Digitale Exzellenz
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Wie nachhaltig ist … die IT-Infrastruktur?

, 11. Oktober 2022

Fotocredit: Getty Images / FactoryTh

Lesezeit: 10 Minuten

Wie nachhaltig ist … die IT-Infrastruktur?

„Was sich nicht messen lässt, lässt sich nicht lenken.“ Dieser Satz gehört zum Standardrepertoire jedes Controllers. Die IT leistet einen wichtigen Beitrag zur Messbarkeit von Kennzahlen und Unternehmensprozessen – je digitaler ein Unternehmen ist, desto größer kann dieser Beitrag sein. In einer Reihe von Blogartikeln widmen wir uns unterschiedlichen IT-Anwendungsbereichen und ihrer Auswirkung auf Nachhaltigkeitsziele. Wir starten mit den Fragen, wie nachhaltig eine IT-Infrastruktur ist und wie ein Unternehmen das messen kann.

Warum ist Messen so wichtig? Wer zum Beispiel seinen Plastikmüll nicht ins Meer schüttet, schützt die Umwelt nachhaltig – auch wenn er nicht weiß, um wie viele Kilos er die Ozeane damit entlastet.

Bei der IT-Infrastruktur ist die Sache etwas komplexer: Jeder weiß, dass IT Strom verbraucht, ihr Betrieb CO2 verursacht, dass Chips und Leiterplatten aus Rohstoffen bestehen, die nicht immer umwelt- und menschenverträglich abgebaut werden, und dass Hardware häufig in Plastik eingeschweißt ist. Hier ist die Frage wichtig, wie viel dabei zusammenkommt. Denn zunächst einmal gilt es in Unternehmen, die Wege zu mehr Nachhaltigkeit suchen, typische Nachhaltigkeitsverhinderer aufzuspüren, beispielsweise Stromfresser oder Verstöße gegen Arbeitsstandards bei IT-Zulieferern. Erst mit diesem Wissen ist es möglich, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Wir werden uns in den weiteren Beträgen der Reihe auch mit Arbeits- und Sozialstandards entlang der Lieferkette beschäftigen, konzentrieren uns an dieser Stelle aber darauf, die unmittelbaren Aspekte der ökologischen Nachhaltigkeit im Rechenzentrum zu beleuchten.

Die einfachste Alternative für mehr Nachhaltigkeit, abzuschalten, ist keine Option im Rechenzentrum; schließlich gilt IT zu Recht als Enabler von Innovationen und ist gleichzeitig ein wichtiger Verbündeter im Nachhaltigkeitsmanagement, unter anderem als Daten- und Erkenntnislieferant in meist komplexen IT-Gebilden. Beispiel Netzinfrastruktur: Ein Betreiber eines Telekommunikationsnetzes mit 30.000 Routern, 50.000 Richtfunkverbindungen und 80.000 Endpunkten kann nur mithilfe von digitaler Technologie herausfinden, ob er unter Umständen auf Hardware verzichten kann, ohne das Netz zu beeinträchtigen (mehr dazu in diesem Interview).

Ohne Daten keine Nachhaltigkeit

IT-Infrastruktur und jeder, der sie nutzt, erzeugen automatisch Unmengen von Daten – Protokoll-, Event- und Logdaten zum Beispiel. Aus diesen Daten, die oft völlig ungenutzt auf Servern liegen und erst dann gebraucht werden, wenn es zu einem Sicherheitsvorfall oder Systemabsturz kommt, und aus weiteren Daten etwa über den Stromverbrauch oder die Abwärme lassen sich Erkenntnisse ziehen. Aus den Erkenntnissen lassen sich Maßnahmen ableiten – und die Wirksamkeit dieser Maßnahmen wiederum lässt sich über Kennzahlen messen und überprüfen.

