Digitale Exzellenz
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Nachhaltigkeit und Compliance in der Lieferkette

, 8. Februar 2021

Lesezeit: 7 Minuten

Nachhaltigkeit und Compliance in der Lieferkette

Die Bundesregierung plädiert für ein Transparenzregister, um Impfstoffexporte nachzuverfolgen. Das Hamburger Startup Searoutes schafft Transparenz für eine möglichst klimaschonende globale Routenplanung für Reedereien und Logistikunternehmen. Beide Beispiele zeigen: Transparenz und Nachverfolgbarkeit sind zentrale Faktoren zur Lösung globaler Aufgaben und im Wettbewerb, nicht nur zur Kontrolle von Lieferketten und der Einhaltung von Verträgen, sondern noch viel stärker beim Thema Nachhaltigkeit.

Jeder fünfte Entscheider in Deutschland sieht das eigene Unternehmen gegenüber Wettbewerbern im Vorteil, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Für jeden vierten wird dieser Wettbewerbsvorteil in den kommenden drei bis fünf Jahren der entscheidende Faktor im Kampf um Marktanteile und Kunden sein. Das ergibt eine Entscheider-Umfrage im Auftrag von Sopra Steria. Nachhaltigkeit rückt damit auf die strategische und operative Agenda in der Industrie und im Handel. Nachhaltigkeit ist allein allerdings kein Wettbewerbsvorteil, das richtige Nachhaltigkeitsmanagement aber sehr wohl.

Relevanz der Nachhaltigkeit in Unternehmen steigt

Denn für alle Unternehmen wird es künftig zur Pflichtaufgabe, Geschäftsbeziehungen, Arbeitsstandards und Produktionsprozesse lückenlos zu dokumentieren. Zentraler Treiber ist derzeit die Politik. In Gesetzgebungskreisen kursieren seit längerem Bestrebungen für die Einführung eines Lieferkettengesetzes. Opfer von Missständen beim Arbeitsschutz und Umweltsünden durch Unternehmen sollen einen leichteren Zugang zu deutschen Gerichten erhalten. Zudem sollen es Länder im globalen Süden einfacher haben, Standards beim Klima- und Arbeitsschutz durchzusetzen – weil sie hier in Deutschland einklagbar wären.

Beim Klimaschutz sind unterschiedliche Instrumente und Abwehrstrategien gegen energiefressende Produkte und Produktions-/Transportweisen bereits etabliert, weitere befinden sich in der Vorbereitung oder werden diskutiert – vom Nachweis von C02-Zertifikaten bis zur CO2-Grenzsteuer in der EU. Im übertragenen Sinne ist das die Well-to-Wheel-Effizienz in der Gesamtenergiebilanz des Produktes.

Bei den Kunden lässt sich darüber hinaus ein Wertewandel beobachten. Aus Lippenbekenntnissen in Umfragen wird konkretes Handeln an der Ladenkasse. Das zeigen nicht nur steigende Umsätze von Biohändlern. Kunden achten insgesamt stärker darauf – ebenso wie gut ausgebildete Fachkräfte –  welche Werte in Unternehmen herrschen. Imageschäden wirken sich damit deutlicher und realer aus, nämlich auf harte KPIs wie Umsatz und Gewinn und nicht mehr nur temporär auf die Aktienkurse, die sich nach einem Skandal wieder stabilisieren.

Transparenz – am besten lückenlos

Unternehmen und ihre Köpfe müssen künftig also häufiger und genauer den Ethiknachweis erbringen und am besten die Klimaneutralität dazu – weil Gesetzgeber und Gesellschafter das von ihnen verlangen und weil ihre Kunden und Mitarbeiter sicher sein wollen, dass Einkaufen und Arbeiten bei diesem Händler und Hersteller eine gute Sache ist. Und je weniger Lücken dieser Nachweis einer sauberen Weste ausfällt, desto glaubwürdiger und attraktiver sind die Unternehmen für ihre Stakeholder und im Wettbewerb um Aufträge.

Mit der sich füllenden CSR-Agenda steigt allerdings der Aufwand für die Unternehmen. Die große Herausforderung besteht für weltweit operierende Firmen darin, sämtliche Abläufe, Geschäftsbeziehungen und Transaktionen zu dokumentieren und transparent zu machen. Wer es schafft, Ethiknachweise, Energiebewertungen, Ökoaudits, Ursprungszertifikate und CO2-Pass effizienter als der Wettbewerb zu erbringen, erarbeitet sich spürbare Vorteile. Nachhaltiges Wirtschaften wird damit in drei bis fünf Jahren gar nicht mal mehr der entscheidende Wettbewerbsvorteil sein, sondern die kostenschonende Umsetzung und die lückenlose Transparenz.

