Digitale Exzellenz
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Digitale Schule: „Erst denken, dann digitalisieren“

, 26. September 2018

Lesezeit: 5 Minuten

Digitale Schule: „Erst denken, dann digitalisieren“

In den vergangenen Wochen wurde reichlich über Digitaloffensiven in deutschen Klassenzimmern berichtet – und gestritten. In den Debatten treten Schlagworte wie „digitale Sucht“ und „digitale Gesundheit“ in Erscheinung. Unangenehme Wahrheiten für einen Management- und Technologieberater, der einen großen Teil seiner Zeit damit verbringt, durch Digitalisierung die Welt zu verändern. Ein Plädoyer für die richtige Balance zwischen Smart und Phone in der Schule.

Anlass für diesen Beitrag war der Aufschrei meiner Tochter: „In Frankreich darf man keine Handys mehr benutzen.“ Dabei ist das Handyverbot für die französischen Schüler nichts Besonderes. Die Benutzung internetfähiger Geräte wie Handys, Tablets und Smartwatches während des Unterrichts ist an Frankreichs Vor-, Grund- und weiterführenden Schulen schon seit 2010 nicht mehr gestattet. In Bayern übrigens auch nicht – allerdings steht das im Jahr 2006 eingeführte Handyverbot an Bayerns Schulen schon wieder auf der Kippe.

Wozu das Fokussieren auf alle Arten von Bildschirmen führen kann, ist überall erkennbar. Junge Menschen haben weniger direkten Kontakt, dafür sind sie schneller und unmittelbarer im Austausch miteinander. Die F.A.Z. spricht von Smartphones als Aufmerksamkeitsvampire.
Fakt ist: Die Digitalisierung verlangt heute deutlich mehr Aufmerksamkeit von allen Beteiligten als wir uns das vorgestellt haben. Was bedeutet das für die Digitalisierung an Schulen?

Maßvoll digitalisieren – Schonräume schaffen

Die Schule sollte ein weitgehend digitaler Schonraum sein, in dem die Schüler digitalen Medien und WLAN-Routern nicht auf Schritt und Tritt begegnen dürfen. Die Nutzung digitaler Inhalte sollte ganz gezielt erfolgen, nicht flächendeckend. Digitale Unterstützung im Unterricht, etwa für die Online-Recherche oder das Abspielen von Lernvideos, sollte ein Ausnahmefall sein. Ohne die Dauerpräsenz von Bildschirmen, Tablets oder Smartphones können sich die Schüler besser auf ihre kognitiven Fähigkeiten konzentrieren.

Erlernen essenzieller Fähigkeiten stärken

Für die Lehrkräfte solle das Vermitteln essenzieller Fähigkeiten im Vordergrund stehen. Kinder brauchen mehr denn je die Fähigkeit, grundsätzliche körperliche und mentale Fitness, Koordinationsvermögen und die Fähigkeit zur Konzentration auf schulische Aufgaben zu erlernen. Sie sollen lernen, wie man liest – immer weniger können ganze Texte gelesen und verstanden werden –, wie man richtig schreibt – noch immer gern nach Gehör – und wie mit den vier Grundrechenarten umgegangen wird.

Auch dem Wunsch, das Programmieren in den Lehrplänen von Grundschulen zu verankern, sollten Schulen mit Vorsicht nachkommen. Prof. Dr. Ute Schmid, Professorin für Angewandte Informatik an der Universität Bamberg sieht die Informatik als relevante Grundlage für bestehende Fächer wie Mathematik, Kunst oder Deutsch. „Kinder sollten frühzeitig die Gelegenheit haben, zu erfahren, dass Computermedien keine reinen Unterhaltungsmedien sind, sondern Werkzeuge zum kreativen Gestalten“, so Schmid. Damit die Schüler früh grundlegende Konzepte der Informatik und die Nutzung von digitalen Medien überhaupt verstehen können, sei eine Verknüpfung mit analogen, begreifbaren Lerneinheiten unabdingbar.