Unternehmen sollten aber wissen, dass es die eine Kennzahl, mit der sich alles steuern lässt, nicht gibt. So individuell, wie die IT-Infrastruktur in Unternehmen aufgestellt ist, so einzigartig muss auch das Kennzahlensystem sein – zumal es sich auch an den Zielen orientieren sollte, die ein Unternehmen sich setzt. Außerdem erhöhen Kennzahlen ihre Aussagekraft, wenn sie nicht einmal, sondern fortlaufend erhoben und mit anderen Zahlen in Relation gesetzt werden. Der Stromverbrauch des Rechenzentrums beispielsweise ist eine wichtige Kenngröße, sagt aber nichts aus, wenn er nicht mit den Workloads korreliert wird, die dort entstehen.


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Zahlen der Bitkom-Studie „Datacenter in Deutschland: Mehr Daten – mehr Strom?“ weisen aus, dass der Energieverbrauch in Rechenzentren von 2010 bis 2020 um satte 84 Prozent gestiegen ist. Das klingt nach wenig Nachhaltigkeit, stimmt allerdings nur bedingt, denn gleichzeitig hat sich die Energieeffizienz deutlich verbessert. So hat sich zum Beispiel die Zahl der installierten Workloads pro Kilowattstunde Strom seit 2010 verfünffacht. Diese Korrelation wird also erst deutlich, wenn unterschiedliche Zahlen überhaupt in Relation gesetzt werden.

Stromverbrauch des Rechenzentrums

Eine der aussagekräftigsten Kennzahlen der IT-Infrastruktur ist ohne Zweifel der Stromverbrauch des Rechenzentrums; in einer On-Premises-Architektur also das, was für den Betrieb des Backbones, darunter Server, Netzwerke, Notstromversorgung oder Speichermedien, an Energie aufgewendet werden muss. Vermeintlich reicht es, am zentralen Stecker einen Stromzähler zu installieren, um diese Menge zu messen. Wirklich hilfreich ist das aber noch nicht, denn die Summe der kWh gibt nur wenig Aufschluss darüber, wo der meiste Strom verbraucht wird und wie sich die Menge reduzieren lässt.

Wichtig ist auch die Antwort auf die Frage, welche Energie für den Betrieb des Rechenzentrums genutzt wird und welche Alternativen es gibt: Der Wechsel des Energieanbieters, die Nutzung von nachhaltigen Energiequellen wie Solarstrom, Windkraft, Geothermie oder Biogas – all das könnten Möglichkeiten sein, die Energiebilanz zu verbessern.

Die Nutzung der Abwärme des Rechenzentrums ist eine weitere. „Durch gezielte Abwärmenutzung“, heißt es dazu in einer Broschüre der Deutschen Energie-Agentur dena, „können Sie in Ihrem Unternehmen den Energieverbrauch und die Energiekosten für die Wärmeerzeugung um bis zu 60 Prozent senken.“ So können zum Beispiel „30 bis 90 Prozent der Abwärme (…) zur Vorwärmung der Frischluft oder zur Heiz- bzw. Prozesswärmeerzeugung genutzt werden“, rechnet die Agentur Unternehmen vor. Um speziell die Abwärme im Rechenzentrum zu verwerten, muss von Luft- auf Wasserkühlung der Hardware umgestellt werden. Während heiße Luft in der Regel nach außen abgegeben wird, kann erwärmtes Wasser direkt zum Heizen von Räumen verwendet werden.

Mit Verbrauchern experimentieren

Aktionen für mehr Nachhaltigkeit im Rechenzentrum dürfen durchaus auch experimentellen Charakter haben: So könnten IT-Verantwortliche ausprobieren, ob es Verbraucher einer bestimmten Kategorie gibt, zum Beispiel Backup-Speicher, die weniger Energie verbrauchen als die Geräte, die im Rechenzentrum laufen. Eine Modernisierung der IT kann sinnvoll sein – allerdings nur dann, wenn Lebenszyklen und der ökologische Fußabdruck auch für die Produktion solcher Geräte berücksichtigt werden. Umgekehrt kann es durchaus sinnvoll sein, ältere Geräte über ihr eigentliches End of Life hinaus weiterzubetreiben, wenn ihr Austausch mehr Energie verbrauchen würde als ihr Betrieb.

