Digitale Exzellenz
Digitale Exzellenz

Prozesse smart gedacht

, 4. Juli 2023

Lesezeit: 8 Minuten

Prozesse smart gedacht

Intelligente Prozessautomatisierung (IPA) kombiniert das klassische Robotic Process Automation (RPA) mit Künstlicher Intelligenz (KI). IPA gilt als Weiterentwicklung von RPA und nutzt beispielsweise KI-Teildisziplinen wie maschinelles Lernen, Natural Language Processing (NLP), Computer Vision und mehr. Die öffentliche Verwaltung kann von diesem Ansatz profitieren. Hier ein Überblick über die Mehrwerte und Tipps zur strategischen Umsetzung von IPA. 

RPA ist bereits eine bewährte Disziplin in Unternehmen und im Public Sector. Der Ansatz unterstützt unter anderem beim automatisierten Datenaustausch zwischen verschiedenen IT-Systemen. Ein Softwareroboter imitiert dabei die manuelle menschliche Tätigkeit auf den Bedienoberflächen der IT-Systeme. Mithilfe von RPA können beispielsweise einfache Bürgeranfragen automatisiert werden. Dazu zählt unter anderem die Einfache Melderegisterauskunft (EMRA) für die Suche nach Personen. Der Bürger erhält seine Auskunft in wenigen Minuten und das rund um die Uhr.  

Bei komplexen Arbeitsvorgängen entlasten RPA und KI die Mitarbeitenden in den Behörden. In Organisationen der Privatwirtschaft (bspw. Banken) übernehmen IPA-Lösungen unter anderem IT-Support-Aufgaben wie das automatisierte Rücksetzen von Passwörtern. Die KI-Komponente analysiert Dateianhänge und sorgt somit dafür, dass keine falsche oder überhaupt eine Antwort gegeben wird und erweitert so das Anwendungsspektrum der Prozessautomatisierung durch nicht-regelbasierte Fälle. In der öffentlichen Verwaltung gibt es zahlreiche ähnliche gelagerte Alltagstätigkeiten, die auf diese Weise automatisiert werden können. 

„Intelligente Automatisierung kann in Zeiten des zunehmenden demografischen Wandels und Fachkräftebedarfes ein Teil der Lösung sein. Auf diesem Weg müssen wir aber transparent vorgehen und unsere Kolleginnen und Kollegen mitnehmen.“  (Andrea Nahles, Vorstandvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit)

Technisch betrachtet, kann durch die KI in IPA nicht nur strukturierte, sondern ebenfalls semi-strukturierte und unstrukturierte Daten verarbeitet werden. Hinzu kommt, dass IPA nicht nur mit strikt regelbasierten Aufgaben umgehen kann, wie es bei RPA der Fall ist.  

Wichtig: IPA wird ihrer Vorgängerin RPA nicht den Job streitig machen. Für beide Disziplinen gibt es spezielle Einsatzfelder. 

IPA EvolutionsschritteAus RPA wird IPA – Das 3-Stufen-Modell der Prozessautomatisierung 

Mehrere 100.000 Stunden Einsparpotenzial durch den Einsatz von IPA  

Wie eine solche Automatisierung in der öffentlichen Verwaltung aussehen kann, lässt sich am Beispiel Elterngeld zeigen. IPA unterstützt insbesondere in drei zentralen manuellen Arbeitsschritten: Auslesen der Informationen, Übertragen in das Fachverfahren und Berechnen des Anspruchs auf Elterngeld. Diese Unterstützung ist bei der Elterngeldbearbeitung dringend notwendig. Der bundeseinheitliche Elterngeldantrag umfasst derzeit (hier ein Beispiel aus Hamburg) 24 Seiten. Hinzu kommen entsprechende Nachweise zu Eltern und Kind. Die KI unterstützt die Sachbearbeitenden bei der Antragsbearbeitung und erkennt beispielsweise, um welches Dokument oder Nachweis es sich handelt und extrahiert die relevanten Informationen. 

