Arbeitsfähig bleiben hatte Mitte März, als COVID-19 nach Deutschland kam, höchste Priorität. Viele Arbeitgeber mussten plötzlich etwas ad hoc ermöglichen, was sonst wochenlanger, wenn nicht sogar monatelanger Vorbereitung bedarf: Homeoffice, und das möglichst für alle. Für die Personalabteilung nicht nur ein organisatorischer Kraftakt. Die HR-Manager mussten die Kolleginnen und Kollegen unterstützen, die sich zwischen Video-Chat, Remote-Zugriff auf Firmennetze und Digitales Schooling digital überfordert fühlen. Das zeigt einmal mehr: ohne Human Resources keine digitale Veränderung.
Um kaum ein anderes Thema in der Arbeitswelt ranken sich so viele Mythen wie um Homeoffice. Wichtig ist daher, dass Unternehmen mithilfe des HR-Managements die positiven und negativen Seiten von Homeoffice aktiv herausarbeiten und die Einführung vorbereiten und unterstützen.
Arbeiten von Zuhause aus ist für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Traum: kein Anfahrtsweg zur Arbeit, weniger Stress mit den Kolleginnen und Kollegen wegen lauter Telefonate, der richtigen Wohlfühltemperatur im Großraumbüro oder anderer Meinungsverschiedenheiten sowie kein ungewollter Small Talk. Und dazu eine flexiblere Gestaltung der eigenen Arbeit. Da entsteht bei Vielen ein Gefühl von Freiheit, Selbstbestimmung und Entspannung.
Der Arbeitgeber freut sich ebenfalls durch viele vermeintliche Vorteile: weniger Ablenkung durch Trubel und Lärm (zumindest in Haushalten ohne Kinder), keine verführerischen Treffs in der Kaffeeküche. Stattdessen volle Konzentration auf die Arbeit. Zudem hat es einen positiven Einfluss auf die Arbeitgebermarke, Homeoffice zu ermöglichen. Und: Homeoffice spart Kosten für räumliche Ressourcen.
Die Kehrseite der Homeoffice-Medaille
Diese schöne neue Welt der Heimarbeit hat allerdings auch ihre Schattenseiten: Weniger Dialog mit den Kolleginnen und Kollegen bedeutet, dass der Austausch von Informationen schleppender abläuft. Durch die wegfallende persönliche Kommunikation fühlen sich zudem viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsam.
Tägliche Gruppen-Chats per Video sowie der schnelle Messenger-Draht zur Chefin oder Chef helfen zwar, das Gemeinschaftsgefühl aufrecht zu erhalten. Die digitale Fernkommunikation sowie die physische Verlagerung des Arbeitsplatzes lassen jedoch Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmen. Ziel- und Interessenskonflikte entstehen.
Zudem existiert im Homeoffice die Gefahr, durch Familie und Haushalt abgelenkt zu werden. Eigenschaften wie Selbstmotivation, Disziplin und Zeitmanagement sind noch stärker gefragt als im „normalen“ Büro.
Dazu kommt: Die Arbeit aus dem Homeoffice läuft komplett digitalisiert ab. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleben dadurch einen stetigen Druck, neue digitale Kompetenzen aufzubauen oder zu erweitern. Viele kommen mit dem Always-Online-Sein nicht zurecht und arbeiten deutlich länger. Andere scheitern an der Tool-Vielfalt. Sie reagieren nur noch auf den nächsten Chat-Eintrag und können sich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren. Unternehmen befürchteten wiederum einen Kontrollverlust über ihr Personal. Führungskräfte werden auf einmal zu Kontrollfreaks oder kümmern sich umgekehrt nur noch um ihren Schreibtisch. Dier Ad-hoc-Umstieg in eine neue Arbeitswelt führt somit auf beiden Seiten nicht selten zu digitaler Überforderung.
