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Parametrische Versicherungen sind die neuen Klimaretter

, 16. Mai 2023

Lesezeit: 8 Minuten

Parametrische Versicherungen sind die neuen Klimaretter

Parametrische Versicherungen gewinnen als ein Baustein zum Erreichen von Klimazielen an Bedeutung. Die Kombination von Datenanalyse und automatisierter Schadenregulierung bringt finanzielle Absicherung und Hilfe schneller und unbürokratischer zu den vom Klimawandel betroffenen Versicherten. Speziell Schwellenländer sind durch die Absicherung erst in der Lage, in Umweltschutz zu investieren. Hier ein Überblick über die Versicherungsform.

Auf der Klimakonferenz COP27 in Ägypten 2022 wurde beschlossen, Entwicklungsländer bei der Bewältigung klimabedingter Katastrophen zu unterstützen. Dieser Schutzschild wurde nun um eine Finanzierungsvereinbarung, den sogenannten Loss and Damage Fund, erweitert.

Der Fonds soll Verluste und Schäden in den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Entwicklungsländern durch Versicherungsprogramme ausgleichen. Loss bezieht sich hier auf den Verlust von Menschenleben, Kulturen oder Arten und Damage auf Infrastrukturschäden.

Die Details des Versicherungsschutzes sind nicht abschließend geklärt. Dennoch lohnt es sich für die Versicherungsbranche, sich mit Loss-and-Damage-Programmen und der konkreten Absicherung von Naturkatastrophen zu befassen.

Wie versichere ich eine Naturkatastrophe?

Die zentrale Herausforderung für die Versicherer ist, dass sich zu erwartende Schäden durch Dürren, Flut oder Wirbelstürmen extrem schwer quantifizieren und kalkulieren lassen. Schäden gehen schnell in die Milliardenhöhe. Die Finanzstärke solcher Risiken zu versichern, besitzen in der Regel nur die Rückversicherer.

Die Versicherungsnehmerinnen und -nehmer haben vom Abschluss einer Versicherung gegen klimabedingte Schäden zudem nur dann etwas, wenn die Versicherungssumme nach Schadenseintritt schnell gezahlt wird. Wer Opfer einer Überflutung oder eines Erdrutsches wird, braucht sofort Geld für Notfall- und Hilfsmaßnahmen sowie den Wiederaufbau. Diese Menschen haben keine Zeit für eine lange Schadenregulierung, für die Gutachten um Gutachten erstellt und eingereichte Kaufquittungen geprüft werden.

Ich kann es messen, also kann ich es versichern

Das Versicherungsprodukt, das sich für diese Fälle anbietet, sind parametrische Versicherungen. Der Versicherer zahlt bei derartigen Policen bei Eintritt eines bestimmten Ereignisses einen vorher festgelegten Geldbetrag, unabhängig von den tatsächlichen Kosten des entstandenen Schadens oder Verlustes. Eine parametrische Versicherung stützt sich auf objektive, überprüfbare Daten, um die automatische Auszahlung zu veranlassen. Ein genauer Schadennachweis mit Belegen, wie beispielsweise bei einer klassischen Hausratversicherung, ist nicht erforderlich.

Bezogen auf das Beispiel einer Dürre-Versicherung würde ein Versicherer Landwirten einen vorher festgelegten Betrag auszahlen, wenn die durchschnittliche Niederschlagsmenge in einem bestimmten Gebiet unter einen ebenfalls festgelegten Schwellenwert fällt. Die Parameter, die für die Auszahlung herangezogen werden, basieren häufig auf objektiven und überprüfbaren Datenquellen, beispielsweise von staatlichen Wetterstationen, Satellitenbildern oder Tiefensensoren.

Doch lässt sich das, was für den Landwirt funktioniert, auch auf die Anforderungen ganzer Schwellenländer übertragen? Die Antwort lautet: Ja, und es wird auch schon praktiziert. Ein Blick auf den Kontinent Afrika zeigt, dass die als Sonderorganisation der Afrikanischen Union gegründete African Risk Capacity Group ihre Mitgliedsstaaten bereits seit 2012 bei der Bewältigung klimabedingter Naturkatastrophen unterstützt. Die Mitglieder erhalten Zugang zu Rückversicherungsmärkten und damit auch zum Angebot parametrischer Versicherungen gegen extreme Wetterereignisse und Epidemie Risiken.