Digitalisierungsexpertise aufbauen

Digitaloffensiven der Schulen sollten bei elementaren Dingen beginnen. Es gibt viele organisatorische und technische Baustellen. Zudem fehlt Geld und Expertise, damit ein „Einsatz von Smartphone und Tablet mit klaren Regeln“, wie es das Magazin „Der Spiegel“ vor einigen Wochen in einem Leitartikel sinngemäß formulierte, überhaupt funktioniert. Einige Eckpunkte:

  • Schulen brauchen dringend Unterstützung: Konzeption, Aufbau und Pflege von IT-Infrastrukturen und digitalen Lerngeräten können nicht allein den Lehrkräften überlassen werden.
  • Die Lehrkräfte müssen auf sichere Datenspeicherorte ausgewählter, sicherheitszertifizierter IT-Dienstleister zugreifen können, in denen insbesondere personenbezogene Daten gesetzeskonform verarbeitet werden können. Auswahl und Empfehlung kommerzieller Angebote sollten von zentraler Stelle auf Bundesebene koordiniert werden.
  • Sichere und standardisierte Kommunikationsmittel müssen bereitgestellt werden. Die Lehrkräfte sollen nicht länger auf private E-Mailkonten zurückgreifen müssen, um mit Eltern, Kollegen und Verbänden zu kommunizieren.
  • Moderne Online-Plattformen ermöglichen einen sicheren und anwenderfreundlichen digitalen Austausch, zum Beispiel in Schüler-Projektgruppen oder innerhalb des Lehrerkollegiums. Einfaches Chatten oder Telefonieren, das Teilen von Bildschirminhalten oder das gemeinsame Arbeiten an Dateien sollte nicht nur Unternehmen vorbehalten sein.
  • Die Beschaffung ganzer Klassensätze mobiler Endgeräte (z.B. Tablets) könnte Schülern und Lehrkräften das zeitintensive Umziehen in den oft überbelegten PC-Raum der Schule ersparen. Nicht selten brauchen die betagten Computersysteme viel Zeit zum Starten. Das verkürzt wiederum die Unterrichtszeit.

Der Diskussion „Digitalpakt Schule“ die richtigen Impulse geben

„Mit dem DigitalPakt Schule wollen Bund und Länder für eine bessere Ausstattung der Schulen mit digitaler Technik sorgen“, verspricht die Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. In dem bis September 2018 vorgelegten Textvorschlag für die Bund-Länder-Vereinbarung für den Digitalpakt sollte erkennbar sein, dass der Befähigung der Lehrkräfte zum sicheren und konsequenten Umgang mit Digitalisierungswerkzeugen der Vorrang gegeben wird. Die Verfügbarkeit von schnellem Internet und Smartboards an den Schulen sowie der Einsatz digitaler Medien für das Lernen im Unterricht und außerhalb der Schule kann nicht primär dazu geeignet sein, Lehrkräfte und Schüler untereinander besser zu vernetzen und Bildungsbenachteiligung auszugleichen.

Analoges Lernen durch „echte“ Experimente, haptische Erfahrungen und der direkte verbale Austausch mit Mitschülern und Lehrkräften werden immer wichtiger, je mehr Digitales dazukommt. Sie werden auch in Zukunft eine essenzielle Bedeutung an unseren Schulen und für die Entwicklung von „digital gesunden“ Persönlichkeiten haben.

In diesem Sinne: Erst DENKEN, dann DIGITALISIEREN! Oder mit den Worten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung: „Keine (digitale) Ausstattung ohne Konzept“.

P.S: Ich habe meiner Tochter vorgeschlagen, an ihrer Schule einen „Schüler- und Elternbeirat für Digitalisierung“ zu gründen. Die Kreidetafeln stehen schon bereit. 😉

Foto: Getty Images / fstop123