Digitale Exzellenz
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Was nun, liebe Prozessmanager: Innovationstreiber oder Dokumentar?

, 24. August 2020

Lesezeit: 7 Minuten

Was nun, liebe Prozessmanager: Innovationstreiber oder Dokumentar?

Durch die Digitalisierung verändert sich das Rollenbild für eine Prozessmanagerin oder einen Prozessmanager in der öffentlichen Verwaltung. E-Akte, Blockchain und Data Analytics bringen im Behördenalltag nur Mehrwerte, wenn auch die Abläufe stimmen. IT und Prozess gehören somit zusammen. Die Praxis zeigt, dass diese Verzahnung von Technologie und Prozessen nicht ausreichend stattfindet. Deshalb hier ein Plädoyer für eine Neuausrichtung des Prozessmanagements in der öffentlichen Verwaltung.

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung nimmt Fahrt auf. Dank E-Government-Gesetz wird es zudem bald eine rein digitale Aktenführung geben. Die Verzahnung von Prozessen und IT ist damit aus der modernen Verwaltungspraxis nicht mehr wegzudenken – und doch ist sie im Geschäftsprozessmanagement noch nicht durchgehend in Rolle und Methodik verankert.

Geschäftsprozessmanagement ist einmal mit dem Nutzenversprechen angetreten, durch Prozessdokumentation institutionalisiertes Wissen transparent und wiedernutzbar zu machen, durch Analysen Entscheidungsqualität zu erhöhen, durch kontinuierliche Verbesserung Effizienz zu steigern und das Denken in Prozessen und nicht in Abteilungssilos in den organisatorischen Köpfen zu etablieren. Über Jahre hinweg haben viele Behörden damit auch gute Erfolge erzielt.

Wer von der Digitalisierung profitieren möchte, braucht passende Prozesse

Durch den Aufbau einer digitalen Verwaltung erweitert sich nun das Aufgabenspektrum der Prozessmanager: Die Entwicklung von mehrfach einsetzbaren Basisdiensten, eine fortschreitende Prozessautomatisierung, die systematische Analyse großer Datenmengen (Big Data Analytics) oder neue dezentrale kryptographische Ansätze, wie Blockchain, ermöglichen und erfordern innovative Prozesse mit neuen technischen Unterstützungsmöglichkeiten.

Damit diese neuen Technologien wie Machine Learning die Arbeit von Bund, Ländern und Kommunen erleichtern und die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger verbessern, müssen die Behörden ihre bestehenden Prozesse immer wieder überprüfen und an die neuen Anforderungen anpassen. Rolle, Aufgaben, Tools und Kompetenzprofile von Prozessmanagern verändern sich dadurch. Ein Blick in die Praxis zeigt, dass dieser Wandel auf operativer Ebene noch nicht abgeschlossen ist.

Neuausrichtung des Geschäftsprozessmanagements in der Verwaltung ist fällig

Zum neuen Jobprofil Prozessmanagerin oder Prozessmanager gehört, dass sie komplexere Aufgaben erfüllen können. Vor wenigen Jahren genügten einfache Wertschöpfungskettendiagramme, ereignisorientierte Prozessketten (EPK) oder so genannte Swimlanes, um fachliche Prozesse in der öffentlichen Verwaltung darzustellen. Heute sind erweiterte EPK (eEPK) sowie umfassendere Ansätze wie Business Process Model and Notation 2.0 (BPMN 2.0) zum Standard geworden.

Die modernen Ansätze stellen nicht nur Behördenstrukturen, Abläufe und Rollen dar. Sie enthalten darüber hinaus beteiligte IT-Systeme, geltende Regelwerke, unterstützende Datenströme und Prozesskennzahlen. Der Umgang mit diesen Werkzeugen erfordert deutlich mehr Analysefähigkeiten von Prozessmanagern, festigen allerdings ihre Rolle als strategische Partner für die Organisationsentwicklung der Behörde.

Prozessmanager sind als Dokumentare unterfordert

Die Komplexität der Dokumentation und der immer schnellere Anpassungsbedarf bei Prozessen führen mittelfristig jedoch zu einem Problem: Wenn die Zahl der Aktualisierungen von Prozessen steigt, verbringen Prozessmanager immer mehr Zeit mit der Revision und der Abstimmung der Ist-Prozessdarstellungen. Gleichzeitig wächst die Zahl der Stakeholder, die bei diesen Abstimmungsschleifen mitreden. Die Gefahr besteht, dass Prozessmanager ihre Rolle als Treiber der Innovation verlieren und auf die Rolle eines Dokumentars reduziert werden.

Um das zu verhindern, müssen Prozessmanager zwei Geschwindigkeiten der Innovation gemeinsam steuern: zum einen die langfristigen Optimierungen von Prozessen – beispielsweise ausgelöst durch neue Technologien – zum anderen die schnelle Umsetzung kleiner Anpassungen bei Prozessen, beispielsweise Anpassungen, wenn sich eine Rolle in einer Behörde ändert. Das erfordert eine starke Vernetzung zwischen den fachlichen Prozessen und der IT.

Die Behördenpraxis sieht noch anders aus: Aktuell beschränken sich Rollen, Vorgehen, Methodik und Toolset des Geschäftsprozessmanagements häufig auf ein Verständnis der IT als Mittel zum Zweck, als Werkzeug oder Ressource – so z.B. nachzulesen im Handlungsleitfaden für ein strategisches und operatives Prozessmanagement in der öffentlichen Verwaltung (DIN Spec 90158, S. 9/S. 15).

