Vor COVID-19 kannte wohl niemand den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Durch seine tragende Rolle im Pandemiemanagement und vor allem bei der Kontaktverfolgung durch die Gesundheitsämter hat sich das schlagartig geändert. Mit dem Pakt ÖGD soll die Arbeit dieser wichtigen dritten Säule im deutschen Gesundheitswesen auf ein neues Level gehoben und – ganz wichtig – künftig deutlich digitaler werden. Dahinter verbergen sich ein riesiger Transformationsprozess und Beratungsbedarf bei den Akteuren. Damit dies im Ergebnis zu Mehrwerten führt, haben wir sechs Erfolgsfaktoren identifiziert.
Bund und Länder haben in diesem Jahr gemeinsam den Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (Pakt ÖGD) auf den Weg gebracht. Im Mittelpunkt stehen der Aufbau von ärztlichem sowie Fach- und Verwaltungspersonal, der Ausbau der Verbindung zur Wissenschaft sowie das Förderprogramm Digitalisierung. Das größte Stück vom Digitalisierungskuchen sollen die Gesundheitsämter aufgrund ihrer besonderen Rolle abbekommen, denn sie stellen flächendeckend die unmittelbare Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicher.
Ein „digitales Gesundheitsamt“ mit standardisierten Prozessen, gestützt von modernen Tools, erhöht nicht nur die Arbeitsqualität der Mitarbeitenden, sondern entlastet auch Bürgerinnen und Bürger, beispielsweise durch weitreichende Online-Funktionen. Um die digitale Transformation erfolgreich anzustoßen und somit den ÖGD langfristig zu stärken, ist es für die Akteure wichtig, sich vor Augen zu führen, welche Herausforderungen zu bewältigen und welche Erfolgsfaktoren zu berücksichtigen sind.
Pakt ÖGD: enorme Herausforderungen auf dem Weg der Digitalisierung
Denn Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Der Einsatz digitaler Technologien soll Mehrwerte für die Bevölkerung und die Mitarbeitenden des ÖGD schaffen. Diese Mehrwerte wurden im Leitbild Digitales Gesundheitsamt 2025 definiert. Dort ist festgehalten, wie der ÖGD noch stärker als bisher von digitalen Lösungen profitieren kann. Und das führt auch zu Verbesserungen für Bürgerinnen und Bürger sowie für Mitarbeitende der öffentlichen Verwaltung und des Gesundheitswesens, beispielsweise in Gesundheitsämtern.
Denkt man an Krisen- und Pandemiezeiten, so könnten Bots, automatisierte Antworten, Upload-Funktionen für Dokumente (statt Briefversand), Online-Sprechstunden oder Online-Meldungen und Auswertungen im Echtzeitformat die Gesellschaft und den ÖGD unterstützen. Das über allen Maßnahmen schwebende Ziel ist dabei eine bessere Bürger- und Mitarbeiterzentrierung im Öffentlichen Gesundheitsdienst, die durch mehr Interoperabilität sämtlicher Akteure im Gesundheitswesen erreicht werden soll.
Dieser Schritt ist dringend notwendig. Heute sind die Leistungsfähigkeit und die Resilienz der Einrichtungen des ÖGD durch die unterschiedliche digitale Reife, die sich in der heterogenen technologischen Ausstattung und dem Einsatz unterschiedlicher Systeme, Methoden und Prozesse zeigt, noch stark eingeschränkt. In einer engmaschig vernetzten Welt sind funktionierende und aufeinander abgestimmte Strukturen für das übergreifende Handeln jedoch unabdingbar: Der Austausch und die Auswertung von Daten müssen schnell, zuverlässig und fehlerfrei funktionieren – innerhalb eines Gesundheitsamts sowie im Zusammenspiel mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit anderen Gesundheitsämtern, Krankenhäusern, Laboren, Forschungseinrichtungen sowie Vertretern der Health Tech Community. Dabei sind die Berücksichtigung und Einhaltung von IT-Sicherheits- und Datenqualitätsstandards von Beginn an konsequent mitzudenken.
