie. Aber abgesehen von der Frage, ob remote arbeiten betriebs- und personalwirtschaftlich sinnvoll ist – wie nachhaltig ist es für Unternehmen eigentlich, wenn ihre Mitarbeitenden im Homeoffice arbeiten? Wir wagen eine Analyse.

Wie immer, wenn man ein Thema aus der Sicht der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UNO betrachtet, stößt man auf eine komplexe Mischung unterschiedlicher Faktoren. Wir versuchen einmal mehr, das zu sortieren.

Das „E“ im Homeoffice: Ist zuhause arbeiten gut für die Umwelt?

Das „E“ in den ESG-Kriterien der UNO steht für „Environment“, also die Umwelt und ihren Schutz. Um zu bewerten, ob das Arbeiten im heimischen Büro besser für die Umwelt ist als das Arbeiten im Firmenbüro, sollte man ein paar Zahlen vergleichen.

Das Freiburger Öko-Institut hat dafür im vergangenen Jahr eine Rechnung aufgemacht und dabei angenommen, dass bis zu 70 Prozent der Berufspendler während der Pandemie zum Arbeiten zuhause geblieben sind. Deshalb, so das Institut, seien allein 2021 rund 38 Milliarden Pkw-Kilometer nicht gefahren worden. Bei Emissionen von rund 200 Gramm CO2 pro Autokilometer bedeutet das allein eine Ersparnis von rund acht Millionen Tonnen CO2.

Um das einzuordnen: Dem Umweltbundesamt (UBA) zufolge hat der gesamte Straßenverkehrssektor inklusive Pkw, Lkw, Bussen und Motorrädern in Deutschland im Jahr 2019 etwa 118 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) erzeugt. Das entspricht rund 15 Prozent der Gesamtmenge von etwa 760 Millionen Tonnen. Die Ersparnis durch das Zuhause bleiben der Pendler macht demnach gemessen an der Gesamtmenge nur ein Prozent aus. Aber selbst, wenn 80 Prozent der Menschen ins Büro zurückkehren und nur 20 Prozent weiter zu Hause arbeiten, argumentiert das Ökoinstitut, könnten pro Jahr in Deutschland rund eine Million Tonnen Treibhausgase eingespart werden. Das entspricht immerhin dem CO2-Ausstoß von 370.000 Autos.

Das Freiburger Institut weist allerdings darauf hin, dass der sinkende CO2-Ausstoß allenfalls die eine Seite der Medaille ist. Denn das Homeoffice ist kein emissionsfreier Raum. Der Energie- und der Stromverbrauch zuhause steigen steil an. Denn wer nicht im Büro arbeitet, muss in der Heizperiode das Homeoffice warm bekommen und treibt so zunächst einmal die eigenen Kosten nach oben. Damit lässt sich der Aufwand für das Heizen nicht automatisch reduzieren, sondern allenfalls verlagern.

Für 2020 hatte das Vergleichsportal Verivox ausgerechnet, dass die Heizkosten nach 120 Tagen im Homeoffice durchschnittlich um vier Prozent gestiegen sind. Wenn in derselben Zeit die Unternehmensbüros weiterbeheizt wurden, dann sind diese vier Prozent zunächst einmal ein Mehraufwand mit negativer Klimabilanz, der auch dadurch nicht ausgeglichen werden kann, dass die die Mitarbeitenden zuhause sparsamer heizen.

Beim Stromverbrauch stellt sich die Frage anders: Weil wir im Homeoffice signifikant mehr Videokonferenzen abhalten, um mit Kolleginnen und Kollegen ebenso wie mit Kundinnen und Kunden in Kontakt zu bleiben, verbrauchen wir auch deutlich mehr Strom: „Eine Stunde Onlinekonferenz ohne Kamera produziert nur vier Gramm CO2, eine Stunde Videokonferenz dagegen bis zu 1.000 Gramm“, rechnet das Öko-Institut vor. Das aber geht nicht nur ins Geld, sondern verhagelt die Energiebilanz des Homeoffice nachhaltig: „Die Fachgemeinschaft für effiziente Energieanwendung e.V. (HEA) schätzt, dass sich beim Arbeiten im Homeoffice der Stromverbrauch für einen Ein-Personen-Haushalt um bis zu 20 Prozent erhöhen kann. Wenn zwei Personen eines Haushalts im Homeoffice arbeiten, können bis zu 30 Prozent mehr Strom verbraucht werden“, heißt es in einem Text von SWR Wissen.

