Die öffentliche Verwaltung muss zunehmend effektiver und effizienter digitale Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Dafür sorgen die Erwartung einfacher, serviceorientierter Leistungen durch uns Bürgerinnen und Bürger und die notwendige Automatisierung von Verwaltungsprozessen aufgrund des gravierenden Fachkräftemangels. Diese Megatransformation sollte – vielmehr muss – sich auch auf die Organisation von Verwaltungen auswirken.
Eine mutige Verwaltung mit dem Zielbild digitale Verwaltung organisiert sich im Sinne von „Form folgt Funktion“ service- oder produktorientiert und mit möglichst wenig Schnittstellen entlang des Softwareentwicklungsprozesses. Das heißt: Statt wie bisher in Funktionssilos sollten in Behörden und Ministerien in Zukunft interdisziplinäre Produktteams arbeiten – mit weniger Reibungsverlusten.
Diese Teams, mit Fach- und Technologieexpertise bestückt, entwickeln miteinander, nicht füreinander Apps, Online-Auftritte oder ganze digitale Verwaltungsdienstleistungen. Sie beginnen ihre Arbeit bei dem gesetzlichen Auftrag und dem Kundenerlebnis und arbeiten sich rückwärts zur Technologie vor. Aus einer funktionsorientierten wird eine produkt- und erlebnisorientierte Organisation.
Produktorientierte Organisation
Im Mittelpunkt steht das Ergebnis, also ein exzellentes Produkt, zum Beispiel ein Online-Auftritt, eine App, eine ganzheitliche digitale Leistung. Dieses Produkt soll die Bedürfnisse der Anspruchsgruppen treffen. Gemeint sind sowohl Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen als auch Mitarbeitende, beispielsweise Sachbearbeitende in operativen Einheiten. Es werden digitale Produkte benötigt, die Menschen gerne und einfach nutzen können.
Die dargestellten Prinzipien, bekannt aus der Tech-Welt, sind auch für Verwaltungsorganisationen absolut relevant und werden heute schon adaptiert. In welcher Tiefe Behörden diese Prinzipien schon übernehmen und integrieren, hängt von der jeweiligen Verwaltungsorganisation ab.
Produktteams in einer dezentralen Verantwortungsstruktur
Produktorientierung läuft organisatorisch auf zwei Kernprinzipien hinaus:
- Dezentralität im Sinne eigenverantwortlich agierender Einheiten (Teams) zur Softwareentwicklung, die in ihrer Auftragsgestaltung autonom und im Hinblick auf die Ressourcen so weit wie möglich autark agieren.
- Agilität: Die Teams nutzen für die operative Arbeit agile Methodiken. Das heißt, das Arbeiten zeichnet sich durch cross-funktionale Teams, iterative Arbeitsprozesse und kontinuierliche Anpassung aus.
Die Verantwortung für das digitale Produkt oder den Service sollte dezentralisiert werden, um ein Problem schnell zu verstehen sowie die passenden Lösungen zu finden und umzusetzen. Alles abgesteckt durch vorab eindeutig definierte Rahmenbedingungen, beispielsweise Entscheidungsbefugnisse. Als Voraussetzung für eine dezentrale Entscheidungsstruktur, die umsetzungsnah verortet ist, braucht es passende Kompetenzen in den Produktteams.
Zudem braucht es einen interdisziplinären Teamaufbau aus Fachanwendern, Designern, Entwicklern, Testern etc. Diese Teams haben dann im Sinne eines kontinuierlichen Entwicklungsansatzes wie BizDevOps die Ende-zu-Ende-Verantwortung für Entwicklung, Verbesserung und Betrieb. Es ist „ihr“ Web-Portal oder „ihr“ Online-Bürgerbeteiligungsservice. Sie sind allerdings verpflichtet, Anspruchsgruppen wie Bürgerinnen und Bürger oder Mitarbeitende in den operativen Einheiten sowie Fachexpertinnen und Fachexperten kontinuierlich einzubeziehen.
Folgen Behörden diesem Ansatz konsequent, ist ein permanenter Austausch zwischen IT und Fachbereichen notwendig. Oder noch besser: Sie schaffen gleich einen Platz für Fachexpertise im interdisziplinären Entwicklungsteam. Das verändert die Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereich fundamental.
Das veränderte Zusammenspiel zwischen Fachbereichen und IT
Entlang des Softwareentwicklungsprozesses sollten Schnittstellen möglichst vermieden werden, die Prozesse unnötig verlangsamen und die Qualität des Endprodukts verschlimmbessern könnten. Zudem sollten relevante Stakeholdergruppen konsequent beteiligt sein. Sie sollen den Entwicklungsprozess unterstützen, daran mitwirken, ohne ihn jedoch zu behindern. Dafür braucht es klare Spielregeln. Das hat Konsequenzen:
Das klassische funktional in Silos getrennte Zusammenarbeitsmodell mit Fachbereich, IT sowie einem formalisiert-vermittelnden Anforderungsmanagement stößt dabei an seine Grenzen. Ein zusätzliches Silo zwischen Fachbereich und IT zu etablieren ist kontraproduktiv, auch wenn es weiterhin zentrale IT-Aufgaben geben wird, die nur die IT-Seite erledigt.
Die bessere Option ist, dass Verwaltungen mutig agieren und Fachbereich und IT stärker koppeln. Das heißt, Fachexperten müssen Teil des Entwicklungsteams sein oder zumindest konsequent methodisch in den Entwicklungsprozess eingebunden werden – insbesondere unter Beibehaltung von dezentraler Verantwortung und Produktfokus.