Diese Informationen werden von einem RPA-Bot in das Fachverfahrenen übertragen und die Berechnung des Elterngeldes angestoßen. Auf Basis der Informationen im Fachverfahren bestimmt der RPA-Bot die Höhe des Anspruchs auf Elterngeld, beispielsweise anhand der Steuerklasse und der Höhe des Einkommens. Mitarbeitende in der zuständigen Behörde prüfen die Berechnung lediglich und korrigieren gegebenenfalls. Am Schluss des Verfahrens überträgt der RPA-Bot den geprüften Antrag in einen Bescheid schickt ihn an die Eltern. 

Prozessautomatisierung am Beispiel ElterngeldProzessautomatisierung am Beispiel Elterngeld 

Einsatzspektrum für IPA 

Das Beispiel zeigt: Behörden erreichen durch IPA nahezu eine End-2-End-Automatisierung. Mitarbeitende werden nicht nur von Einzelschritten eines Vorgangs entlastet. IPA-Lösungen können sämtliche Schritte eines Arbeitsvorgangs übernehmen.  Damit können insgesamt die Durchlaufzeiten der Bearbeitung reduziert werden. Mitarbeitende erhalten den wichtigen Freiraum für individuelle Beratung, die bei der Beantragung der komplexen Leistung essenziell ist. In diesem Fall lassen sich mehrere 100.000 Arbeitsstunden im Jahr auf Seiten der Behörde einsparen. Auch die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger steigt durch kürzere Bearbeitungszeiten. 

Ein weiterer Mehrwert ist die Steigerung der Qualität von Arbeitsergebnissen. Behörden senken somit das Fehlerrisiko z.B. bei der Dateneingabe oder der Berechnung des Elterngeldes. Zudem gilt die Technologie als ressourcenschonend. Die Lösungen sind vergleichsweise günstig in der Anschaffung und lassen sich ohne großes Einführungsprojekt in einem kurzen Zeitraum implementieren. Der Grund: Traditionelle Automatisierung von Software erfolgt primär im Back-End und über programmierte Schnittstellen. Bei IPA findet die Automatisierung meist auf der Frontend-Ebene statt. Die Einführung ist damit deutlich weniger komplex.  

Systematik der Einsatzgebiete für IPA in der WissensarbeitSystematik der Einsatzgebiete für IPA in der Wissensarbeit 

Weitere Typische IPA-Disziplinen lauten Erfassung und Klassifikation von Daten, Verarbeitung natürlicher Sprache und die daraus abgeleitete Einordnung von Zuständigkeiten. Dazu kommen Aufgabengebiete wie Entscheidungsautomatisierung oder -assistenz.  

Herantasten an IPA 

Behörden, die Prozesse automatisieren wollen, gehen am besten stufenweise vor (s. Schaubild des 3-Stufen-Modells). Erfahrungen mit der Basistechnologie RPA sind vor einer IPA-Anwendung in jedem Fall ratsam. Idealerweise beginnt die Automatisierung mit einfachen, besonders monotonen und fehleranfälligen Prozessen. Die Erfahrungen helfen zum einen, die Prozesse insgesamt zu prüfen und zu optimieren. Zum anderen schaffen Optimierungen und Standardisierungen wiederum Vertrauen für den Einsatz von Unattended RPA. Erst mit den gesammelten Erkenntnissen und Know-how sollten sich Behörden komplexeren Prozessen widmen, bei denen IPA-Lösungen durch Predictive Analytics (zum Beispiel Prognosen) und Prescriptive Analytics (zum Beispiel das Bereitstellen von Handlungsalternativen) die Entscheidungsqualität und die Entscheidungsgeschwindigkeit von Behördenleitungen stärkt.  

IPA-Hürden meistern 

Wer in der öffentlichen Verwaltung IPA einführen möchte, wird sich einigen Herausforderungen stellen müssen. Diese fünf Aufgaben gilt es, unter anderem, zu meistern: 