Dennoch entsteht im Ökovergleich zwischen Homeoffice und Büro auch ein Plus: Unternehmen können ihren Stromverbrauch senken, ohne dass dieser Verbrauch im Homeoffice wieder anfällt – durch das Ausschalten von Licht, Druckern oder Kaffeemaschinen, die in vielen Firmen im Grunde durchlaufen. Je mehr Menschen zuhause arbeiten, desto eher können diese Verbraucher tatsächlich abgeschaltet werden.

Zwischenfazit: Auf dem Papier bleibt eine positive E-Bilanz des Homeoffice, die sich vor allem durch die Reduktion des CO2-Ausstoßes ergibt, weil Fahrten zwischen A und B wegfallen. Die Annahmen zum Stromverbrauch sind allerdings eher theoretisch zu betrachten. In der Praxis werden wir im Homeoffice nur selten unsere Kamera abschalten, weil dadurch Nähe verloren ginge. Ebenso wenig werden Unternehmen kaum Licht in den Büros sparen. Dafür müssten dauerhaft ganze Etagen leer sein, was in der Regel nicht der Fall ist. Für eine exakte Aussage müsste man somit Daten konkreter erheben und individuelle Vergleiche erstellen.

Das „S“ im Homeoffice: Wie trägt das Büro zuhause zum sozialen Wohl der Mitarbeitenden bei?

Das „S“ in den ESG-Kriterien ist relativ unpräzise definiert. Wer sich aber aktiv mit dem sozialen Wohl seiner Mitarbeitenden beschäftigt, liegt damit auf jeden Fall auch in diesem Sinne richtig. Aber was umfasst das soziale Wohl? Die Antwort darauf fällt gewohnt vielschichtig aus – abhängig von der konkreten Lebenslage und -situation der Beschäftigten. Junge Menschen haben andere Bedürfnisse als junge Eltern oder Mitarbeitende kurz vor der Rente. Menschen mit Behinderung benötigen vielleicht bestimmte Formen der direkten Unterstützung, während Mitarbeitende etwa mit Migrationshintergrund besondere Anstrengungen für ihre Integration in ein Unternehmen brauchen.

Für alle Gruppen und Individuen innerhalb eines Unternehmens kann das Homeoffice ein Mehr an Flexibilität bedeuten, das sie nutzen können, um ihre Lebensumstände stärker mit ihrem Job zu verzahnen. Flexibleres Arbeiten, über den Tag verteilt, das Kümmern um gesundheitliche und administrative Dinge oder schlicht den eigenen Haushalt – all das geht im Homeoffice besser als beim Arbeiten im Büro. Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Beruf und Familie – das sind Pluspunkte für die Arbeit im Homeoffice, die von niemandem ernsthaft in Abrede gestellt werden. Zudem kann Remote-Arbeit generell den Zugang zu Arbeit verbessern.

Für die persönliche Wellness mag es zudem zuträglich sein, den eigenen Homeoffice-Arbeitsplatz noch stärker an individuelle Vorlieben oder, noch wichtiger, an gesundheitliche Bedürfnisse anpassen zu können. Dazu tragen auch die Zeiten bei, die Mitarbeitende einsparen, weil sie nicht täglich hin- und herpendeln müssen – inklusive des fehlenden Stresses, der damit verbunden ist.

Unter dem Gesichtspunkt der sozialen Teilhabe gibt es aber auch Faktoren, die das Arbeiten im Homeoffice beeinträchtigen. Sofern der Arbeitgeber nicht die notwendige IT-Infrastruktur zur Verfügung stellt, kann es zu einem Standortnachteil führen, wenn keine gute Internetverbindung vorhanden und Arbeitswerkzeuge (Rechner, Monitor und Drucker) nicht auf dem neusten Stand sind. Im schlechtesten Fall sorgt das dafür, dass das Arbeiten zuhause weniger effizient ist als die Tätigkeit im Büro. Das muss nicht, kann aber im Extremfall die eigene Karriere behindern, weil Arbeitsergebnisse unter den schlechten Rahmenbedingungen leiden können.

Trotz Videokonferenzen und sozialer Netzwerke findet das Arbeiten im Homeoffice relativ isoliert statt: Anlasslose Gespräche, der kreative Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, das wichtige persönliche Netzwerken finden unter deutlich erschwerten Bedingungen statt und lassen sich selbst durch moderne Kommunikations- und Kollaborationstools nicht ohne weiteres substituieren.

Zwischenfazit: Die sozialen Begleiterscheinungen des Homeoffice sollten nicht unterschätzt werden, lassen sich aber handhaben. Arbeitgeber sind gefordert, hier durch angepasste Führungsstrategien gegenzusteuern. Das ist nach drei Jahren intensiver Homeoffice-Erfahrung eine der vorrangigen Managementaufgaben und sollte Teil jeder New-Work-Strategie sein.