Gleichzeitig besteht aktuell die Herausforderung, dass sich die Einrichtungen des ÖGD seit Beginn der Pandemie in einer starken Überlastungssituation befinden. Die Folge: Es sind nur sehr wenige personelle Ressourcen verfügbar, um neben dem operativen Tagesgeschäft die strategische Weiterentwicklung und konkrete Verbesserungen durch digitale Anwendungen anzugehen.
Um im Rahmen des Förderprogramms Digitalisierung mögliche Entwicklungspfade auf dem Weg der digitalen Transformation in konkrete Maßnahmen zu überführen, wurde ein bundesweites Reifegradmodell entwickelt. Jedes Gesundheitsamt wird analysiert, evaluiert und die individuelle digitale Reife ermittelt. Daraus lassen sich konkrete Handlungsfelder ableiten. Knackpunkt bleiben allerdings die gemeinsame Erarbeitung und Durchführung von aufeinander abgestimmten – einrichtungsspezifischen wie auch landesweiten – Transformationsmaßnahmen im föderalen Mehrebenensystem zwischen Bund, Ländern und Kommunen.
Sechs strategische Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation des ÖGD
Sopra Steria Next begleitet den Transformationsprozess des ÖGD. Wir durchleuchten u. a. die vorherrschenden Strukturen und leiten strategische Ausrichtungen und konkrete Umsetzungsmaßnahmen ab. Dank unserer Erfahrungen auf Bundeslandebene haben wir die folgenden sechs Erfolgsfaktoren für die Umsetzung des Pakts ÖGD identifiziert, von denen Gesundheitsministerien, Gesundheitsämter und andere Akteure profitieren können.
- Landesweite Mobilisierung sicherstellen: Digitalisierung bietet dann Mehrwerte, wenn sie überall ohne Brüche wirken kann. Zu Beginn gilt es deshalb, alle Einrichtungen des ÖGD in einem Bundesland überhaupt von der Notwendigkeit einer gemeinsamen strategischen Entwicklungsrichtung für die kommenden Jahre zu überzeugen. Die digitale Transformation des ÖGD als Ganzes kann nur gelingen, wenn sich alle Akteure – ungeachtet ihrer unterschiedlichen personellen und finanziellen Voraussetzungen – effektiv beteiligen und die Veränderung auch wollen. Nur dann können sich alle Einrichtungen des ÖGD gemeinsam entwickeln und in Zukunft problemlos zusammenarbeiten und es entstehen keine weißen Flecken auf der Digitalisierungslandkarte. Denn die Bürgerinnen und Bürger denken nicht in kleinen Silos. Was in der Region A funktioniert, soll auch in den Regionen B bis Z funktionieren.
- Kommunikation und Beteiligung professionalisieren: Die Mobilisierung und der gesamte Veränderungsprozess funktionieren nur mit einer passenden kommunikativen Begleitung, die Veränderung nicht per Aktenvermerk beschließt und ankündigt, sondern gemeinsam erarbeitet. Die strategische Entwicklungsrichtung muss unbedingt in einem vertrauensvollen und partizipativen Prozess erarbeitet werden. Hierfür sind bedarfsorientierte Austauschformate wichtig, damit sich alle Akteure des ÖGD einbringen können – je nach Gestaltungswillen und Ressourcenverfügbarkeit sehr aktiv (z. B. in Steuerungsrunden, als Beitragende in Veranstaltungen und durch die Ableitung von konkreten Maßnahmen) oder eher zurückhaltend als Teilnehmende an Informationsveranstaltungen. Nur einem derart gemeinschaftlich erarbeiteten Zielbild fühlen sich alle Beteiligten verpflichtet.
