Digitale Exzellenz
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Kettenreaktion: Wie die Blockchain die Musikindustrie transformieren wird (Teil 2)

, 2. November 2016

Lesezeit: 5 Minuten

Kettenreaktion: Wie die Blockchain die Musikindustrie transformieren wird (Teil 2)

Die Möglichkeiten der Technologie Blockchain dringt in die unterschiedlichsten Branchen vor. Sie weckt sogar die Phantasie der gebeutelten Platten-, Streaming- und Download-Industrie. Gideon Gottfried zeigt in einem zweiteiligen Gastartikel für die Blogparade Blockchain, dass in dem Konzept jede Menge Musik steckt. Im zweiten Teil geht um das neue Format .bc.

Teil 2: Egos im Kontrollwahn

Dass sich überhaupt je eine Musikbranche entwickeln konnte, liegt am technologischen Fortschritt. Als es möglich wurde, Noten auf Papier zu drucken, entstanden die ersten Verlage. Als es möglich wurde, Musik auf einen Tonträger zu bannen, folgten die ersten Tonträgerunternehmen. Das Geschäftsmodell war in beiden Fällen ähnlich: während die Verlage den Komponisten halfen, Musik abzudrucken und die Noten zu verkaufen, halfen die Labels den Musikern dabei, Musik aufzunehmen und die Tonträger zu verkaufen. Vermarktung und Vertrieb des jeweiligen Produkts inklusive.

Jeder kann heute ein Album aufnehmen

Heute nehmen Verlage und Labels eine Vielzahl weiterer Aufgaben wahr. Der technologische Fortschritt sorgt jedoch dafür, dass Autoren, Komponisten und Musiker viele dieser Aufgaben zunehmend selbst wahrnehmen können. Ein Album kann heute im eigenen Schlafzimmer aufgenommen und gemastert werden, der Vertrieb kostet im Internet so gut wie nichts, bleibt also nur noch das Marketing. Hier können Labels und Verlage aufgrund ihrer jahrzehntelangen Kontakte in der TV- und Radiolandschaft tatsächlich noch einiges leisten. Doch auch dieser Bereich verliert mit dem Internet an Bedeutung.

Und das wollen viele Branchenteilnehmer einfach nicht wahrhaben. Ihr Ego leidet unter dem Verlust von Einfluss, was eine natürliche Reaktion ist, wenn man sein Ego Jahrzehnte lang durch Einflussnahme aufgebaut hat. Dass dies der Fall war, kann niemand bestreiten, der in den Neunzigern mal an der Midem in Cannes teilgenommen hat, der lange Zeit wichtigsten Musikbranchenmesse. Dort wurden Partys auf Yachten geschmissen und Unsummen in Casinos verzockt – nicht von den Künstlern, sondern von den Labelbossen.

Die Blockchain verlangt Bescheidenheit

Die Blockchain verlangt jedoch Bescheidenheit von allen Beteiligten. Sie lässt nur Geschäftsmodelle zu, die einen wirklichen Mehrwert schaffen. Das soll nicht heißen, dass Verlage und Labels aussterben werden. Künstler wollen möglicherweise nach wie vor bestimmte Aufgaben delegieren, um sich voll und ganz aufs Musikmachen konzentrieren zu können. In Zukunft werden sich diese Unternehmen jedoch nicht mehr in den Vordergrund drängen, sondern als reiner Dienstleister in Erscheinung treten, der einen angemessenen Anteil vom Künstler erhält. Aktuell erhalten Künstler einen angemessenen Anteil an den Labeleinnahmen, das muss man sich einmal bewusst machen.

