Digitale Exzellenz
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Luftfahrtindustrie: Was immer die Frage ist, Digitalisierung ist die Antwort

, 12. Juli 2017

Lesezeit: 6 Minuten

Luftfahrtindustrie: Was immer die Frage ist, Digitalisierung ist die Antwort

Die Digitalisierung macht – natürlich – auch vor der Luftfahrtindustrie nicht Halt. Dabei stehen der Branche goldene Zeiten ins Haus: Das Passagieraufkommen steigt, die Zahl der Flugzeuge wächst mit. Aber in die Freude um die gute wirtschaftliche Lage mischen sich auch Fragen, wie die Branche die künftigen Herausforderungen meistern kann. Das Wort „Digitalisierung“ kommt in jeder Antwort darauf vor.

Im Jahr 2030 werden allein in Deutschland rund 175 Millionen Fluggäste erwartet. Im Jahr 2014 betrug diese Zahl noch 105 Millionen Passagiere. Die Prognose des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) entspricht einem jährlichen Durchschnittswachstum von rund 3,3 Prozent. Dennoch rechnen die Experten nicht damit, dass es zu erheblich mehr Starts an deutschen Flughäfen kommen wird. Der Grund: Die Flugzeuge werden stattdessen immer größer: Im Jahr 2010 gab es im weltweiten Luftverkehr 3,4 Millionen verfügbare Sitzplätze. Heute liegt diese Kapazität bereits bei knapp fünf Millionen, und in den nächsten zehn Jahren werden 10.000 neue Flugzeuge dazukommen, was einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von mehr drei Prozent entspricht.

Diese Entwicklung sorgt in der Luftfahrtindustrie nicht nur für Freude, sondern wirft auch Fragen auf: Wie kann die Branche für ausreichend neue Flugzeuge sorgen? Lässt sich die Konstruktion für neuer Flugzeuge noch weiter beschleunigen? Wie gelingt es, das wachsende Passagieraufkommen logistisch zu stemmen? Und wie können die zunehmend anspruchsvollen Kunden zufriedengestellt werden?

Digitalisierung und der menschliche Faktor

Die erste Aufgabe besteht darin, die Produktivität existierender Strukturen zu verbessern. Dabei ist ausgerechnet der Mensch oft das schwächste Glied in der Kette. Der Mensch macht Fehler, er ist glücklicherweise nicht rund um die Uhr verfügbar und er ist aufgrund fehlender Kraft und Präzision in vielen Arbeitsschritten auf die Unterstützung von Maschinen angewiesen.

Die Luftfahrtindustrie kann diese strukturellen Nachteile über die Einführung von Automatisierungs- und Digitaltechnologien in der Produktion ausgleichen oder zumindest abschwächen – beim Zusammenbauen von Einzelteilen in der Produktion, ebenso wie bei Wartung und Instandhaltung fertiger Maschinen. Moderne Analysetools in der vernetzten Produktion können die nach wie vor unverzichtbare menschliche Arbeit in der Qualitätskontrolle unterstützen, weil sie bisher nicht verfügbare Daten und Analysen liefern, die für sehr viel mehr Genauigkeit sorgen.

Wertschöpfung durch Digitalisierung

Die Digitalisierung wird darüber hinaus bisherige Geschäftsmodelle radikal ändern und neue Wertschöpfungsmodelle schaffen – auch in der Flugzeugindustrie. Vernetzung über Sensoren, Datenanalysen über künstliche Intelligenz und durchgehend digitale Prozesse im gesamten Unternehmen sorgen für deutlich positive Skaleneffekte bei den Kosten und für ganz neue Monetarisierungsmodelle bei den Erträgen. Hier ein paar Beispiele:

