Digitale Exzellenz
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Digitales Lean-Management: Schluss mit der Verschwendung in den digitalen Prozessen

, 6. Oktober 2021

Lesezeit: 7 Minuten

Digitales Lean-Management: Schluss mit der Verschwendung in den digitalen Prozessen

In klassischen Fabriken haben Prozessmanagerinnen und -manager die Ineffizienz und Verschwendung mithilfe von Lean-Management auf ein Minimum reduziert. Alle Handgriffe, Materialmengen und Maschinenlaufzeiten sind wie ein Uhrwerk aufeinander abgestimmt. Es ist Zeit, diese Denke auf digitale Prozesse zu übertragen. Es ist Zeit für ein digitales Lean-Management.

In Produktionsstätten ist es leicht, Verschwendung zu erkennen. Es entsteht Ausschuss, Rüst- und Wartezeiten sind zu lang, Lagerkapazitäten sind größer als nötig kalkuliert, Maschinen sind nicht ausgelastet. Industrieunternehmen haben diese Ineffizienzen mittlerweile zu einem großen Teil aus ihren Produktionsprozessen beseitigt. Das Zaubermittel lautet Lean-Management.

Bei digitalen Prozessen sieht das schon ein wenig anders aus. Hier agieren Unternehmen und Behörden so, als gäbe es keine Effizienz- und Profitabilitätsziele und keine Prozesskostenrechnung. Dabei besteht gerade bei den digitalen Prozessen das größte Potenzial, der Verschwendung zu Leibe zu rücken. Denn die Anzahl dieser Prozesse nimmt von Tag zu Tag zu. Corona-Pandemie, neue Technologien, neue gesetzliche Vorgaben und Fachkräftemangel wirken zusammen als wahrer Digitalisierungsturbo. Analoge Prozesse in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen werden gerade im großen Stil auf digitale Prozesse umgestellt oder an neue Technologien oder Bedürfnisse angepasst.

 

Prozessdaten als neues Element nicht außen vor lassen

Als Folge dieser Transformation entsteht ein neues Prozesselement, das aber noch zu wenig beachtet wird: Prozessdaten. Aufgabe der Prozessoptimierer ist, dieses neue Element in die gut geölte Arbeitswelt von Mensch und Maschine (IT-System) so einzubinden, dass Verschwendung auf ein Minimum reduziert wird.

Zum besseren Verständnis hilft zunächst ein Blick in die analoge Welt der Prozessoptimierung: Dort sind alle Prozessschritte aufeinander abgestimmt, Materialien sind zur richtigen Zeit und in der richtigen Menge am richtigen Ort, Maschinen unterstützen die Menschen und Lagerhallen sind nur so voll wie nötig. Betrachtet man digitalisierte Verwaltungs- und Administrationsprozesse in den Büros, stellt man fest: Dort ist wenig automatisiert, digitale Assistenten sind bessere FAQs, und ein Überblick über die Datenlagerhallen ist nicht vorhanden. Datenspeicher gleichen eher einer Rumpelkammer. Daten werden produziert, weitergegeben, mehrfach abgelegt, archiviert, gelöscht und vergessen. Kein Fabrikmanager würde beispielsweise auf die Idee kommen, eine Extra-Lagerhalle für zwei oder drei Materialien zu bauen. Im Büro ist das gang und gäbe. Ein neuer Unter- und Unter-Unterordner ist schnell erstellt.

Diese digitale Verschwendung kostet:

 

  • Zeit für die Suche nach Informationen und unnötiges Nachfragen beim Kollegen
  • Geld und Energie für die Speicherung und Pflege
  • Nerven durch die Frustration bei allen Beteiligten, wenn Prozesse zu kompliziert sind und Zuständigkeiten unklar
  • Wachstum, weil nötiges Wissen für die nächste Geschäftsidee nur verstreut und nicht gebündelt für alle zur Verfügung steht

Es ist Zeit für ein Umdenken und dafür, der Verschwendung in der digitalen Ära den Kampf anzusagen.

 

Die Maschine muss sich an den Menschen anpassen

Bevor Unternehmen und Behörden nun Daten in den Fokus ihrer Prozessoptimierungsstrategien stellen, sollten sie im ersten Schritt das Zusammenspiel zwischen den Anwenderinnen und Anwendern sowie den IT-Systemen bei digitalen Prozessen betrachten. So können sie feststellen, ob Mensch und IT harmonieren.

Denn: Auch bei digitalen Abläufen bleibt der Mensch das wichtigste Element eines jeden Prozesses. Egal ob er aktiv involviert ist oder einen vollautomatischen Prozess konzipiert: Ohne seine Intelligenz oder seine Handgriffe bewegt sich keine Maschine, arbeitet kein IT-System. Der Mensch selbst wird durch die Digitalisierung nicht ersetzt werden.