Der immer wieder angekündigte und dann doch verschobene Abschied von Legacy-Systemen bekommt mit Nachhaltigkeitsargumenten neuen Schub – nämlich dann, wenn die Energiekosten in die Gesamt-Kosten-Nutzen-Betrachtung integriert werden. Falls im Unternehmen Alternativen zu diesen Legacy-Systemen existieren, lohnt sich der Vergleich, welche Systeme energieeffizienter laufen. Falls es solche Alternativen nicht gibt, lohnt sich der Vergleich mit ähnlichen Systemen, die als Software as a Service über die Cloud angeboten werden.

Energieverbrauch von Anwendungen

Auch der Energieverbrauch von Anwendungen lässt sich, zumindest teilweise, messen; hier wird es komplex, denn wie viel Strom eine Anfrage bei Google oder eine Textzeile in Word verbraucht, ist zentral im Rechenzentrum kaum messbar und hängt außerdem von vielen Variablen ab: Welche Hardware ist im Einsatz, wie viel Eingaben können im Arbeitsspeicher verarbeitet werden, was muss unter Umständen auf die Festplatte „geswappt“ werden …? Aber messen lässt sich immerhin, welche zentralen Anwendungen im Rechenzentrum wie viel Energie verbrauchen: Server, Nutzerverwaltungen, Backup-Services oder, so vorhanden, virtuelle Maschinen, die im eigenen Rechenzentrum laufen.

Und wie steht es mit der Cloud?

Grundsätzlich verbraucht IT-Infrastruktur Strom und produziert CO2 – egal, ob sie im eigenen Rechenzentrum läuft oder in der Cloud. Was nicht on premises verbraucht und bezahlt werden muss, taucht dann halt in der Energiebilanz des Cloud-Providers auf – ein Effekt wie „linke Tasche, rechte Tasche“.

Aber dennoch ist es nicht dasselbe, die IT im On-Premises-Betrieb oder aus der Cloud zu betreiben. Cloud-Rechenzentren sind in der Regel moderner und „by design“ auf mehr Energieeffizienz ausgelegt als über Jahre gewachsene Rechenzentren, in denen veraltete Hardware läuft.

Das Online-Magazin CloudComputing-Insider vergleicht den Betrieb der IT-Infrastruktur in der Cloud mit der Bildung von Fahrgemeinschaften und dem Fahren mit dem öffentlichen Nahverkehr: Statt selbst ein Auto zu besitzen, nutzen Menschen Ressourcen gemeinschaftlich. Übertragen auf bezogene Rechenleistung führt das zu einer insgesamt besseren Auslastung der Ressourcen und damit zu mehr Effizienz im Betrieb.

Cloud-native Services verbrauchen auch nicht nur einfach anderswo Kosten, sondern insgesamt weniger, weil sie in der Regel weniger Infrastruktur, weniger physischen Platz und damit weniger Energie pro Nutzer brauchen. Auch der Standort des Cloud-Rechenzentrums spielt eine Rolle. Die großen Hyperscaler für IT-Infrastruktur nutzen schon aus eigenem Interesse möglichst klimafreundliche Gegenden, in denen die erzeugte Abwärme nutzenstiftende Dienste erbringen kann – eine Alternative, die Unternehmen mit einem firmeneigenen Rechenzentrum nicht unbedingt haben.