Mitarbeiter von Verwertungsgesellschaften und Labels sagen, dass man sich erst mit der Technologie vertraut machen müsse. Und vor allem: dass die Technologie das Problem der Heterogenität und Komplexität auf Seiten der Rechteinhaber auch nicht lösen könne. Dafür sei es nach wie vor unerlässlich, dass sich die Branche an einem Tisch zusammensetzt, ihre Daten abgleicht und ein für alle mal vollständig einpflegt. Diese Feststellung ist einerseits ironisch, da die Musikbranche vor nicht all zu langer Zeit bereits versucht hat, selbst eine globale Datenbank für Musikrechte zu kreieren, die sogenannte Global Repertoire Database, GRD. Sie scheiterte kläglich. Einer der Gründe: Egos. Die Weigerung, Kontrolle über die eigenen Daten aus der Hand zu geben.

Freiwillige zeigen, dass es jetzt schon geht

Andererseits ist diese Feststellung schlicht nicht korrekt. Ein Mann namens Benji Rogers hat sich mit einem Team aus Freiwilligen einen Weg ausgedacht, der automatisch zu einer vollständigen und eindeutigen globalen Datenbank für Musikrechte führen würde.

Laut Rogers stehen wir nämlich kurz vor der größten Einführung eines neuen Dateiformats seit der MP3. Rogers bezieht sich auf Virtual Reality und Augmented Reality, die beide noch kein Standardformat haben. Rogers möchte die VR/AR-Technolgie als Trojanisches Pferd verwenden, um das .bc-Format einzuführen: dot Blockchain.

Eine .bc-Datei würde ein Minimum and brauchbaren Daten beinhalten (Minimum Viable Data, MVD). Im Falle von Songs wären das sämtliche oben genannten Dinge: Autoren, Komponisten, ausübende Musiker, Drittunternehmen wie Verlage und Labels sowie der Smart Contract, der die Nutzung des Songs regelt (im Falle von VR-Dateien kommen noch die Video-Informationen hinzu). Das Prinzip ist durchaus mit einer Zip-Datei vergleichbar.

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Künstler speisen die Daten selbst ein

Weil die Blockchain transparent und dezentral organisiert ist, könnte das in der Praxis so aussehen: Ein Künstler veröffentlicht einen Song. Er speist sämtliche Daten selbst ein: beteiligte Musiker, Verlag und Label. Wenn ein Musiker feststellt, dass er vergessen wurde, kann er sich selbst hinzufügen. Der Label-Partner kann weitere Daten wie Label-Codes, hinzufügen, so dass am Ende ein vollständige, vom Künstler autorisierte Datei entsteht, die von allen anderen Versionen unterscheidbar ist. Entsprechende Plug-ins haben Rogers und sein Team bereits entwickelt.

Natürlich können Nutzer nach wie vor Songs „rippen“ und in eine MP3 umwandeln. Allerdings wäre mit der Einführung von .bc für jeden ersichtlich, dass es sich bei der MP3 um eine Fälschung handelt. Der abschreckende Effekt, den dies auf das Verhalten eines Nutzers hat, ist nicht zu unterschätzen. Auch Musikdienste wie YouTube können sich nicht länger herausreden, wenn sie nicht ausschließlich die vom Künstler autorisierte Version anbieten. YouTube könnte beispielweise den Upload von Songs ohne MVD ausschließen, gleiches gilt für Spotify und Co.

Warten auf Justin Bieber

Der schnellste Weg zur Massenadaption ist die Unterstützung der Technologie durch einen bekannten Künstler – vorzugsweise mit der Popularität einer Rihanna oder eines Justin Bieber. Jemand, der die Branche zwingt, nachzuziehen. Doch auch, wenn Künstler und Labels am Rande der Branche beginnen, ihre Songs auf der Blockchain zu veröffentlichen und zu vertreiben, wird es sich früher oder später herumsprechen. Das Hauptverkaufsargument der Blockchain ist schließlich, dass sie exakt abrechnet und das Geld in Echtzeit überweist. Wenn den Künstlern das erst klar wird, dürfte der Rest recht schnell gehen.

Foto: Getty Images / Konstantin Kirillov