Parametrische Versicherungen und die großen Rückversicherer

Die großen heimischen Player AXAXL, Munich Re und Hannover Re betonen in ihren Nachhaltigkeitsberichten die Bedeutung von parametrischen Versicherungen zur Steigerung der Resilienz und für den Risikotransfer bei Naturkatastrophen und Klimarisiken in Entwicklungsländern. Versicherungsnehmer der Rückversicherer finden sich bereits weltweit vor allem auf kommunaler und auf Länderebene.

Treiber für das Engagement für parametrische Versicherung sind nicht nur Geschäftsinteressen. Die Versicherer betreiben damit einen natürlichen Risikoschutz. Durch ihren finanziellen Schutzschirm können Schwellenländer in Klimaschutz und ein gesundes Ökosystem investieren. Sie helfen damit indirekt, Erdrutsche zu verhindern, den Folgen von Sturmfluten oder Überschwemmungen vorzubeugen und Schäden durch Dürren und Waldbrände einzudämmen. Im Ergebnis sinkt das Risiko, das sie Versicherungssummen auszahlen müssen. Die Beiträge sinken, und die Nachfrage wird dadurch steigen.

Ein schönes Beispiel ist die Versicherung des mesoamerikanischen Korallenriffs vor der Küste der mexikanischen Halbinsel Yucatán durch die Swiss Re. Würde das Korallenriff infolge von Verschmutzung und Sturmschäden absterben, könnte es die Erosion der Strände nicht mehr verhindern. Das würde wiederum den Tourismus gefährden, die wichtigste Einnahmequelle der Region. Die Versicherungslösung der Swiss Re garantiert eine rasche Auszahlung der Mittel, damit die Riffschäden nach einem schweren Sturm beseitigt werden können.

Parametrische Versicherungen erfordern digitale Transformation

Parametrische Versicherungsprodukte haben allerdings auch ihre Schwächen, und zwar dann, wenn die Datenlage nicht klar ist. In Ländern des globalen Südens, wo historische Klima- und Umweltdaten nicht so leicht verfügbar sind, haben die Versicherer oft Schwierigkeiten, Parameter wie Windgeschwindigkeit, Niederschlag oder regenfreie Tage zu definieren. Infolgedessen zahlen die Versicherer manchmal nicht, selbst wenn eine klimabedingte Katastrophe eintritt, weil die parametrischen Schwellenwerte nicht erreicht wurden. Die Versicherungsnehmer geraten dann doch in Erklärungsnöte und unter Belegzwang, was die Versicherungsform eigentlich vermeiden soll.

Eine weitere große technische Herausforderung ist die Datenverarbeitung und -analyse: Selbst wenn Daten verfügbar sind, können Datenauswertung und Weiterverarbeitung komplex und zeitaufwändig sein. Das beinhaltet insbesondere die Entwicklung präziser Modelle zur Risikobewertung und zur Bestimmung angemessener Prozesse für Auszahlungen. Bei diesen Modellen müssen eine Vielzahl verschiedener Faktoren und ihre gegenseitigen Abhängigkeiten berücksichtigt werden, beispielsweise historische Daten, Wettermuster und Umweltfaktoren. Das ist nur mit hochentwickelten Algorithmen und Analysetools möglich.

Dazu kommen die praktische Ausgestaltung der vertraglich zugesicherten Leistungen in die oft älteren Vertragsverwaltungs- und Schadensregulierungssysteme der Versicherer und deren Integration. Die Prüfung der auslösenden Ereignisse, der Auszahlungsbeträge und anderer Bedingungen muss vollautomatisiert durchgeführt werden können, da sonst die expliziten Vorteile einer parametrischen Versicherung für den Versicherungsnehmer nicht erfüllbar sind.

