Digitale Exzellenz
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Neue Versicherungstarife: Wie geht es eigentlich PAYL und PAYD?

, 28. August 2019

Lesezeit: 6 Minuten

Neue Versicherungstarife: Wie geht es eigentlich PAYL und PAYD?

Verhaltensbasierte Tarifmodelle wie Pay as you live (PAYL) und Pay as you drive (PAYD) bahnen sich wieder ihren Weg nach oben auf der Agenda der Assekuranz. Sensorik in Wearables und Smart Phones, Internet of Things, Telematik und Telemetrie haben sich entscheidend weiterentwickelt und bieten mittlerweile Anwendungsszenarien in „Echtzeit“. Die Ansätze haben prinzipiell das Potenzial, sich flächendeckend durchzusetzen, sind aber nicht unumstritten. So steht es um die Zukunft der Tracking-Tarife, und diese Versicherer in Deutschland setzen sie ein.

31 Prozent der Versicherer wollen mit Tracking-Angeboten wachsen. Das zeigt unser Branchenkompass Insurance 2019. Die Branche sieht also in diesen adaptiven Tarifierungen einen großen Markt für ganz neue Produkte – eine situative Risikobewertung mit individuellen, dynamischen Versicherungsprämien, die sich an dem jeweiligen Verhalten und vor allem am aktuellen Bedarf der versicherten Person ausrichten. Möglich werden die Tarife durch die zunehmende Vernetzung von Mensch und Geräten und die einfache Auswertung großer Datenmengen. Durch Big Data lassen sich Versicherungsrisiken exakter errechnen und individuell zuordnen. Die beiden noch dominierenden Policen-Angebote sind PAYL und PAYD.

PAYL: Versicherer locken mit Vergünstigungen

Pay-as-you-live-Tarife basieren auf Gesundheitsdaten und sollen Versicherten zu einem gesünderen Lebensstil verhelfen. Teilnehmer generieren mithilfe von Wearables wie Smart Watches und Fitnesstrackern Daten, die dann an die Versicherungen übermittelt werden. Die Prämien werden also anhand von persönlichen Daten bestimmt, nicht an allgemeinen Parametern wie Wohnort, Alter oder Beruf. Ein gesunder Lebensstil wirkt sich auf die Höhe der Versicherungsprämie aus. Aber auch Rabatte bei Handelspartnern wie Amazon sind denkbar.

Die in Deutschland anzutreffenden Angebote lassen sich der zweiten Variante zuordnen: Sie bieten Anreize und keine echten auf Vitaldaten basierenden Versicherungstarife. Die Lifestyle-Angebote belohnen eine gesunde Ernährung und sportliche Betätigung, schlechte Lebensweisen hingegen werden nicht bestraft.  So auch bei der Generali. Der italienische Versicherer ermöglicht Kunden Vergünstigungen bei Partnern wie Expedia, Adidas sowie Amazon und bietet dadurch Anreize, das Gesundheitsprogramm abzuschließen. Die PAYL-Ergänzung „Generali Vitality“ wird immer in Verbindung mit einer Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsversicherung, Schwere-Krankheiten-Versicherung oder Risikolebensversicherung abgeschlossen.

Das Schweizer Start-up Dacadoo setzt zusammen mit der Hannover Rück ebenfalls auf die Karte „Gamification gepaart mit Selbstoptimierung“. Die Plattform soll künftig für Lebensversicherer ausgebaut werden und eine End-to-End Lösung anbieten. Am Ende sollen echte Pay-as-you-live-Produkte stehen.

Wie bereits 2016 in einer Masterarbeit analysiert, müssen auf dem Weg zu tragfähigen Tarifen und Gesundheitsservice auf Basis individueller Nutzerdaten immer noch  einige Risiken untersucht sowie Bedenken überprüft und entkräftet werden. In anderen Ländern sind echte PAYL-Versicherungen dagegen deutlich stärker verbreitet. In den USA hat der Versicherer John Hancock unlängst verkündigt, ab jetzt ausschließlich Lebensversicherungen anzubieten, die auf diesem Prinzip beruhen. Auch in China können die Bürger von besseren Krankenversicherungen profitieren, wenn sie einen positiven Score im freiwilligen „Social Credit System“ erhalten. In Italien sind Telematik-Tarife mit Marktanteilen von bis zu 20 Prozent ebenfalls beliebt.

Heilige Kuh Kollektivprinzip bleibt unangetastet

Hierzulande werden jedoch nur zaghafte Schritte unternommen. Das liegt an immer noch stark verankerten Ressentiments in der Branche und am schwach ausgeprägten Mut, Paradigmenwechsel vorzunehmen.