IT wird in dieser Norm auf eine Prozessrahmenbedingung reduziert, ihre Verantwortlichen auf die Rolle der Prozessbeteiligten. Dieses Verständnis sorgt dafür, dass Behörden bei Digitalisierungs- und klassischen IT-Vorhaben die Anforderungen oft losgelöst vom Prozessmanagement formulieren. Im ungünstigsten Fall darf eine Prozessmanagerin oder ein Prozessmanager im Nachgang die Prozessdarstellungen aktualisieren – eine klare Unterforderung und Verschwendung von Know-how. Wollen Prozessmanager ihren Anspruch als strategischer Partner der Leitungsebene und als Treiber der Veränderung bewahren, muss sich die zentrale Rolle des Prozessmanagers öffnen.

Vom Prozessmanager zum Anforderungsmanager

Die öffentliche Verwaltung kann hier von der Privatwirtschaft lernen. In Unternehmen gibt es bereits seit einigen Jahren die Rolle des Anforderungsmanagers (oft auch in der Bezeichnung „Business Analyst“). In dieser Rolle sind klassische Aufgaben wie Analyse, Optimierung und Weiterentwicklung der Geschäftsprozesse gebündelt. Darüber hinaus wird von den Anforderungsmanagern erwartet, dass sie die Weiterentwicklung der Prozesse und die inhaltliche Weiterentwicklung der IT-Systeme übernehmen.

Eine Anforderungsmanagerin oder ein Anforderungsmanager ist somit das Bindeglied zwischen Fachreferat und IT. Sie oder er versteht beide Welten und kann Anforderungen der Fachabteilungen bewerten sowie in die Sprache der IT übersetzen. Modellierungskonventionen helfen dabei. Sie vermitteln den Entwicklern, die in der Regel nicht aus der beteiligten Fachabteilung stammen, was eine Software, eine Schnittstelle oder ein Algorithmus können muss, um die Fachleute zu unterstützen.

Diese Rolle erfordert fundierte Kenntnisse des Fachgebietes der Behörde und ihrer Prozesse, sowie ausreichendes fachliches Wissen und ein technisches Grundverständnis der im Einsatz befindlichen IT-Anwendungen und deren Anpassungsfähigkeit.

Die Modellierung von Prozessen muss anforderungsnäher werden

Die Verbindung der Aufgaben des Prozessmanagers mit denen eines Anforderungsmanagers stärken die Rolle deutlich. Diese Übersetzungsleistung greift dabei in den Kern der bisherigen Arbeit des Prozessmanagers ein: die modellhafte Darstellung von Prozessen. Die Beschreibung von Datenflüssen nimmt mehr Raum ein. Dateneingaben von Menschen in Computer sowie immer mehr der eigenständige Datenaustausch zwischen IT-Systemen ist in den Abläufen moderner digitaler Verwaltungsarbeit Alltag. Diese Datenflüsse und Abhängigkeiten sowie technische Aspekte der Übermittlung wie Zeitpunkt und Häufigkeit der Übertragung in die Prozessdokumentation zu übertragen, ist Kern der neuen Übersetzungsleistung.

Ein neues Ziel für die Prozessmanager der Verwaltung

Das Geschäftsprozessmanagement in der öffentlichen Verwaltung sollte sich somit auf mehreren Ebenen verändern:

  1. Es braucht neue Wege, Verwaltungs-IT und Verwaltungsprozesse als Ganzes ausreichend detailliert und dabei verständlich darzustellen. Prozessmanager sollten an dieser methodischen Weiterentwicklung maßgeblich beteiligt sein.
  2. Prozessmanager müssen ihre Analysefähigkeit ausbauen, um Potenziale und Umsetzbarkeit von Digitalisierung und Automatisierung zu identifizieren und zu bewerten. Das gelingt nur, wenn Fachseite, Prozessmanagement und IT als Partner zusammenarbeiten.
  3. Prozessmanager müssen offenbleiben, um sich laufend fortzubilden. Sie profitieren von einer Fülle an Literatur sowie Trainings- und Unterstützungsleistungen auf diesem Gebiet.  Sich die besten Inhalte dieser Angebote zu eigen zu machen, sie anzuwenden und weiterzuentwickeln, ist der Schlüssel, um die Chancen der neuen Aufgabenstellungen für das Prozessmanagement zu nutzen.

Schon einmal sind Prozessmanager im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung als Treiber innovativer Verwaltungspraxis angetreten und haben diese etabliert. Dies stimmt zuversichtlich, dass die Prozessmanager von morgen erneut Erfolg haben werden, diesmal als Treiber der Digitalisierung.

Vielen Dank an Anton Basic, der an diesem Beitrag als Co-Autor mitgewirkt hat. Anton Basic ist Projektleiter für Prozessoptimierung und Prozessdigitalisierung bei Sopra Steria Next Public Sector. Er verfügt er über einen breiten Einblick in den Markt der modernen Prozessberatung und kennt sowohl den akademischen, privatwirtschaftlichen als auch den öffentlichen Sektor sehr gut.

Hinweis der Redaktion: Weitere Blogbeiträge zum Thema Prozessmanagement finden Sie hier.