Ob Digital Native oder Digital Immigrant – Überforderung kann jeden treffen
HR hat viele Möglichkeiten zu helfen – entweder um digitale Überforderung im Homeoffice zu vermeiden oder Symptome zu lindern. Ziel ist, dass sich Mitarbeiter und Führungskräfte in der neuen, digitalen Realität der Arbeit zurechtfinden. Denn durch Homeoffice kann sogenannter Technostress entstehen – ein Ungleichgewichtszustand zwischen Anforderungen von digitalen Technologien und den persönlichen Ressourcen, die hierfür zur Verfügung stehen. Spezielle Digital Talent Trainee-Programme oder Lernplattformen können helfen, die Beschäftigen mit der Metakompetenz Digital Fluency auszustatten, der Fähigkeit, sich sicher und zielorientiert im Spannungsfeld „analog versus digital“ zu bewegen.
Wichtig ist, Befähigung für individuelle Anforderungen bereitzustellen. Verschiedene Generationen haben beispielweise unterschiedliche Unterstützungsbedarfe bei der Digitalisierung von Arbeit, also auch bei der Umstellung auf Homeoffice. (siehe Studie Digitale Überforderung im Arbeitsalltag, Sopra Steria, 2016).
Mit zunehmendem Alter (Digital Immigrants = Generationen, die erst im Erwachsenenalter digitale Technologien kennengelernt haben) steigt tendenziell der Bedarf an explizitem, digitalen Wissensinput für Remote Work. Diese Gruppe ist vor allem empfänglich für Online-Schulungen, die ihnen erklären und zeigen, wie sie neue Kommunikationskanäle bedienen können und wie sie von Zuhause auf Dokumente zugreifen können.
Viele jüngere Personen (Digital Natives = Generationen, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind) hingegen fühlen sich im Homeoffice häufiger digital überfordert, weil es ihnen durch das Überangebot an Kommunikationstechnologien und Informationsquellen sowie der verführerischen Ablenkung durch die private Umgebung schwerfällt, konzentriert und effizient zu arbeiten. Für diese Zielgruppe kann HR beispielsweise Coachings anbieten und Apps bereitstellen, die dabei helfen, sich zu fokussieren und dadurch produktiver zu arbeiten. Hier einige Beispiele:
- toggl: App zum Messen von Zeit, die Sie für bestimmte Aufgaben benötigen
- Forest: App, die verhindert, dass Sie ständig das Smartphone benutzen
- Goal Tracker: App, die dabei hilft, positive Gewohnheiten zu etablieren
- TomatoTimer: Browser-Anwendung, die dabei hilft, die Pomodoro-Technik umzusetzen (Abfolge fester Arbeits- und Pausenzeiten zur Steigerung der Effektivität)
- Rescuetime: Programm, das misst, wie viel Zeit für welche Aktivität am Computer benötigt wird
- SelfControl: Mac-Programm, mit dem bestimmte Internetseiten (beispielsweise Facebook, Amazon und Co.) auf einer Blacklist vermerkt werden und dadurch für bestimmte Zeiten gesperrt werden können
Mammut-Projekt Homeoffice: Auch HR muss sich neu aufstellen
Um das Mammut-Projekt Homeoffice nachhaltig und erfolgreich zu implementieren, muss HR neben den bereits genannten Lösungsansätzen auch sich selbst neu orientieren und strukturieren. Grundlegend muss HR verstehen, welche Schwächen und Stärken Homeoffice mit sich bringt. Beides muss dann als positiv konnotiertes Homeoffice-Element in der Kultur des Unternehmens verankert werden. Wie das funktioniert zeigt adidas: Neben einem Fokus in der Personalentwicklung auf dem Thema Digitale Fähigkeiten, wurden ein Digital Talent Traineeprogramme sowie eine Digital Unit eingeführt. Weitere wichtige Schritte für eine Homeoffice-Kultur sind eine Homeoffice Policy sowie ein Kommunikationskonzept und Einblick in Best Practices.
Zusätzlich sollten alle Standard-HR-Prozesse und Abläufe auf Homeoffice-Passung analysiert werden. Im Nachgang muss dann durch Prozessdigitalisierung oder die Einführung/Erweiterung einer HR-Software oder Cloud Lösung dafür gesorgt werden, dass HR, Führungsriege und Mitarbeiter auch remote ohne Reibungsverluste zusammenarbeiten können. Beispiele hierfür sind u.a. Digitales Onboarding, remote Mitarbeitergespräche, Personalentwicklungspläne und -maßnahmen oder auch die Implementierung von HR-Selfservices.