Trotz ihrer Relevanz reagieren Mitarbeitende teilweise antagonistisch auf die zunehmende Digitalisierung – aus IT-Skepsis und aus Furcht vor der Umstellung der bekannten und gewohnten Arbeitsweise. Dabei ist die Grundlage einer guten Zusammenarbeit das Vertrauen. Genau dieses Vertrauen gilt es den neuen digitalen Systemen entgegenzubringen. Das gelingt, indem man die Anforderungen auf die Nutzenden abstimmt und ihnen damit die richtigen Werkzeuge an die Hand gibt. Natürlich kann man mit einem Hammer eine Schraube befestigen, richtig effektiv ist dies aber nicht. Betrachtet man die Elemente Mensch und IT-Systeme getrennt, kommt es häufig zu folgenden Problemen:

 

  • Mitarbeitende machen es wie immer: Sie befüllen alte Excel-Dateien, machen sich Papiernotizen oder sind mit den neuen Systemen überfordert und resignieren bis hin zur inneren Kündigung.
  • Das Potenzial der produzierten Daten wird nicht ausgeschöpft. Informationen bleiben verborgen, müssen mühsam verifiziert werden, weil sie in mehrfacher Ausfertigung im digitalen Schrank liegen, oder lassen sich nicht weiterverarbeiten.
  • Know-how-Silos werden nicht aufgebrochen. Die IT erfüllt zwar ihre Aufgaben. Ob aber die Ergebnisse an die Bedürfnisse und Anforderungen der fachlich Arbeitenden oder der Kunden angepasst sind, weiß man nicht. Es findet kein Zusammenspiel statt, Synergieeffekte gehen verloren.

 

MUDA – digitale Verschwendung auf japanische Art erkennen

Ist die IT auf die Anforderungen der Nutzenden abgestimmt, kann das Verschlanken der Prozesse losgehen. Es gilt im nächsten Schritt, die digitale Verschwendung zu identifizieren und das dritte Prozesselement – die Daten – in den Optimierungsprozess einzubeziehen. Wie bereits beim klassischen Lean-Management lohnt der Blick nach Japan.

 

MUDA steht im Japanischen für sinnlose Tätigkeiten, das Nichtvorhandensein von Sinn und Nutzen und ist ein Element der klassischen Lean-Lehre nach Taiichi Ōno – dem Just-in-time- und Kanban-Guru. Dieser Ansatz unterteilt die Verschwendung in sieben Arten (TIMWOOD) und ist aus der analogen Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. Die Methode kann aber genauso gut in der digitalen Welt angewandt werden. Anstelle der zu verarbeitenden Materialien einer Fabrik werden Daten eines Prozesses betrachtet.

 

Mensch, IT, Daten als Team begreifen

Unternehmen erkennen digitale Verschwendung somit, indem sie die digitalen Arbeitsprozesse so wie Produktionsprozesse systematisch und laufend analysieren und dabei die drei Elemente Mensch, IT und Daten in Einklang bringen. Ein jeder ist nur so gut wie sein Gegenüber, und alle drei Elemente stehen in einer unmittelbaren Beziehung zueinander. Jede falsch an- oder abgelegte Datei, jedes unübersichtliche Programm erzeugt Störelemente, die Verschwendung erzeugen und so den Unternehmensmotor unrund laufen lassen.

Daher gilt es, sich alle drei Elemente anzusehen, mit modernen Methoden wie Process Mining Informationen zu sammeln, daraus Maßnahmen zur Reorganisation oder Automatisierung abzuleiten und die Prozesse mit Instrumenten wie Robotic Process Automation (RPA), Chatbots oder KI-gestützten Lösungen zu verbessern.

So entsteht ein digitales Lean-Management, mit dem sich unter anderem folgende Fragen beantworten lassen:

 

  • Wo verstecken sich Engpässe? Warum dauern beispielsweise IT-Tickets so lange, wie sie aktuell dauern?
  • Wo gibt es die meisten Vorgangsabbrüche oder Rückläufer, woran liegt das?
  • Ist Fachpersonal überlastet?
  • Wo können Mitarbeitende von Routineaufgaben entlastet werden?
  • Wie können Anträge, Formulare, Dokumente im Sinne derer gestaltet werden, die sie nutzen?
  • Welche Informationen brauchen vor- oder nachgeordnete Instanzen?
  • Welche Prozesse lassen sich automatisieren?
  • Wo können Ressourcen eingespart werden?

 

Digitales Lean-Management: Mehr Baukasten als Musterschablone

Digitales Lean-Management ist allerdings keine Musterschablone, die man über alle Prozesse stülpen kann. Die Prozessoptimierenden sollten sich immer wieder die Frage stellen, welchen Mehrwert und welches Ziel sie erreichen wollen, welches die Kernelemente des Unternehmens sind und an welchen Schrauben sie genau drehen wollen, um effektiv etwas zu verbessern.

Dazu sollten sie für jeden Bereich und jeden Prozess prüfen, wie sie Optimierungsschritte richtig dosieren. Je größer und komplexer Prozesse sind, desto anfälliger sind diese beispielsweise für Störungen. Daher gilt es, diese Abläufe in iterativen Schritten zu erfassen und sich einen Plan zu erarbeiten, wie man den Ineffizienzen sukzessive beikommt. Das heißt aber auch, Fachseite und IT an einen Tisch zu bringen, gemeinsam den idealen Sollprozess zu entwickeln, mit internen und externen Experten die passenden Veränderungsmaßnahmen zu bestimmen und diese immer mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen abzugleichen. Es gibt genug Prozessoptimierungen, die an der Regulatorik scheitern, weil beispielsweise bestimmte Daten nicht verarbeitet werden dürfen.

Digitales Lean-Management ist somit kein Hexenwerk. Neu sind die Prozessdaten als zusätzliches Element, das mit Mensch und IT-System zu einem gut geölten Prozess verschmolzen werden muss. Nun fehlen nur noch das Bewusstsein, genügend Handlungsdruck auf dem Kessel und die Entscheidung, die digitale Verschwendung mit genauso viel Akribie aus der digitalen Organisation zu beseitigen wie aus den Fabriken.

 


Foto: Getty Images / Jamie Grill