Digitale Exzellenz
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Beyond Banking: Der Blick über den Tellerrand braucht methodische Leitplanken

, 20. Mai 2020

Lesezeit: 6 Minuten

Beyond Banking: Der Blick über den Tellerrand braucht methodische Leitplanken

Für Banken und Sparkassen ist es wichtig, dass sie neben dem Tagesgeschäft und dem derzeit stark aufkommenden Bearbeiten von Fördermittelkrediten auch an ihrer Zukunft arbeiten. Da die klassischen Ertragsquellen versiegen, müssen neue her. Digitale Beyond-Banking-Geschäftsmodelle sind im Kommen. Ein methodisches Vorgehen und Kreativ-Techniken unterstützen das Innovationsmanagement.

Etablierten Banken verlieren ihre Kunden nicht mehr nur an innovative Fintechs wie N26, Auxmoney und finanzguru.de. Inzwischen dringen auch branchenfremde Großunternehmen wie die deutsche Lufthansa-Gruppe mit ihrer „Finance Plus“-App in den hart umkämpften Finanzmarkt ein. Bessere Kostenstrukturen, attraktive neue Funktionen und eine nutzerzentrierte Gestaltung der Kundenschnittstellen dieser Wettbewerber erhöhen dabei den Innovationsdruck in der Branche massiv.

Der Veränderungssinn ist geschärft – der Corona-Schock wird den Umbruch beschleunigen. Und dieser wird verstärkt in die Richtung gehen, das traditionelle Player ihre gewohnten Ertragszonen Zinsgeschäft, Kontoführung, Wertpapier-Brokerage, Cash-Management und Altersvorsoge verlassen und neue Ertragsquellen – Beyond Banking – erschließen.

Einige traditionelle Banken und Sparkassen tasten sich in dieses neue Umfeld vor und setzen mittlerweile auf Services, die zumindest auf den ersten Blick nach klassischem Bankgeschäft aussehen. Erste Ausflüge in die Beyond-Banking-Welt sehen zum Beispiel so aus, dass Bankkunden über ihre Banking-App Architekturbüros und Bauunternehmen und Baufinanzierung aus einer Hand anfragen können. Anderen Unternehmen anonymisierte Daten zur Verfügung zu stellen, ist ein weiteres Non-Finance Geschäftsfeld für Banken. Ein Beispiel sind API-Schnittstellen für Fintechs, die ihre Softwarelösungen verbessern wollen und dafür Testdaten benötigen – vorausgesetzt, die Anforderungen an den Datenschutz und Datensicherheit sind erfüllt und Kontoinhaber haben der Auswertung zugestimmt.

Die Beyond-Banking-Spielwiesen der Zukunft sind digitale Plattformen. Ausgebaut zu nutzerzentrierten Ökosystemen, werden sich Banken zusammen mit Partnern neu aufstellen. Die Deutsche Bank hat beispielsweise eine eigene Plattform mit Angeboten von Partnern abseits der klassischen Leistungen entwickelt. Doch nicht jedes neue Ertragsmodell passt zum eigenen Unternehmen. Entscheidet sich ein Finanzunternehmen somit dafür, sich Beyond Banking zu engagieren, sollte es zunächst klären, welche Position es in diesem Markt einnehmen möchte. Dafür braucht es einen guten Überblick, wo das Institut derzeit steht und einen systematischen Innovationsmanagementprozess.

Einstieg in Beyond Banking: Methodisches Vorgehen zur Geschäftsmodellentwicklung

Mit einer Voruntersuchung können Banken ermitteln, welche Stärken im Vergleich zu Mitbewerbern bestehen, welche Assets, Geschäftsbeziehungen und organisatorische Besonderheiten berücksichtigt werden müssen und welche Geschäftsfelder optimal zum Markenkern und der Unternehmensstrategie passen. Diese Informationen werden mit relevanten gesellschaftlichen und technologischen Megatrends abgeglichen, woraus sich konkrete Suchfelder zur Geschäftsmodellinnovation ableiten lassen.

Weitere Phasen: Suchfeldanalyse, Ideation-Phase und Business Modelling

Mit dieser Grundlage beginnt der analytisch-kreative Teil der Geschäftsmodellentwicklung. Die Suchfeldanalyse eignet sich dazu, sich Geschäftsmodelloptionen innerhalb des Suchfeldes näher anzuschauen, ob das (Markt-)Potenzial ausreicht und ob sie zum Unternehmen und zu den Kunden passen.

Die Ideation-Phase beginnt damit, Problem Statements innerhalb der vielversprechendsten Suchfelder zu formulieren. Design-Thinking-Workshops sind im Anschluss ein gutes Instrument dafür, Probleme in ihrer Tiefe zu verstehen und durch Brainstorming, Stakeholder-Mapping, Experten- und Kundeninterviews, Personas und Customer Journeys die Punkte zu identifizieren, in denen durch Innovation der größte Mehrwert geschaffen werden kann. Diese Value Pools definieren die Leitplanken für die Ideenentwicklung.