Das „G“ im Homeoffice: Was müssen Unternehmen beachten?

„G“ wie „Governance“ – das steht für die Regelungsaufgaben, vor denen Unternehmen stehen, die das Arbeiten im Homeoffice nicht nur als Übergangsmöglichkeit sehen, sondern dauerhaft etablieren wollen. Das umfasst Aufgaben in der IT-Sicherheit ebenso wie im Management von Arbeitsabläufen.

Die Arbeit im Homeoffice oder – allgemeiner – mobiles Arbeiten außerhalb klassischer Büros, sofern die Mitarbeitenden dabei nicht ausschließlich mit Firmengeräten arbeiten, stellt Unternehmen vor die Aufgabe, die Sicherheit dieser Geräte und Verbindungen zu Firmennetzwerken sowie den Schutz unternehmenskritischer Dokumente zu gewährleisten. Setzen die Mitarbeitenden private Geräte ein, dann wächst die Zahl der zu administrierenden Geräte unter Umständen exponentiell an. Das stellt die IT-Abteilung nicht unbedingt vor qualitativ neue Probleme, möglicherweise aber vor die Aufgabe, die Zahl der Verwaltungsentitäten quantitativ zu erhöhen und das Netzwerk um die neuen Endpunkte dauerhaft zu erweitern. Zudem müssen sie die Verbindungen zwischen Homeoffice-Equipment und Firmennetz absichern – über VPN-Verbindungen, Transportverschlüsselungen oder über Remote-Desktop-Umgebungen, die der Ausrüstung zuhause denselben Komfort geben wie dem Rechner im Büro.

Der Schutz interner Dokumente erstreckt sich vor allem darauf, sie vor nicht autorisierten Blicken zu schützen, also durchaus auch vor Familienangehörigen oder Bekannten, die beim wenig abgeschirmten Arbeiten zuhause durchaus unerwünschte Einblicke nehmen könnten. Das lässt sich über ein entsprechendes Regelwerk lösen, das mit einer Awareness-Kampagne verbunden werden könnte, was die Aufmerksamkeit für dieses Thema überhaupt erst einmal schafft und im Fortgang verbessert.

Der Haufe-Verlag weist in einer Publikation auf einen anderen, weithin unterschätzten Aspekt der Homeoffice-Governance hin: Die mangelnde Automatisierung vieler Unternehmen erschwert massiv die Verlagerung manueller Tätigkeiten und analoger Prozesse in heimische Büros, was in der Folge zu einer „mangelnden Prozesstreue“ führt, weil eigentlich notwendige Schritte durch den fehlenden Zugriff auf Dokumente übersprungen oder aufgehalten werden. Das erschwert auch Kontrollen und Revisionen von Geschäftsunterlagen, weil sie nicht mehr an einem zentralen Ort vorgehalten, sondern über eine Vielzahl von Arbeitsstellen verteilt werden.

Unternehmen können dagegenhalten – erst recht in einer sich zunehmend durchsetzenden hybriden Arbeitswelt. Im Fall der Prozesstreue etwa dadurch, dass sie die Mitarbeitenden verpflichten, eine Dokumentation ihrer Tätigkeiten am Firmensitz zu hinterlegen. Auch der Umgang mit schützenswerten Dokumenten und firmenwichtigen Arbeitsumgebungen lässt sich regeln.

Viele dieser Maßnahmen können unter dem Stichwort „Resilienz“ zusammengefasst werden, das die Fähigkeit von Individuen, aber auch von Unternehmen benennt, mit unvorhersehbaren Krisen umgehen zu können, die Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten und – im besten Fall – gestärkt aus solchen Krisen hervorzugehen.

Mehr zu diesem Thema finden Sie im Managementkompass Resilienz, den Sopra Steria 2021, also mitten in der Corona-Pandemie, veröffentlicht hat. Mit Blick auf das Thema Nachhaltigkeit ist es an dieser Stelle aber wichtig zu betonen, dass sich Unternehmen und ihre Führungskräfte aktiv darum bemühen müssen, diese Fragen umfassend und zu beiderseitiger Zufriedenheit zu regeln und ihr Management dauerhaft auf die neue Normalität einzustellen. Dazu wird gehören, dass ihre Mitarbeitenden an vielen Orten produktiv sind, mit ihren Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten kommunizieren und mit Partnern und Dienstleistern zusammenarbeiten.

Nachhaltigkeit im Homeoffice aus Sicht der Unternehmens-Governance – das ist keine anhand der Vergangenheit messbare Zahl, sondern eine in die Zukunft gerichtete Aufgabe. Sie anzunehmen, ist der zuvörderst wichtige Beitrag des Managements.


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