Maßgebend ist, dass HR und die gesamte Belegschaft im Rahmen eines digitalen (Self-)Assessments valide herausfindet, wo jeder Einzelne im Hinblick auf seine digitale Kompetenz steht. Auf Basis dieser Diagnose können individuelle Lernpläne zum Aufbau der erforderlichen Metakompetenz, der Digital Fluency, abgeleitet werden. HR selbst muss sich wappnen und dann in die Breite tragen, wie man sich sicher im digitalen Umfeld bewegt. SAP zeigt, wie eine Lernplattform zum zentralen Baustein für den Aufbau und die Förderung von Digital Fluency werden kann. Jeder Mitarbeiter kann über die Cloud-basierte Plattform auf das unternehmensspezifische (von HR gestaltete) Angebot an virtuellen Trainings und Präsenzschulungen zugreifen, sich eigene Lernangebote heraussuchen oder diese von seiner Führungskraft zugewiesen bekommen, um sich digital zu qualifizieren. Kulturentwicklung bedarf neben dem individuellen Skill- und Mindset zusätzlich einer bekräftigenden digitalen Führung.
Digital Work bedarf Digital Leadership
Mit dem Ad-hoc-Umstieg auf Homeoffice müssen sich Führungskräfte im Schnellverfahren in Digital Leader verwandeln. HR übernimmt die Aufgabe, der Führungsriege zu vermitteln, dass ein virtuelles Arbeitsverhältnis neuartige Ansprüche an sie stellt und Homeoffice nicht mit Kontrollverlust gleichzusetzen ist. Über Coaching Sessions oder Online-Trainings kann HR Führungs-Guidelines oder Kompetenzmodelle für Digital-Leadership-Exzellenz erstellen und Führungskräften die nun nötigen Kompetenzen vermitteln. Auch ein Peer-Group-Austausch zwischen den Führungskräften kann zielführend sein, um Probleme und Herausforderungen, des Digital Leadership zu bewältigen.
Technik und Sicherheit sind das A&O zur digitalen Exzellenz im Homeoffice
Nicht zu vergessen: Homeoffice für alle Mitarbeiter und die Führungskräfte funktioniert nur sicher und reibungslos, wenn die technischen Grundvoraussetzungen dafür stimmen. Um die Arbeit von Zuhause aus zu ermöglichen brauchen Angestellte einen passenden Arbeitsplatz mit Internetverbindung, die notwendige Hardware, Fernzugriff und Kommunikations- und Kollaborationslösungen. Dazu kommt, sicherzustellen, dass im Homeoffice Datenschutz- und Informationssicherheitsstandards erfüllt werden. HR ist hier ebenfalls gefragt und zwar als Schnittstelle und Vermittler zwischen IT und Datenschutz sowie den Beschäftigten im Homeoffice. Spezielle Informationskampagnen und Auffrischungen sowie Tutorials zur Organisation und Schutz des Heimarbeitsplatzes helfen, dass Homeoffice technisch stabil und sicher möglich ist.
Dank Corona von 0 auf 100 zum Remote Work Champion
Die Corona-Pandemie zeigt eines sehr deutlich: HR ist ein wichtiger Player, wenn Strategien, Strukturen und Prozesse von heute auf morgen obsolet sind und eine neue digitale Arbeitswelt geschaffen und implementiert werden muss. Kollektives Homeoffice zu Corona-Zeiten ist für Unternehmen und öffentliche Verwaltung ein zentraler Schritt hin zur Digitalen Exzellenz. Auf Vielem können die Verantwortlichen im „New Normal“ aufbauen. Es ist aber auch eine große Herausforderung für alle Beteiligten und erfordert besondere Führungskonzepte, dezidierten Support durch HR und klar definierte Grenzen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Links
https://www.tagesschau.de/ausland/interview-chatman-home-office-101.html
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