Digitale Exzellenz
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Agil um jeden Preis? Von programmierten Denkfehlern und pragmatischen Lösungen

, 23. Januar 2020

Lesezeit: 4 Minuten

Agil um jeden Preis? Von programmierten Denkfehlern und pragmatischen Lösungen

In dieser Woche hatte ich Gelegenheit, bei der Handelsblatt-Jahrestagung Strategisches IT-Management über Agilität zu sprechen. Ein guter Anlass, um das Modethema einmal jenseits von Buzzwords zu beleuchten, mit gängigen Missverständnissen aufzuräumen und pragmatische Lösungen zu diskutieren. Dabei hat mich Dr. Hans-Jürgen Plewan tatkräftig unterstützt. Der CIO der DekaBank setzt beim Thema Agilität selbst vor allem auf “Pragmatismus und Augenmaß”.

Tatsächlich ist Agilität weder Selbstzweck noch Allheilmittel für jede Art von Problem. Und, anders als heute häufig suggeriert, geht es auch nicht um ein “Alles oder Nichts”, sondern um das richtige Maß – auch zwischen Stabilität und Agilität. Diese “richtige Dosis Agilität” ist immer individuell und von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Es geht beispielsweise darum, wie hoch der jeweilige Marktdruck und wie stark digital getrieben das eigene Geschäftsmodell ist.  Wie die Mitarbeiterschaft strukturiert ist und wie das Management zum Thema Agilität steht.

Es muss nicht zwingend agil sein

Zumindest jenseits des Start-up-Universums wird es wohl immer ein Nebeneinander verschiedener Welten, Geschwindigkeiten und Kulturen geben. Und das ist auch völlig in Ordnung. Versuche, auch noch die Buchhaltung oder das Controlling zu “agilisieren” könnten durchaus kontraproduktiv enden! Entscheidend ist es, dafür zu sorgen, dass die verschiedenen Welten nicht aneinander vorbei agieren oder sich gar gegenseitig lähmen. Wenn es aber darum geht, die Reaktionsfähigkeit der gesamten Organisation zu verbessern, genügt es auch nicht, einzelne Teams agil arbeiten zu lassen. Denn, wie schon der Organisationstheoretikers Russel L. Ackoff gelehrt hat: “Die Leistung des Gesamtsystems ist NICHT die Summe seiner Teile, sondern das Produkt seiner Interaktionen.” Es geht also darum, funktionierende Schnittstellen herzustellen. Ganz konkret beispielsweise, indem man dafür geeigneten Menschen zwei Hüte aufsetzt und sie dieser Doppelfunktion zu Übersetzern und Vermittlern zwischen den verschiedenen Welten macht.

HB Jahrestagung IT-Management Agilität
Handelsblatt Jahrestagung Strategisches IT-Management

Allerdings werden Agilitätsprojekte jenseits der Teamebene schnell sehr komplex, weil es unzählige Abhängigkeiten gibt, die es zu beachten gilt. So hilft Agilität an der Kundenschnittstelle nur, wenn auch in den nachgelagerten Prozessen schnell reagiert werden kann. Anders gesagt: Agilität allein am Frontend bringt nicht den erwünschten Erfolg, wenn ein starres Releasemanagement dahintersteht. Viele Organisationen machen heute den Fehler, dass sie agile Methoden nicht als “eine von vielen möglichen Lösungen” ansehen. Sie trainieren agile Methoden und versuchen dann, sie “krampfhaft” überall anzuwenden – auch da wo sie gar nicht besonders geeignet sind. In der Praxis beobachten wir:  Agilität funktioniert relativ gut im API-Cluster, bei der Entwicklung von Apps, Webseiten, Schnittstellen. Bei klassischen Wartungstätigkeiten, beispielsweise im Betrieb der Infrastruktur, funktionieren die agilen Methoden weniger gut.

Die richtige Dosis Agilität finden

Ganz generell wird heute viel zu wenig unterschieden zwischen agilen Methoden (die in der Software-Entwicklung längst weit verbreitet sind), einem ‘agilem Mindset’ (der sich noch längst noch nicht überall durchgesetzt hat) und einer ‘agilen Transformation’,  die es dem gesamten Unternehmen ermöglichen soll, schneller auf Veränderungen am Markt, im Wettbewerb und den Kundenbedürfnissen zu reagieren. Dagegen finden die entscheidenden Fragen oft viel zu wenig Beachtung, wie auch DekaBank-CIO Plewan völlig zurecht betont. Sein Rat: “Man sollte sich immer zuerst fragen, was will ich überhaupt erreichen? Geht es um mehr Effizienz und die Verbesserung operativer Prozesse? Will ich Silos aufbrechen, Innovation ermöglichen und Kreativität freisetzen oder schlicht attraktiver für neue Talente werden? Stehe ich vielleicht sogar schon mit dem Rücken zu Wand, weil ich zu schwerfällig bin und disruptive Wettbewerber mein Geschäftsmodell bedrohen? Oder sind meine Kosten einfach viel zu hoch?” Ehrliche Antworten auf diese Fragen sind sicherlich die erste Voraussetzung, um sich dem Thema Agilität pragmatisch zu nähern – und die richtige Dosis Agilität individuell zu entwickeln.

Und last but not least, geht es ja immer auch um Wirtschaftlichkeit – auch wenn wir dieses Thema in ‚fetten Jahren‘ gerne ein wenig vernachlässigen. Aber Agilität zielt ja im Kern durchaus darauf ab, Prozesse wirtschaftlicher zu gestalten – man denke nur an das Ziel, Abstimmungs- und Freigabe-Schleifen zu minimieren. Ich bin davon überzeugt, dass diese wirtschaftliche Perspektive in den kommenden Jahren wieder stärker in den Fokus rücken wird. In diesem Sinne wird es dann vielleicht heißen: “Agilität ist tot – es lebe die Agilität!”  

Fotos: Euroforum, Getty Images / bankrx