Digitales Ökosystem für parametrische Versicherungen entsteht

Die Herausforderungen für die Umsetzung parametrischer Versicherungen sind somit nicht trivial, aber lösbar. Um diese Wertschöpfungskette herum platzieren sich derzeit viele Insurtechs und andere Unternehmen mit Technologie-Know-how mit nützlichen Innovationen und Dienstleistungen für die Versicherungsbranche. Im Bereich Datenerhebung gibt es beispielsweise das britische Start-up FloodFlash. Das Insurtech installiert intelligente Wassersensoren auf den Grundstücken der Versicherungsnehmer. Beim Erreichen des vom Kunden festgelegten Wasserstandes wird innerhalb von 48 Stunden die vereinbarte Summe ausgezahlt. Um schnelle, grenzüberschreitende Zahlungen zu ermöglichen, arbeitet FloodFlash mit dem Fintech Vitesse zusammen. Produktgeber ist die Versicherungsplattform Yokahu, die auf Wetterrisiken spezialisiert ist.

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Ein weiteres interessantes Start-up für Versicherer ist Blink Parametic. Das Unternehmen stellt Versicherern über eine API-Schnittstelle in Echtzeit Flug-, Wetter- und Energieversorgungsdaten bereit. Der deutsche Versicherungskonzern Allianz zögerte nicht lange und ging 2021 eine Partnerschaft mit Blink für eine Reiseversicherungsplattform ein.

Im Bereich der Datenverarbeitung ist zu dem Descartes Underwriting zu nennen, ein in Frankreich ansässiges Insurtech. Das Unternehmen kombiniert Satellitenbilder, Sensordaten und Machine-Learning-Algorithmen, um parametrische Versicherungspolicen zu entwickeln. 2022 eröffnete Descartes Underwriting in Frankfurt das erste Büro in Deutschland mit dem erklärten Ziel, sein Angebot auf die Märkte in der DACH-Region auszuweiten.

Stärkere Kooperation von Politik und Wirtschaft lohnt sich

Doch was bedeutet das jetzt im Zusammenhang mit den Plänen der Industrienationen, die vom Klimawandel betroffenen Länder mit Versicherungsleistungen zu unterstützen? Ein häufig geäußerter Kritikpunkt an Loss and Damage Funds ist, dass sie immer nur eine unvollständige Kompensation klimabedingter Schäden sein können und von einer weiteren notwendigen, direkten Finanzierung der betroffenen Länder ablenken würden. Diese Länder haben oft nicht die finanziellen Mittel, sich eigenverantwortlich abzusichern. Ebenfalls kritisch zu sehen ist, von Menschen in den Entwicklungsländern zu verlangen, für eine Versicherung zu zahlen, obwohl sie nur geringfügig zu den globalen Emissionen und damit zur Klimakrise beigetragen haben. Das Verursacherprinzip wird hier ausgehebelt.

Die Finanzierungszusagen für ein Loss and Damage-Programm sind damit ein gutes Stück davon entfernt, tatsächliche Schäden von klimabedingten Katastrophen kompensieren zu können. Eine stärkere finanzielle Beteiligung der Industrienationen an der Absicherung und Kompensation klimabedingter Schäden könnte dazu beitragen, dass sich die Versicherer in größerem Umfang für Projekte gegen den Klimawandel engagieren, wenn ihnen das Risiko zu Teilen durch staatliche Mittel abgenommen wird. So bestünde beispielsweise ein größerer Anreiz, in parametrische Versicherungen und branchenübergreifende Kooperationen mit Insurtechs und Banken zu investieren.

Die Assekuranzen spielen mit ihrem Know-how und als operativer Umsetzer der politischen Absichten eine entscheidende Rolle. Den Versicherern ist diese Rolle bewusst, und sie sind auch bei den Klimakonferenzen als Experten regelmäßig vertreten. Eine noch aktivere Einbindung der Versicherer und gemeinsam mit anderen Playern entwickelte Lösungen könnten parametrischen Versicherungen mehr Wirkungskraft verleihen. Gemeinsame Initiativen, auch mithilfe von Tech-Unternehmen und Start-ups, helfen, Datenqualität und die Ausgestaltung des Versicherungsschutzes zu verbessern, so dass bereitgestellte Gelder eine größere Klimaschutzrendite erbringen.

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Wer sich zum Thema tiefer einarbeiten möchte, hier einige nützliche Links:

https://grist.org/international/loss-and-damage-insurance-global-shield/

https://www.wri.org/insights/loss-damage-climate-change

https://www.gdv.de/gdv/themen/nachhaltigkeit/biodiversitaet

https://www.bmz.de/en/news/press-releases/v20-g7-launch-global-shield-against-cllimate-risks-at-cop27-128244