Die erfolgversprechendsten Ideen werden in Form einer Idea Napkin konkretisiert und als Prototyp entwickelt. Mit einem ersten Test durch Kunden endet die Ideation-Phase – zunächst.

Die folgende untypische Unterbrechung des Design-Thinking-Prozesses durch das Business Modelling hat einen Grund. Die Bank kann so ein Geschäftsmodell bewerten und erkennen, ob es wirtschaftlich trägt.  So stellen Institute sicher, dass sie im weiteren Verlauf nur wirtschaftliche Lösungen weiterverfolgen.

Zeigt das Business Modelling grünes Licht und passen die individuellen Anforderungen der vorgeschlagenen Lösungen kann die Bank oder Sparkasse die Ideation-Phase wieder aufnehmen und ihren Beyond-Banking-Prototypen verbessern und bis zum Rollout vorantreiben.   

Covid-19 kein Show Stopper für innovatives Arbeiten

Unsere praktischen Erfahrungen der vergangenen Wochen zeigen zudem: Geschäftsmodelle lassen sich mit diesem Vorgehen auch remote entwickeln. In einem realen Projekt mussten wir kurzfristig aufgrund von Corona umplanen und die noch ausstehenden Workshops, das Vorgehen und Methodik an die erschwerten Bedingungen anpassen. Die Online-Whiteboard-Lösung www.miro.com diente als virtuelle Kreativfläche, Workshops wurden als Video-Konferenzen durchgeführt.

Dabei zeigte sich, dass die Remote-Variante durchaus Vorteile hat, wenn diese Bedingungen stimmen:

  1. Die Teilnehmer haben mit den verwendeten Tools bereits gearbeitet, so dass die kreativen Prozesse nicht unter Bedienungsfehlern oder vermeidbaren technischen Störungen leiden. Gegebenenfalls muss man vor dem Workshop ein kurzes Nutzer-Training mit den Teilnehmern einplanen.
  2. Die Teilnehmer kennen sich persönlich und haben bestenfalls bereits gemeinsam Workshops durchgeführt. Meistens nehmen die Teilnehmer dann deutlich aktiver an Diskussionen teil, es gibt weniger „schwarzes Schweigen“ und das Fehlen von non-verbalen Signalen wirkt sich weniger stark auf die Zusammenarbeit aus.  
  3. Die angewendeten Methoden sind möglichst gut strukturiert, da remote durchgeführte Workshops weniger (räumliche) Orientierungspunkte bieten und die Teilnehmer dadurch schnell verunsichert werden können. Dem entgegenwirken kann man durch die Nutzung von Templates und Frameworks mit einer klaren visuellen Sprache, unterstützt durch Infoboxen oder beispielhaften Fragestellungen.
  4. Der Moderator ist sehr erfahren und bringt neben der methodischen Kompetenz viel fachliche Expertise mit, um Gedankengänge der Teilnehmer nachvollziehen und Zwischenergebnisse schnell zusammenfassen zu können.

Was noch wichtig ist: Aus der Ferne ist es schwieriger für die Teilnehmer, sich über ihre Gedankengänge auszutauschen oder ihre Beiträge zu clustern. Deshalb benötigt man für die Durchführung einzelner Arbeitsabschnitte oft mehr Zeit als üblich.

Zudem sollte man deutlich längere und häufigere Pausen einplanen, da remote durchgeführte Workshops für die meisten Teilnehmer deutlich anstrengender sind und mehr Konzentration erfordern als on-site Workshops.

Sind die Bedingungen erfüllt, zeigen sich schnell die Stärken digitaler Workshops:

  1. In der eigenen, gewohnten Arbeitsumgebung fühlen sich die Teilnehmer wohler.
  2. Der Ideen-Output bei einem stillen Brainstorming ist deutlich größer, da sich die Teilnehmer nicht gegenseitig ablenken oder sich zu früh an den Inhalten der anderen orientieren.
  3. Wenn Teilnehmer einen Anstoß für die eigene Kreativität brauchen, können sie sich zuhause meist schneller individuelle Inspiration suchen.
  4. Die Auf- und Nachbereitung von Workshops und deren Ergebnisse ist deutlich schneller und weniger arbeitsintensiv, da alle Inhalte bereits digital vorliegen.

Offline Design Thinking Workshops produzieren sehr viel Papiermüll, die Remote-Variante nicht. Die Umweltverträglichkeit ist deshalb und durch wegfallende Reisen deutlich höher.

Foto: Getty Images / ipopba