- Ist-Analyse der digitalen Reife durchführen: Gesundheitsämter und andere ÖGD-Einrichtungen sind unterschiedlich weit bei der Digitalisierung und wissen in der Regel nicht, auf welchen Digitalisierungsfeldern sie weit fortgeschritten sind oder wo noch großes Potenzial besteht. Vor der Identifikation und Umsetzung von Maßnahmen sollte daher zunächst eine systematische Ist-Analyse der digitalen Reife im Land erfolgen, damit mehr Förderung dorthin fließt, wo sie stärker gebraucht wird. Erst durch diese belastbaren Informationen über den Status quo der Einrichtungen können Entwicklungsrichtungen aufgezeigt und konkrete Umsetzungsmaßnahmen abgeleitet werden. Die Akteure vermeiden so das viel zitierte Gießkannenprinzip.
- Föderale Gestaltungsbefugnisse nutzen: Vor dem Abruf von Fördermitteln sollten Länder weitsichtig entscheiden, in welchem Umfang sie selbst Mittel beantragen oder inwieweit dies den einzelnen Einrichtungen in Eigenverantwortung überlassen wird. Dabei sollte ein Bundesland vorausschauend sicherstellen, dass für die spätere Umsetzung der Projekte ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen, insbesondere Personal. Andernfalls werden geplante Maßnahmen schnell zum Papiertiger.
- Abruf der Fördermittel unterstützen: Die formale Beantragung der Fördermittel durch die Einrichtungen des ÖGD erfordert ein hohes Maß an Expertise und Erfahrung. Das Land kann hierbei viel Arbeit abnehmen. Es lohnt sich beispielsweise, ausgefüllte Musteranträge sowie Maßnahmenideen bereitzustellen und einen strukturierten Austausch zwischen ÖGD-Einrichtungen zu etablieren. Parallel zur Akquise der Fördermittel müssen Strukturen für ein fortlaufendes Transformations- und Fördermittelcontrolling aufgebaut werden. So ist sichergestellt, dass die Mittel dorthin fließen, wo sie eine bestmögliche Wirkung entfalten.
- Den Menschen in den Mittelpunkt stellen: Bei aller Euphorie, digitale Technologien stärker zu nutzen – ihr Einsatz ist Mittel zum Zweck und darf niemanden von Leistungen des ÖGD ausschließen. Die digitale Transformation des ÖGD wird nur dann nachhaltig erfolgreich sein und auch angenommen werden, wenn den Interessen und Bedarfen der Mitarbeitenden sowie der Bürgerinnen und Bürger jederzeit konsequent Priorität eingeräumt wird. Jede Maßnahme aus dem Pakt ÖGD sollte deshalb immer vorab aus der Perspektive der genannten Zielgruppen entwickelt werden – beispielsweise, indem das Feedback der Bürgerinnen und Bürger zur präferierten Ansprache (digital oder analog) bezüglich der angebotenen Leistungen berücksichtigt und entsprechende Schlussfolgerungen getroffen werden. Ebenso sind es die Mitarbeitenden des ÖGD, die die Strukturen am besten kennen und sinnhafte sowie nachhaltige Optimierungspotenziale aufzeigen können.
Der Pakt ÖGD birgt ein enormes Potenzial für die Weiterentwicklung eines zukunftsfähigen Gesundheitsdienstes. Wichtig ist bei einem so komplexen Konstrukt wie dem Gesundheitswesen in Deutschland, dass die Maßnahmen einer Strategie folgen und Fördermittel in die richtigen Kanäle fließen. Denn die Bereitstellung finanzieller Mittel ist noch kein Garant dafür, dass sich Verbesserungen einstellen. Professionell umgesetzt und unterstützt, kann der Pakt allerdings in den kommenden Jahren einen spürbaren Entwicklungsschub für die digitale Transformation des ÖGD leisten.
Wir bloggen aus Erfahrung
Sopra Steria Next arbeitet auf Landesebene mit, damit der Pakt ÖGD ein Erfolg wird. Wir erarbeiten beispielsweise eine Digitalisierungsstrategie, um die zielgerichtete Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben sicherzustellen. Wer mehr über uns erfahren möchte, hier entlang bitte – oder vernetzt euch mit uns und sprecht uns an.