Was noch auf den Schirm gehört

Naturgemäß ist der Hardware-Verbrauch im eigenen Rechenzentrum relativ groß; Server „halten“, je nach Quelle, drei bis fünf, fünf bis sechs oder sieben bis zehn Jahre – meist gekoppelt an Wartungs- und Serviceverträge der Hersteller. Das ist allerdings kein Naturgesetz, denn obwohl die Rechenleistung längst nicht mehr exponentiell steigt, ist der Lebenszyklus eines Rechners seit Anfang der 1990er von durchschnittlich sieben Jahren auf heute zwei Jahre gesunken, wie unter anderem das Fachmagazin LANline schreibt. Geräte gingen heute aber nicht früher kaputt, sondern würden wegen geringerer Kosten durch leistungsfähigere Modelle ersetzt, heißt es dort. Allerdings kann schon das Verlängern der Lebenszeit einzelner Geräte zu einer positiven Ökobilanz beitragen, denn meistens ist die Nutzung vorhandener Hardware günstiger als der Kauf neuer. Besser wäre zudem der Austausch einzelner Komponenten, zum Beispiel von Netzteilen: Das verhindert die Entsorgung ansonsten lauffähiger Hardware und gewährleistet den Weiterbetrieb. Auch solche Maßnahmen gehören in die Liste der Kennzahlen – natürlich nur dort, wo es im eigenen Rechenzentrum möglich und sinnvoll ist.

Komplexität managen – und meistern

Es wird eine der wichtigsten Aufgaben der IT-Abteilungen in den Unternehmen sein, den eigenen Energieverbrauch zu messen, zu managen – und im Sinne einer nachhaltigen Nutzung zu meistern. Erneuerbare Energiequellen, energieeffiziente Hard- und Software und optimierte Laufzeiten tragen dazu bei. All das lässt sich messen und über Kennzahlen dokumentieren. Gleichzeitig kann die IT-Infrastruktur aber auch einen echten Wertbeitrag zu mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen leisten: Die Daten, die in der IT-Nutzung entstehen, geben quer durchs Unternehmen Anstöße für Kennzahlen und Maßnahmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die Umwelt freut das.

Nachtrag: Nichts Genaues weiß man nicht

So verständlich der Wunsch nach genauen Zahlen ist: Es ist nicht sinnvoll, an dieser Stelle mögliche Kennzahlen mit potenziellen Sparzielen im Detail zu präsentieren. Weder ist es möglich, absolute Sparziele für die Reduktion von CO2-Emissionen zu formulieren (sind es 1.000 oder 500.000 Tonnen?), noch ist eine relative Reduktion um 5, 10 oder 20 Prozent empfehlenswert. Das hängt, und damit sind wir wieder beim Messen, von dem Initialwert ab: Wie viele Tonnen CO2 hat das firmeneigene Rechenzentrum im Jahr 2021 emittiert? Wie viele davon lassen sich realistischerweise einsparen, wenn …

  • die IT in die Cloud verlagert wird?
  • die Energieerzeugung zu 100 Prozent auf Erneuerbare umgestellt wird?
  • die Abwärme zum Beheizen der Räume genutzt wird?
  • usw.?

Jedes Unternehmen kann so vorgehen, so messen und auf Basis von Daten und einer fundierten Einschätzung der Sparpotenziale eigene Ziele formulieren. Das sind dann die konkreten Zahlen oder Prozentwerte, die auf dem Weg zum nachhaltigen Unternehmen helfen.

Nachhaltigkeit in die Sprache der Wirtschaft übertragen

Und eines sollten Unternehmen nicht vergessen: Nachhaltigkeitsziele werden sich dann am besten erreichen lassen, wenn das Management die Kausalität zwischen Öko- und Sozialbilanz sowie der klassischen Wirtschaftsbilanz versteht. Es ist somit enorm wichtig, die rein technischen Verbrauchskennzahlen in die CFO-Sprache zu übersetzen. Stromeinsparungen machen im Management weniger Eindruck als vertraute Opportunitätskosten, die ein Weiterbetrieb von Legacy-Systemen in den kommenden fünf Jahren verursacht – plus einer Gegenüberstellung, was man mit diesem Geld an Wachstumsimpulsen setzen könnte. IT kann hier wiederum ein guter Übersetzer sein und helfen, Zusammenhänge aufzuzeigen.


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