Digitale Exzellenz
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Versicherer 2019: Aus der Analogia wird eine Digitalia

, 26. Juni 2019

Lesezeit: 4 Minuten

Versicherer 2019: Aus der Analogia wird eine Digitalia

Die gestandenen Versicherer in Deutschland wollen sich nicht kampflos von Insurtechs überholen lassen. Auf Markteintritte wie den des US-Startups Lemonade und Neugründungen aus Deutschland wie die von mailo und neodigital hat die Branche mit einem Tritt aufs Digitalisierungspedal reagiert. Unsere Studie Branchenkompass Insurance 2019 zeigt, in welche Maßnahmen investiert wurde und wird.

Tempoverschärfung ist natürlich immer relativ zu sehen. Lange Zeit hatte die Versicherungsbranche bei der Digitalisierung ihres Geschäfts mit angezogener Handbremse agiert. Die Insurtechs setzen Maßstäbe in puncto Geschwindigkeit und Beweglichkeit. Das Bild hat sich ein Stück weit gewandelt. Automatisierung, Datensicherheit sowie Schaden-Apps und Online-Abschluss bestimmen nun auch die Projektagenda der Traditions-Assekuranz in Deutschland. Die Etablierten nehmen das Heft in die Hand. Vor allem die Schwergewichte rüsten bei Online-Portalen, der 360-Grad-Sicht auf die Kunden sowie bei Chatbots und Videoberatung nach. In der Breite ist hier sicherlich noch reichlich Luft nach oben, illustriert die Infografik zur Studie. Aber immerhin: Fast jedes fünfte befragte Unternehmen arbeitet bereits mit intelligenten Algorithmen im Lead Management.

Grafik Digitalisierung Versicherer
Quelle: Infografik zum Branchenkompass Insurance 2019

Wer den Schaden hat…

Im Schadenmanagement, im sogenannten „moment of truth“, lassen sich Digitalisierungsprojekte intern immer noch am besten verkaufen. Hier können die Veränderer in den Versicherungen ihren Budgetverantwortlichen trocken vorrechnen, um welchen Faktor sich die Schaden-Kosten-Quote senken lässt, wenn die Kunden Schadendaten, Unfallfoto, Arzt- oder Werkstattrechnung über eine App übermitteln und alle Infos medienbruchfrei, automatisiert weiterverarbeitet werden können. Das Schadenmanagement ist immer noch der größte Ausgabenposten der meisten Versicherer. Da möchte jeder Manager gerne ran. Versicherer One möchte so 60 Prozent aller Schäden in Echtzeit und vor allem vollautomatisch managen.

Ähnliche Möglichkeiten sehen Versicherer, wenn sie mithilfe einer von Schadengutachtern trainierten Software Versicherungsbetrügern besser auf die Schliche kommen wollen. Vermittler sind hier übrigens deutlich skeptischer als ihre Risikopartner. Sie trauen der menschlichen kriminellen Intelligenz mehr zu als der künstlichen zur Betrugserkennung.

Grafik Versicherer Kosteneinsparpotenzial
Quelle: Infografik zum Branchenkompass Insurance 2019

Und wenn das Kostenargument allein nicht zieht: Bei der Schadenabwicklung entscheidet es sich in der Regel, ob Kunden länger bleiben und den Service sogar weiterempfehlen oder ob sie das Weite suchen. Im Fall des Falles – ob analog oder digital – sollte somit kein Anbieter mit schnellen und barrierefreien Serviceideen geizen. Die Messlatte hängt noch relativ tief: Viele Kunden freuen sich schon über ein wenig Amazon-Feeling mit Echtzeit-Status. Fortgeschrittene Ansätze sind beispielsweise automatisierte Plausibilitätschecks, um Dokumente und beschädigte Sachen schneller zu begutachten und so das Warten für die Kunden auf die Entschädigung abzukürzen.

Cloud-Umzugstipp: IBM-Mainframe ins Museum bringen

Als zentralen Time-to-Market-Turbo betrachtet die Versicherungsbranche mittlerweile Cloud Computing. Mit reichlich Verspätung kommt das Thema auch bei den Versicherungen an. Die regulatorischen Schranken wurden gelockert, und die Lösungsanbieter wie Microsoft, Amazon und Salesforce haben sich darauf eingestellt, dass die Daten in Deutschland oder zumindest in Europa gehostet werden müssen. Das bewirkt, dass sich nun viele Versicherer mit dem Umzug in die Cloud befassen und Projekte die entsprechende Priorität bekommen.

Grafik Versicherer Cloud Computing
Quelle: Infografik zum Branchenkompass Insurance 2019

Die aktuelle IT vieler Versicherungsunternehmen ist allerdings so veraltet, dass nicht einmal die Cloud schnelle Abhilfe schaffen kann. Versicherungen mit überalterten Legacy-Systemen müssen somit ihre IT-Infrastruktur grundlegend umbauen und ein komplettes Re-Hosting ihrer Daten betreiben, um in die Cloud umziehen zu können. Der Umzugstipp kann nur lauten, das Mainframe-Zeitalter vorher hinter sich zu lassen, will man Insurtechs und digitale Neu-Versicherer nicht doch irgendwann nur noch von hinten sehen.

Fitnessprogramm für die Organisation

Bis aus einer Analogia eine Digitalia wird, braucht es sicher noch einige Zeit. Fakt ist aber: Die Digitalisierung der Versicherungsbranche beschleunigt sich. In fast allen Unternehmensbereichen werden Veränderungen umgesetzt oder stehen an. Die digitale Fitness hängt allerdings mehr von den Menschen ab als von der Technik. Cross-funktionale Teams, mehr Verantwortung für den Einzelnen, eine gesunde Fehlerkultur und ein empathischer Führungsstil sind wichtige Zutaten. Als Unterstützung für den anstehenden Kulturwandel nutzen oder gründen viele Versicherer so genannte DigiLabs. Hier wollen sie agile Entwicklungs- und Managementmethoden umsetzen und Vorlaufzeiten bei der Produktentwicklung verkürzen. Mittelfristig sollte aus diesen Investitionen in die Innovationsfähigkeit dann ein Gewinnbeitrag entstehen.