Digitale Exzellenz
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Verflixtes D-Wort! Wie aus der Digitalisierung Innovationen entstehen

, 2. November 2017

Lesezeit: 6 Minuten

Verflixtes D-Wort! Wie aus der Digitalisierung Innovationen entstehen

Wie werde ich durch Digitalisierung innovativ? An dieser Frage knabbern ganze Branchen. Im Wesentlichen sind dafür zwei Voraussetzungen notwendig: eine unternehmensweite Offenheit gegenüber Innovationen sowie die effiziente Nutzung der Möglichkeiten, die einem die Digitalisierung bietet. Die Umsetzung ist hart, und man sollte genügend Zeit einplanen. Dennoch ist es wichtig, beide Stellschrauben ernst zu nehmen und mit Leben zu füllen.

Stellschraube Nummer eins, die Offenheit für permanenten Wandel, ist die Basis für innovatives Handeln. Gemeint ist die Bereitschaft und Fähigkeit eines Unternehmens und der Menschen, sich verändern zu wollen und zu können. Nur mit einem offenen Blick für Neues entstehen Ideen, aus denen perspektivisch neues Geschäft entsteht.

Derzeit merkt ein großer Teil der Unternehmen, dass sich Offenheit mit bekannten Attributen wie Fehlerkultur, Wertschätzung und Verantwortung übertragen nicht mal ebenso mit einigen Entscheidungen herstellen lässt. Das Bewusstsein, dass jeder Mitarbeiter zum Erfolg eines Unternehmens beiträgt, ist längst nicht überall angekommen. Statt Begeisterung herrscht sogar vielfach Angst, dass einem das verflixte D-Wort den eigenen Arbeitsplatz kostet.

Diesen Ängsten müssen Entscheider aktiv entgegenwirken: mit Schulungen und Qualifizierungsmaßnahmen, auch für sich selbst, sowie mit täglichem Üben und Vorleben. Nur so werden aus gefühlten Risiken Chancen, sich persönlich weiterzuentwickeln und an neuen, eigenen spannenden Projekten zu arbeiten. Dieser Prozess kann sich mitunter einige Jahre hinziehen.

Und selbst dann wird nicht jedes Unternehmen diesen Schritt zur gelebten Offenheit aus eigener Kraft hinbekommen. In diesem Fall kann ein Zukauf von Unternehmen nötige Impulse liefern. Startup-Inkubation ist hier das Schlüsselwort. Gemeint ist das Investment und der Aufbau neuer Geschäftsfelder, parallel zum bestehenden Geschäftsmodell. Wir als Managementberatung haben uns beispielsweise intensiv mit Startup-Hubs und Universitäten vernetzt, um offener für Neues zu werden. Durch gemeinsame Projekte überblicken wir den Markt deutlich besser, bleiben am Puls der Zeit und verbinden unsere Kunden mit komplementären, jungen Firmen.

Von der Offenheit zur Innovation

Besitzt ein Unternehmen die beschriebenen kulturellen Grundlagen, geht es darum, die digitalen Möglichkeiten für Innovationen zu nutzen (Stellschraube zwei). Die Digitalisierung ist ein Meer voll innovativer Geschäftsmodelle:

Handelsunternehmen können beispielsweise neue Vertriebskanäle über das Internet der Dinge nutzen. Das Potenzial der Online-Handelsplätze ist längst nicht ausgeschöpft. Derzeit ist im Foodsektor viel Bewegung: Neben Amazon versuchen Otto und stationäre Supermarktketten wie Rewe den Online-Lebensmittelhandel als Standard zu etablieren. Der Kühlschrank, der automatisch verbrauchte Produkte nachbestellt, ist ein weiteres Beispiel für mögliche zukünftige Standards im Handelsbereich.

In der Industrie wird vor allem der Einsatz von Robotern forciert. Durchlaufzeiten können durch die Automation von Prozessen enorm gesenkt werden. Auch der 3D-Druck nimmt Fahrt auf – Ersatzteile können schneller und ohne Kosten für die Lagerung erstellt werden. Das spart Zeit und reduziert Maschinenausfälle.