  • Internet der Dinge: Durch Sensoren und Sender auf Bauteilen, Verpackungen und Werkzeugen wird es deutlich leichter, einzelne Komponenten zu tracken und die Bestände zu verwalten. So können Durchlauf- und Ausfallzeiten in der Produktion deutlich verringert werden.
  • Drohnen: Unbemannte, leicht zu steuernde Flugmaschinen können zur Besichtigung von Industriegebäuden oder Flugzeugkabinen eingesetzt werden. So setzt das auf die Wartung von Flugzeugen spezialisierte Start-up Donecle auf speziell für die Luftfahrt konzipierte Drohnen und konnte damit die Inspektionszeit bestimmter Bereiche auf zwanzig Minuten reduzieren, wo früher zwischen fünfzehn und zwanzig Personen sechs bis zehn Stunden damit beschäftigt waren.
  • Digital Twins: Reale Maschinen und ihre digitalen Zwillinge tauschen fortlaufend von Sensoren erfasste Statusdaten aus. So können Produktfehler in der Entwicklungsphase früher erkannt werden. Über virtuelle 3D-Modelle eines Flugzeugs können die Belastungen im späteren Einsatz getestet werden, noch bevor ein echter Prototyp überhaupt existiert. Ziel ist es, das Verhalten einer Komponente unter bestimmten Bedingungen zu beobachten und die Instandhaltung zu optimieren. Diese Innovation kann auch für den Herstellungsprozess selbst oder für die Ausbildung von Fachkräften verwendet werden.
  • Robotergesteuerte Prozessautomatisierung (RPA): Einfache oder schwere, sich ständig wiederholende Prozesse können vollständig, oder in Zusammenarbeit mit menschlichen Arbeiten als „Cobots“ („kollaborative Roboter“) übernommen werden.
  • 3D-Druck: 3D-Druck hat im Gartner Hype Cycle fast schon Mainstream-Status erreicht. Metallische Bauteile aus dem 3D-Drucker werden bereits in der Produktion eingesetzt und sind nicht mehr auf den Bau von Prototypen beschränkt. Es gibt sogar schon 3D-gedruckte Komponenten, die von den Behörden für sicherheitskritische Bereiche von Flugzeugen zertifiziert wurden. Im April 2017 hat der US-Flugzeugbauer Boeing ein Titan-Strukturteil zertifizieren lassen, das ab 2018 eingesetzt werden soll und Einsparungen von drei Millionen US-Dollar pro Flugzeug ermöglicht. Durch den 3D-Druck können künftig kleinere Teile direkt auch vor Ort hergestellt werden. Das senkt Transportkosten, Lagerbestände und Wartezeiten und sorgt für niedrigere CO2-Emissionen.
  • Augmented Reality: 3D spielt auch in der erweiterten Realität („Augmented Reality“) eine Rolle, in der dreidimensionale Ansichten zum Beispiel zu Ausbildungszwecken, aber auch für Wartungsanleitungen genutzt werden können.
  • Künstliche Intelligenz (KI): Künstliche Intelligenz eignet sich dafür, die riesigen Datenmengen zu nutzen, die im gesamten Lebenszyklus eines Flugzeugs gesammelt werden – bei der Produktion, der Wartung, aber auch aus dem Flugbetrieb. Mit der Analyse dieser Daten können Flugzeuge über ihre gesamte Lebenszeit effizienter, sparsamer und ausfallsicherer eingesetzt werden.
  • Blockchain: Diese Technologie ermöglicht es, Dokumente und Güter fälschungssicher digital auszutauschen, zu validieren und zu zertifizieren. Das Prinzip der Blockchain basiert auf Rechenkapazitäten, die über mehrere Parteien verteilt sind, von denen jeder einen Teil des Codes oder Zertifizierungsprozesses enthält. Im Bereich der Luftfahrt könnte Blockchain beispielsweise dazu genutzt werden, die fälschungssichere Rückverfolgbarkeit von Teilen zu verbessern.

Digitale Transformation ist strategische Unternehmensaufgabe

Die Möglichkeiten digitaler Technologien aus der Cloud sind faszinierend. Damit einzelne Unternehmen aus der Flugzeugbranche sie erfolgreich adaptieren, einsetzen und weiterentwickeln können, brauchen sie eine unternehmerische Vision und ein konsequentes Engagement der Geschäftsleitung. Mit der digitalen Transformation sind einschneidende Veränderungen in der Gesamtorganisation eines Unternehmens verbunden, die ein sorgfältiges Change Management erfordern, um von den Mitarbeitern getragen und gelebt zu werden und dem Unternehmen zu nutzen. Dabei ist es absolut erfolgskritisch, IT-Abteilung frühzeitig einzubeziehen. Sie sind die Technikexperten und kontrollieren in der Regel auch das Einhalten der Compliance. Ebenso wichtiger Stakeholder sind die HR-Abteilungen eines Unternehmens, denn die digitale Transformation führt in der Regel auch zu personellen Veränderungen – nicht nur, aber auch durch den zunehmenden Einsatz von Robotern. Dies wird selten von den Belegschaften ausschließlich positiv bewertet. Daher muss dieser Change von entsprechenden Maßnahmen der Personalabteilungen begleitet werden.

Digitalisierung bringt Einsparungen im gesamten Produktlebenszyklus

Unternehmen der Branche winken im Erfolgsfalle Einsparungen auf der einen und neue Erträge auf der anderen Seite der Bilanz. Jede einzelne der oben vorgestellten Technologien sorgt für einen echten Mehrwert im Flugzeug-Business. Fabrice Brégier, CEO von Airbus, spricht in einem Interview über die Digitalisierung seines Unternehmens: „Die Veränderungen in Flugzeugen wie dem A350, die wir schon auf der Basis digitaler Technologien entworfen haben, bringen im Entwicklungs- und Produktionszyklus Einsparungen von bis zu 25 Prozent. Für eine neue Generation von Flugzeugen, die bis 2030 fertiggestellt werden sollen, zielen wir auf Einsparungen zwischen 30 und 50 Prozent.”

Der Originaltext „How will the digital transformation change the aerospace industry“ von Philippe Armandon ist im Blog der Sopra Steria Gruppe erschienen.

Foto: Getty Images / WestWindGraphics