  • Das juristische Kleingedruckte beachten: Die gute Nachricht: Behörden dürfen grundsätzlich nach §35a Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) Aufgaben ohne Beurteilungs- oder Ermessensspielraum automatisieren. Durch seine eingebaute KI ist der Einsatz von IPA allerdings vielfach eingeschränkt. Beamtenrechtliche Entscheidungen dürfen beispielsweise nicht ausschließlich durch automatisierte Systeme getroffen werden. Personen können zudem laut DSGVO verlangen, dass bei rechtlich wirkenden Entscheidungen immer ein Mensch beteiligt sein soll.  Weitere Hürden sind das obligatorische Gebot der Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit, im AI-Act geregelte Einschränkungen für so genannte Hochrisiko-Einrichtungen sowie die Bestimmungen zu „Reisefreiheit“ von Daten. Insbesondere personenbezogene Daten dürfen nach Schrems II die EU nicht ohne weiteres verlassen. 
  • Genügend Trainingsdaten bereitstellen: Die KI in IPA benötigt eine beträchtliche Menge Daten, um zu lernen. Anbieter von Standardlösungen bieten oftmals voreingespeiste und trainierte Daten. Besser sind realistische Daten, entweder synthetisch hergestellt oder aus dem laufenden Betrieb, deren Nutzung entsprechend gesichert und geschützt werden muss.  
  • Unsicherheit begegnen: Automatisierung wird nicht nur mit Entlastung und Effizienz assoziiert, sondern auch mit Job-Abbau und digitaler Überforderung bei den Mitarbeitenden, die mit der Technik arbeiten. Dazu kommt eine generelle KI-Skepsis bei Mitarbeitenden und Entscheidungsträgern. Hier sind Kompetenz-Aufbau und Change-Management gefordert.  
  • Ethische Aspekte berücksichtigen: Verwaltungen, die mit Technologie wie KI arbeiten, müssen für Transparenz sorgen. Sie müssen darstellen können, wie eine KI zu ihrem Ergebnis kommt (Explainable AI) und potenzielle Verstöße gegen ethische Grundsätze vermeiden. Mehr zu digitaler Ethik, inklusive Quick Check für Behörden, liefert unsere Themenexpertin Anne Haug auf unserer Website. 
  • IPA nicht als rein technisches Projekt betrachten: Wichtig ist, sich nicht nur um die technische Umsetzung von IPA-Projekten Gedanken zu machen. IPA-Vorhaben sollten kein IT-getriebenes Silo-Projekt sein, sondern immer Teil einer Gesamtstrategie für mehr Effizienz und der künftigen Aufgabenerfüllung. Strategie, Organisations- und Prozessmanagement, Veränderungs- und Kommunikationsmanagement und Befähigung gehören somit immer dazu.  

Unterstützung in der Konzeption und Umsetzung durch mehr Co-Creation  

Marktplätze, digitale Vernetzung mit anderen Behörden, Open Source sowie Plattformen wie der GovTech Campus in Berlin sind enorm hilfreich, um das Thema intelligente Prozessautomatisierung voranzutreiben. In einem solchen interdisziplinären und (digitalen) Ökosystem können einzelne Behörden: 

  • sich schnell ein Bild über das Potenzial von IPA machen  
  • ein generelles Bewusstsein für neue Technologien wie IPA entwickeln 
  • sich zu Use Cases austauschen  
  • auf relevante Expertise und Ressourcen der Partner zugreifen 
  • Beschaffungswege verkürzen 
  • den Datentransfer erleichtern 
  • das eigene Mindset fördern  

Behörden, die sich so ein umfassendes digitales Ökosystem aufbauen, werden schneller und besser in ihren (intelligenten) Automatisierungsvorhaben vorankommen. Im Sinne von Open Source können Partner eines Ökosystems gemeinsam Lösungen entwickeln, die andere nachnutzen können, zum Beispiel gemeinsame KI-Trainingsumgebungen. Die Realisierung von IPA-Vorhaben durch Co-Creation erleichtert die behördenübergreifende Entwicklung und Datennutzung, wenn die entsprechende Infrastruktur für rechtssicheren Datentransfer und Datenverarbeitung durch Ökosystempartner bereitgestellt werden. Im Ergebnis können Herausforderungen der IPA-Nutzung gemeinsam gemeistert werden und die Effizienz sowie Effektivität der Automatisierungsvorhaben gesteigert werden.   

Mehr zum Management digitaler Ökosysteme

_______________ 

Sprecht uns an… 

…wenn ihr mehr zur Technologie hinter IPA, zu den Mehrwerten und zur strategischen Planung und der Umsetzung erfahren möchtet.