Digitale Exzellenz
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Wenn der Wert der Marken nicht mehr zählt

, 9. Dezember 2020

Lesezeit: 4 Minuten

Wenn der Wert der Marken nicht mehr zählt

Sind Marken bald nur noch Schall und Rauch? Als Wettbewerbsvorteil lassen sie sich in Zeiten digitaler Ökosysteme und Plattformen jedenfalls immer seltener zur Geltung bringen. Das Ende der Marken bedeutet das nicht zwangsläufig. Doch nur noch für bestimmte Unternehmen sind sie in Zukunft wichtig.

Kennen Sie noch Horten? Oder Merkur? Der Aufstieg großer Marken ist fest verknüpft mit der zunehmenden Industrialisierung und dem Wirtschaftswunder. Digitalisierung und der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft verändern ihre Bedeutung allerdings grundlegend. 77 Prozent aller Marken könnten von heute auf morgen verschwinden – und niemanden würde es interessieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der französischen Mediengruppe Havas. Da überrascht es nicht, dass Marken in Zeiten globalisierter und digitalisierter Märkte immer seltener als Wettbewerbsvorteil taugen. In den kommenden drei Jahre verliert kaum ein anderer Wettbewerbsvorteil derart massiv an Bedeutung wie die Markenstärke. So sieht es die Mehrheit der 1.000 Entscheiderinnen und Entscheider, die an unserer Umfrage „What’s your Edge? Wettbewerbsvorteile im Entscheider-Check“ teilgenommen haben.

Ein Drittel von ihnen hält starke Marken zwar gegenwärtig für einen Wettbewerbsvorteil. Beim Blick auf die kommenden drei bis fünf Jahre glaubt das nur noch jeder Vierte. In den meisten Einzelbranchen fällt der Bedeutungsverlust dabei sogar noch viel drastischer aus – lediglich bei Energie und Versorgung setzen Entscheider auf eine zunehmende Bedeutung der Marke als Wettbewerbsvorteil. Doch wie erklärt sich dieser generelle Verlust der Markenmacht – und was folgt daraus?

Alleinstellungsmerkmale sind gefragt – keine Marken

Bei der Begründung spielt die Globalisierung eine große Rolle, die Sättigung von Märkten ebenfalls. Berühmte Marken konnten anfangs ein Alleinstellungsmerkmal aufweisen, was sie vom Wettbewerb abhob. Eines der bekanntesten Beispiele ist der Stollenschuh von Adidas. Doch solche Alleinstellungsmerkmale lassen sich bei den Produkten und Dienstleistungen selbst heutzutage immer seltener finden. Wo sie bislang vorhanden sind, werden sie in saturierten Märkten mit einer Vielzahl von Konkurrenten und schnellen Innovationszyklen eher früher als später infrage gestellt. Das bedeutet auch: Die Marke ist immer nur die Summe anderer Wettbewerbsvorteile – wo diese fehlen, hat die beste Marke keine Chance. Es stellt sich also bei jeder Marke heutzutage die Frage: „What’s your Edge?“

Eine Studie von IBM zur Automobilbranche stellte im vergangenen Jahr fest, dass die Marke des Fahrzeugs für 48 Prozent aller Konsumenten in einer Mobility-as-a-Service-Welt egal sei. Mit dem Aufkommen von Sharing- und Pay-per-Use-Modellen verliert die Marke der Hersteller als Wert, da die Funktion gehandelt wird und nicht das jeweilige Produkt. Und es ist nicht nur die Automobilbranche, in der diese Effekte zum Tragen kommen. Ob wir Konsumenten Sportbekleidung irgendwann ähnlich funktional und weniger modisch bewerten wie heute vielfach das Automobil, mag sich aktuell kaum einer vorstellen. Aber wer weiß, was in fünf Jahren ist.

Netzwerke und Plattformen machen den Unterschied

Die Digitalisierung verändert Geschäftsmodelle grundlegend und definiert Marken neu. Unter den zehn wertvollsten Marken der Welt können neun auf Ökosysteme und Netzwerk-Effekte verweisen, die sie sich zunutze machen – seien es der E-Commerce-Riese Amazon, Microsoft mit seinen Cloud-Diensten oder auch Firmen wie Mastercard und Visa. Sie alle haben ihre Geschäftsmodelle in der einen oder anderen Weise inzwischen als Plattformen organisiert. Ein gutes Beispiel, wie dies auch etablierten Industrie-Unternehmen gelingt, liefert Haier. Der Hersteller von Haushaltsgeräten setzt konsequent auf den Auf- und Ausbau seines IoT-Ökosystems.

Die künftige Rolle von Plattformen ist den Unternehmen bewusst. Ein Drittel der Entscheider der verarbeitenden Industrie stuft Plattformen als wichtiges Thema ein, jeder Zweite spricht immerhin von einem „Thema für die Zukunft“. Bei den Banken und Sparkassen geben in einer anderen Erhebung 65 Prozent der befragten Entscheider an, dass künftig einzelne große Banking-Plattformen den Markt bestimmen und Kunden obendrein jene Banken bevorzugen werden, die über digitale Ökosysteme Komplettlösungen für alle Lebensbereiche anbieten. Mit einer Open-Banking-Strategie sind einige Institute als Marke dann eventuell weniger sichtbar, dafür bleiben sie relevant.

Eine Entscheidung ist wichtig

Für viele Unternehmen stellt sich damit die Frage: Wollen sie Teilnehmer oder Organisatoren von Plattformen und Ökosystemen seien? Die Antwort ist von fundamentaler Bedeutung – und sie entscheidet auch über die Relevanz der Marke. Für den Plattformbetreiber mag sie wichtig sein, für den Plattformteilnehmer hingegen sehr viel weniger. Eines steht in jedem Falle in Zeiten der Digitalisierung fest: Eine starke Marke allein kann Unternehmen nicht mehr die Zukunft sichern. Doch womöglich war dies in Wahrheit auch schon immer der Fall.