Transparente Lieferketten durch Digitalisierung und Plattformen

Auf die global ausgerichtete Industrie wartet somit viel Arbeit. Die Aufgabe einer lückenlosen Rückverfolgbarkeit von Warenströmen, dem Echtzeit-Monitoring von Arbeitsbedingungen und die automatisierte Einhaltung arbeitsethischer und ökologischer Standards bei der Vertragsgestaltung mit zig Zulieferern, Sub-Unternehmern und Sub-Sub-Sub-Unternehmen ließe sich beispielsweise mithilfe der Blockchain-Technologie und einem umfassenden industriellen Internet der Dinge angehen und lösen – auch wenn der Aufbau keinesfalls trivial ist.

Digitale Transformation ermöglicht somit ökologische Transformation. Die Basis besteht darin, ganze Wertschöpfungsketten digital darzustellen. Das erfordert beispielsweise ein unternehmensübergreifendes Stammdatenmanagement. Knackpunkt wird allerdings die lückenlose Operationalisierung für den Aufbau eines solchen Daten-Allmende sein. Nicht jeder mittelständische Betrieb ist dazu in der Lage, alle Teile und Maschinen sowie Prozesse und Anlagen mit Sensoren zu spicken und diese Daten zusammen mit Prozess-, Finanz, und Personaldaten in ein allumfassendes Supply-Chain-Netz einzuspeisen. Es reicht aber nicht, wenn nur die Konzerne für Transparenz sorgen.

Der Weg kann deshalb nur über gemeinsame Maßnahmen führen, unter anderem über digitale Plattformen als operative Datendrehscheiben. Erste Initiativen zu Digitalisierung von Lieferketten gibt es, beispielsweise die von BMW und SAP sowie einigen weiteren Schwergewichten der deutschen Industrie. Eine gemeinsame Cloud-Plattform, die auf den Standards der europäischen Cloud-Initiative Gaia-X aufbauen soll, wird in der Automobilindustrie, beispielsweise im Supply Chain Management unternehmensübergreifende Datenströme ermöglichen. Sie soll für weitere Partner offenstehen. Derartige Vorhaben senken die Hürden für kleinere Firmen, sich zu beteiligen.

Ein ähnliches Vorhaben ist das des World Economic Forum mit Unternehmen wie Siemens, Dow, Arçelik und anderen. Die Partner wollen das Vertrauen in die Nachverfolgung eines CO2-Footprints sicherstellen und simulieren dafür eine komplette Wertschöpfungskette und ihre Datenströme. Siemens und GreenPlat nutzen beispielsweise die Blockchain-Technologie für den Aufbau einer Plattform, die es Unternehmen erlaubt, Daten zu CO2-Äquivalenten, die in jedem Schritt des Produktlebenszyklus erzeugt werden, auszutauschen. Ziel ist zu erkennen, in welchen Arbeitsschritten und Geschäftsprozessen der größte CO2-Verbrauch stattfindet, um so die Verfahren nachhaltiger zu gestalten.

Klimaneutrale Produktion durch Energie-Transparenz herstellen

Über die Transparenz bei Lieferketten hinaus können produzierende Unternehmen die CO2-neutrale Produktion an ihren Standorten vorantreiben. Auch auf dieser Baustelle ist Transparenz erforderlich und Digitalisierung wird sie herstellen. Intelligente Systeme werden Unternehmen künftig noch viel stärker mit Berechnungen, Prognosen und Entscheidungsgrundlagen unterstützen, so dass sich eine nachhaltige Produktion auch rechnet – im Idealfall sogar zum Geschäftsmodell wird. KI-Systeme können beispielsweise auf Basis von IoT-Daten und Umweltdaten prognostizieren, wann es sich lohnt, auf CO2-Zertifikate zu verzichten und welcher Mix aus eigener und fremder grüner Energie das betriebswirtschaftlich beste Ergebnis liefert. Auf Basis der Prognosedaten wird ermittelt, welches Produktionsprogramm bzw. welche Anpassungen zur zielgerechten Abarbeitung der Aufträge im Rahmen der Energieverfügbarkeit optimal ist.

Weitere potenzielle Ansätze gibt es viele: Industrieunternehmen können darüber hinaus ihre großen Lieferanten oder ihre vielen Mitarbeiter überzeugen, ihren auf dem Firmengelände oder auf dem Solardach selbst produzierten Strom zu verkaufen. Damit schaffen sie Anreize bei ihren Stakeholdern, Nachhaltigkeit stärker zu leben, und sie fördern den Aufbau von Expertise und Engagement. Die Blockchain-Technologie könnte wiederum das Management dieser dezentralen Versorgung übernehmen.

Der Hilfsstoff Energie wird damit ein fester Produktionsfaktor, ein knappes Gut, das bei intelligentem Einsatz und mit der nötigen Transparenz und mithilfe von Technologien und Daten auch Erträge abwerfen kann.

Unternehmen, die es somit schaffen, Nachhaltigkeitsmanagement als Geschäftsmodell zu begreifen und mit Leben zu füllen, machen aus der Pflicht eine Kür und entwickeln einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsvorteil, der künftig den Unterschied ausmachen kann.

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