Wichtige Entscheidungen für die Re-Organisation
Notwendige Querschnittsfunktionen, wie die IT-Sicherheit, sollten übergreifend geregelt werden. Darüber hinaus braucht es methodische Vorgaben, wie der Entwicklungsprozess aussehen soll und wie die Einbindung der Stakeholder organisiert wird. Um eine Weiterentwicklung der Disziplinen wie UX oder Engineering sicherzustellen, sollten Communities of Practice oder andere Formate aufgesetzt werden. Bei komplexeren Dienstleistungen müssen zudem übergreifende Entwicklungsprinzipien oder Master-Kundenreisen vorgegeben werden – eine übergreifende Koordination ist in dem Fall unumgänglich.
In Abhängigkeit von der Komplexität der digitalen Produkte oder Services kann die verantwortliche Organisation aus mehreren Teams bestehen. Wenn die IT-Landschaft groß ist, braucht es ein funktionales IT-Portfolio und ein dazugehöriges IT-Produkt- und Portfoliomanagement, das in der Ausgestaltung auch auf den Mehrwert von Produkten für die relevanten Anspruchsgruppen fokussiert.
Produktorientierung bei der Bundesagentur für Arbeit
Die IT der Bundesagentur für Arbeit (BA) hat Nägel mit Köpfen gemacht und das Organisationsmodell der Softwareentwicklung von einer in Entwicklung und Betrieb getrennten zu einer nach Produkten ausgerichteten Organisation aufgestellt. IT-Entwicklung und Betrieb sind vereint.
Das IT-Systemhaus der BA hat die neue Struktur in einem kontinuierlichen und iterativen Prozess entwickelt. Es galt, möglichst autarke Produktbereiche mit Ende-zu-Ende-Verantwortung zu etablieren. Ziel der Re-Organisation war es, schneller auf Anforderungen reagieren zu können, ohne dass Stabilität und Sicherheit leiden. Zusätzlich wollte die BA die kulturellen Werte Eigenverantwortung, Vertrauen und Gemeinsamkeit organisationsübergreifend stärken.
Ein Knackpunkt war, die über Jahre hinweg etablierten, hocheffizienten Querschnittsteams auf einzelne Produktteams zu verteilen. So wurden zum Beispiel die bislang in einer Einheit gebündelten Online-Produkte mit den dazugehörenden Backend-Systemen in den jeweiligen Produkteinheiten zusammengelegt. Zudem wurde die IT-Betriebseinheit, die bis dahin nach Entwicklungsende die Softwareprodukte aller Produktbereiche übernahm und sich zentral um gute Performance und Weiterentwicklung kümmerte, ebenfalls aufgeteilt. Entwicklung und Betrieb der Produkte liegen nun in den Händen der Produktteams, nicht mehr in denen eines zentralen Ops-Teams.
Querschnittsfunktionen gehören regelmäßig auf die Waage
Natürlich sind weiterhin IT-Basisleistungen und zentrale übergreifende Einheiten erforderlich. Diese Querschnittsteams lassen sich ohne organisatorische, ökonomische oder technische Nachteile nicht weiter zerteilen. Um den oben genannten Organisationsprinzipien der Produktorientierung zu folgen, ist es unerlässlich, die Querschnittsfunktionen so leichtgewichtig wie möglich zu gestalten.
Es ist wichtig, hier regelmäßig eine „Gewichtskontrolle“ durchzuführen, um im Bild zu bleiben. Denn jede Organisation neigt dazu, ihre Querschnittsfunktionen über die Zeit hinweg immer wieder aufzustocken. Regelmäßige Überprüfungen durch die Verantwortlichen stellen sicher, dass diese Einheiten nur den erforderlichen Umfang haben. Behörden sollten sich immer hinterfragen, ob sie Funktionen und Rollen nicht sinnvoller bei den dezentralen Produktteams ansiedeln.
Bei der Bundesagentur für Arbeit passiert genau das. Derzeit ist das Anforderungs- und Portfoliomanagement für die digitalen Produkte außerhalb der Entwicklungsteams in einer separaten Organisation innerhalb der BA-Zentrale angesiedelt. Diese zentrale Organisation der IT beinhaltet unter anderem die Erhebung, Bewertung und das Management von Anforderungen sowie die Portfolioübersicht über die IT-Produkte. Die BA-IT dehnt die vorher beschriebene Neuorganisation nun auch auf diese zentrale IT-Organisation aus, um bislang organisatorisch getrennte Aufgaben und Ziele noch stärker miteinander zu verbinden. Ein mutiger und wichtiger Schritt.
Digitale Verwaltungen brauchen angepasste Organisationsprinzipien
Wenn eine digitale öffentliche Verwaltung das große Ziel ist, erbringen Verwaltungen zwangsläufig verstärkt digitale Leistungen. Softwareentwicklung und -betrieb werden zur Kernanforderung. Das hat Auswirkungen auf die Organisation. Die Transformation in Richtung digitaler Verwaltung sollte sich daher auch in der Verwaltungs- und IT-Organisation widerspiegeln. Die Zielorganisation einer digitalen Verwaltung stellt sich dezentral nach Kundengruppen und Produkten auf, mit interdisziplinären Produktteams und in den Softwareentwicklungsprozess integriert.
Das bietet die große Chance, dass Fachbereich und IT immer weiter zusammenrücken – nicht formalisiert, sondern kollaborativ und auf ein Ziel ausgerichtet: den exzellenten Service für die verschiedenen Anspruchsgruppen. Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Mitarbeitende in den Behörden werden sich für mehr Mut bei der Re-Organisation bedanken.