Stärkstes Contra-PAYL-Argument: Die Tarife der Krankenkassen und Lebensversicherungen sprechen gegen das Solidarprinzip, dass Viele für die Not des Einzelnen einstehen. Verhaltensbasierte Tarife messen das individuelle Risiko jedes Versicherten, der dann einen auf sich zugeschnittenen Beitrag bezahlt. Das heißt, dass Risiken nicht mehr auf die Gemeinschaft abgewälzt werden, sondern auf den Einzelnen. Hauptkritik an diesem Modell: Kranke, alte und weniger aktive Menschen werden benachteiligt. Gleiches gilt für Personen, die nicht an solchen Versicherungsmodellen teilnehmen wollen.

Das sind auch die Gründe, warum sich große Versicherungen wie die Allianz sowie Ergo und ihre PKV-Tochter DKV gegen diese Modelle aussprechen. Anstatt eines PAYL-Tarifs bietet die Allianz einen extra Baustein für Sportbegeisterte an. Dieser bietet gegen Aufpreis Zusatzleistungen wie einen Laktat-Tests oder EKGs an. Die DKV hat hingegen eine Aktiv-Prämie im Angebot. Diese unterstützt einen gesunden Lebensstil die Bezuschussung eines Fitnesstrackers. Daten werden jedoch nicht übermittelt. Viele Krankenkassen bieten Bonusprogramme an, in denen Versicherte Punkte sammeln können. So bietet die AOKFitmitAOK“ an. Eine App, die einem Belohnungssystem gleicht, ähnlich dem Bonusheft vieler Kassen.

Fragt sich, wann sich ein Versicherer oder gewichtiger branchenfremder Player doch an die heilige Kuh „Kollektivprinzip“ herantraut. Die traditionellen Kalkulationsgrundsätze und Preismechanismen der Versicherer werden der Nachfrage nach risikoadäquaten, individualisierbaren Versicherungsprodukten nicht mehr gerecht. Zudem mögen die Deutschen Wearables und sind auch bereit, Daten für Mehrwerte preiszugeben.

PAYD: Geringe Prämie durch regelkonformes Fahren

Das zeigt sich in der Kfz-Sparte.  Die PAYD-Tarife funktionieren nach dem Prinzip „Zahle, wie du fährst“. Die Prämie der Autoversicherung wird nach der Fahrzeugnutzung berechnet, regelkonformes Fahren belohnt. Um die Risiken einzuschätzen, kommt in den Tarifen Telematik zum Einsatz.

Neben Parametern wie Bremsdauer oder Stadt- und Nachtfahrten, fließen auch Kennwerte wie die Geschwindigkeit und abruptes Bremsen in die Ermittlung des Fahrverhaltens ein.  Zur Erfassung der Parameter werden in der Regel zwei Varianten eingesetzt. Einerseits kann eine GPS-Blackbox im Auto installiert werden. Diese erfasst die Daten und übermittelt sie an den Versicherer, mittlerweile allerdings eine „Old-Fashion“ Variante. Durch den Keyless-Zugang zum Fahrzeug über das Smartphone kann die App (des Fahrzeugherstellers!), direkt auf die Daten des Autos zugreifen. Diese übermittelt die Datenmenge dann an den Versicherer oder verwertet sie zum Risikoschutz zukünftig selbst. Anhand dessen wird ein Score für den Versicherten berechnet.

Die zweite Variante lässt sich beispielsweise bei der HuK-Coburg finden. Eine App mit Telematik-Sensor analysiert die Fahrten mittels verschiedener Kriterien. Viele weitere Versicherer bieten ähnliche Tarife mit unterschiedlichen Ersparnissen zwischen 15 und 30 Prozent an, u.a. die Allianz, die HDI oder die Axa.

In Deutschland richten sich die PAYD-Tarife vor allem an Fahranfänger, aber auch für Fahrerfahrene könnte die Police interessant sein. Kritikpunkte sind auch hier wieder der Datenschutz und die Überwachung – die Angst zum gläsernen Autofahrer zu werden. Während die Tarife in Deutschland noch neu sind, sind sie in anderen europäischen Ländern bereits etabliert, wie beispielsweise Großbritannien, Italien oder Österreich.

Fazit: Es bleibt ein schweres, aber durchaus zukunftweisendes Geschäft

Verhaltensbasierte Versicherungen haben durchaus das Potential, sich gegenüber altbewährten Konzepten zu behaupten. Klar ist: Der Schutz der sensiblen Daten muss gewährleistet sein, aber das ist kein unüberwindbares Hindernis. Ob, bzw. wie und auf Basis welcher Technologie sich die Tarife durchsetzen werden, steht und fällt zudem nicht nur mit der Nutzerakzeptanz – die ist in weiten Teilen sogar vorhanden –, sondern auch mit der Veränderungsfähigkeit der Versicherer.