Digitale Exzellenz
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6G: So viel Potenzial steckt in der nächsten Netzgeneration

, 29. November 2023

Fotocredit: Getty Images / Qi Yang

Lesezeit: 5 Minuten

6G: So viel Potenzial steckt in der nächsten Netzgeneration

5G ist noch nicht flächendeckend verfügbar, da tüfteln Wirtschaft und Wissenschaft, gefördert vom Staat, an der Weiterentwicklung. 2030 soll 6G in Deutschland verfügbar sein, so der Plan. Was dann möglich sein könnte und was sich im Mobilfunkmarkt verändert, erläutern Dr. Christoph Bach, CTO bei Ericsson, und Jonas Wagner, Telekommunikationsexperte bei Sopra Steria.

Gleich zum Auftakt die fundamentale Frage an Sie beide: Braucht es überhaupt 6G? Reicht auf Sicht nicht erst einmal 5G?

Christoph Bach - CTO Ericsson
Dr. Christoph Bach, Ericsson

Christoph Bach: Das hängt von der zeitlichen Perspektive ab. Wenn es um den Betrieb dedizierter Unternehmensnetze mit lokalem Frequenzspektrum geht, reicht der Industrie 5G. Allerdings gibt es immer technologischen Fortschritt, und den sollten Unternehmen niemals verschlafen. Wir gehen beispielsweise davon aus, dass 6G auf Basis von 5G und 5G Advanced viel stärker als bislang zu vernetzten intelligenten Maschinen führen wird, zu programmierbaren physischen Welten und einem Internet der Sinne.

Jonas Wagner: Aus Sicht der Telekommunikationsdienstleister und Netzbetreiber lässt sich das bestätigen. Aktuell liegt der Fokus auf 5G, aber die Branche arbeitet an potenziellen Anwendungsfällen und Standards für 6G. Die Technologie wird neue Geschäftsmodelle ermöglichen, insbesondere in den Einsatzfeldern Internet of Things (IoT), Industrie 4.0 und autonomes Fahren. In diesem Whitepaper ist beispielsweise dargestellt, welches Potenzial allein im Geschäftsfeld IoT für die Telekommunikationsbranche steckt, und mit 6G werden die Möglichkeiten eher noch größer.

Welche konkreten Lösungen für die Praxis werden erst durch 6G möglich?

Christoph Bach: Wichtige 6G-Anwendungsfälle sind aus unserer Sicht Extended Reality (XR), Präzisionsgesundheitsversorgung, intelligente Landwirtschaft, Erdüberwachung, digitale Zwillinge, Cobots und Roboternavigation. Wir erwarten darüber hinaus, dass die Endgerätetechnologie für XR-Brillen sowie haptische Geräte einen erheblichen Schub bekommen wird.

Jonas Wagner: Was wiederum den Markt für passende Dienstleistungen signifikant beleben wird. Telekommunikationsunternehmen werden wahrscheinlich mehr Services für die Automatisierung von Fabriken, Fernüberwachung im Gesundheitswesen, autonomes Fahren bei Transport und Logistik sowie beim Erfassen und Liefern von Verkehrs- und Umweltdaten in Echtzeit anbieten.

Wird 6G im Vergleich zu früheren Generationen intelligenter sein, und wodurch drückt sich die Intelligenz aus?

Jonas Wagner - Sopra Steria
Jonas Wagner, Sopra Steria

Jonas Wagner: Ja, ich denke schon, dass 6G eine höhere Intelligenz entwickeln wird als die früheren Generationen drahtloser Kommunikationstechnologien. Mit 6G können wir beispielsweise durch Künstliche Intelligenz die Netzwerkverwaltung automatisieren sowie durch holografische Kommunikation Darstellungen von uns selbst oder von Gegenständen in Echtzeit übertragen.

Christoph Bach: 6G wird wahrscheinlich völlig neue Fähigkeitsdimensionen aufweisen. Dazu zählen integrierte und kognitive Rechenfunktionen innerhalb des Netzes und sogar Funktionen, die über die Kommunikation hinausgehen. Beispiele sind Raum- und Zeitdaten sowie gemeinsame Kommunikation und Sensorik.

Technologiefortschritt bedeutet häufig Disruption. Werden wir in einem 6G-Ökosystem neue Player sehen?

Jonas Wagner: 6G hat das Potenzial, dass sich bald deutlich mehr Start-ups auf der Telco-Landkarte in Deutschland tummeln werden. Viele Start-ups sollen in die Forschungsnetzwerke eingebunden werden oder sich aus ihnen heraus gründen. Der Hub 6G-life hat beispielsweise als Vision ausgegeben, mindestens zehn neue Start-ups zu gründen und sich an mindestens 30 zu beteiligen. Technologiegiganten wie Google, Facebook, Amazon und Apple haben ihrerseits ein riesiges Interesse am 6G-Markt, um ihre XR-Brillen zu vermarkten, damit sich ihre Metaverse-Investitionen auszahlen. Da die Einführung von 6G noch einige Jahre dauern wird, kann sich das Ökosystem bis dahin noch sehr verändern und durch neue Akteure am Markt aufgemischt werden.

Ericsson hat die technische Leitung für das europäische Forschungsprojekt Hexa-X-II und ist führend bei Arbeiten zum Funkzugang im deutschen Forschungsprojekt 6G-ANNA. Wo stehen die Projekte?

Christoph Bach: Wir loten mit den Projekten das Potenzial von Technologiebausteinen aus und entwickeln erste Ideen für Systemkonzepte. Energieeffizienz, Nachhaltigkeit sowie Netz- und Datensicherheit stehen dabei thematisch im Fokus. Durch vorwettbewerbliche Zusammenarbeit entstehen die 6G-Standards von morgen. Hexa-X-II ist das Flaggschiffprojekt. Hier geht es um wichtige Weichenstellungen, damit 6G der Gesellschaft nutzt, damit globale 6G-Entwicklungen berücksichtigt werden und damit Technologiesouveränität sowie strategische Autonomie der EU sichergestellt sind.

Abschließend: Worauf dürfen sich Privathaushalte freuen, wenn 6G da ist?

Christoph Bach: Ich denke, die ersten Anwender werden zunächst die Unternehmen sein. Für Konsumentinnen und Konsumenten wird die immersive 6G-Kommunikation nachgelagert ein neuartiges Telepräsenz-Erlebnis bieten und die Entfernung als Hindernis für die Interaktion beseitigen. Mixed Reality wird beispielsweise flächendeckend in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Verfügung stehen und jedem Fahrgast ein eigenes virtuelles Erlebnis bieten.

Jonas Wagner: Entfernung ist ein wichtiges Stichwort: Denkbar ist, dass durch XR-Anwendungen noch mehr Konsumenten an Massenveranstaltungen wie Konzerten oder Sport-Events teilnehmen können, ohne physisch anwesend zu sein. Nehmen wir nur einmal das American-Football-Spektakel in Frankfurt im November. In den Deutsche Bank Park passten zirka 50.000 Menschen pro Spiel. Die Veranstalter hätten jedoch drei Millionen Tickets verkaufen können. Hier tun sich riesige Märkte durch Metaverse-Geschäftsmodelle auf, die durch neue Technologie erschlossen werden können – vorausgesetzt, die Geräteindustrie bietet genügend Komfort und Erlebnis.

Vielen Dank für das Gespräch!                                                                                                                                           

Das Interview führte Nils Ritter, Redaktion Digitale Exzellenz