Im Dienstleistungssektor existieren ähnlich viele Möglichkeiten für digitale Innovationen – selbst für die vermeintlich total analoge und personalintensive Branche der Gebäudereiniger. Warum sollten hier nicht Roboter über Nacht Schulen reinigen? Das senkt die Personalkosten, gleichzeitig müssen weniger Menschen im Schichtbetrieb zu den unangenehmen Abend- und Morgenstunden arbeiten. Das Unternehmen, das derartige Lösungswege zuerst findet, gewinnt mit großer Wahrscheinlichkeit auf Grund des Preisvorteils die nächste öffentliche Ausschreibung.

3 Kriterien, die Innovationen erfüllen müssen

Wichtig ist, dass eine erfolgsversprechende Innovation stets drei Kriterien erfüllt. Sie muss:

  • vom Kunden gewollt,
  • technisch umsetzbar und
  • wirtschaftlich sein.

Ob eine Innovation vom Kunden gewollt ist, lässt sich gut über Methoden herausfinden, die den Kunden in den Fokus rücken. Design Thinking ist das wohl derzeit populärste methodische Werkzeug der Digitalisierung. Beispiel: Die Ingenieure eines Fahrradherstellers haben sich gewundert, warum noch leichtere Gestelle, noch weniger Reibungsverluste bei Reifen und noch mehr Gänge nicht zu noch mehr verkauften Fahrrädern führen. Mittels Design Thinking stellte man fest, dass die Kunden eigentlich nur Spaß am Radfahren haben wollten. Das Ergebnis: ein City Cruiser, mit dickem Rahmen, breiten Reifen und nur einem Gang. Der Absatz explodierte. Es geht eben nicht immer um höher, schneller, weiter.

Um die technische Machbarkeit zu prüfen, arbeiten wir mit unseren Kunden gerne nach der Lean-Startup-Methode: Die Methode lebt von vielen kleinen Experimenten. Fail Fast and Fail Forward ist hier die Zauberformel. Beispiel: Die Fragestellung lautet, ob sich Damenschuhe über das Internet verkaufen lassen. Normalerweise wäre der erste logische Schritt für ein neues Unternehmen, einen großen Onlineshop aufzubauen, viel Werbung zu platzieren und mit allen wichtigen Lieferanten zu sprechen – also viel Zeit, Ressourcen und Geld für große Strategien auszugeben.

Doch es geht auch „schlanker“: Warum nicht einfach einige Schuhe aus einem lokalen Geschäft mit dem Handy fotografieren und auf einer Website zum Verkauf anzubieten? Das ist deutlich kostensparender und hat den positiven Effekt, ohne “sunk costs” die Nachfrage bestimmen zu können. Sobald die ersten Bestellungen eingehen, besorgt man diese Schuhe vom Händler. Man kann anhand der realen Nachfrage prüfen, ob es genau hierfür einen Markt gibt.

Zappos, das amerikanische Zalando-Vorbild wurde mit dem beschriebenen Vorgehen erfolgreich und im Jahr 2009 für satte 1,2 Milliarden Dollar von Amazon gekauft. Mit einfachsten Mitteln testen, lernen und sich laufend verbessern – dieser Ansatz kann nach unseren Erfahrungen das Risiko oftmals enorm minimieren.

Letztlich muss die Innovation zur Steigerung der Wirtschaftskraft beitragen. Die nötigen Erkenntnisse kann ein Business Model Canvas liefern. Die schnelle Gegenüberstellung bestehender Ressourcen, Aktivitäten und anderer essentieller Faktoren ermöglicht einen einfachen Einblick in die Kosten- und Ertragsstrukturen eines kompletten Unternehmens oder einzelner innovativer Ansätze. Innerhalb kürzester Zeit lässt sich sehr flexibel die Ausgestaltung der Idee anpassen. Der mittels des Business Model Canvas entstandene grobe Überblick ist eine gute Basis für eine erste finanzielle Einschätzung, auf der detailliertere Analysen für umfangreichere Investitionsentscheidungen aufbauen können.

Veränderung als Dauerzustand

Eine Innovation oder ein Geschäftsmodell sind dabei nie an einem finalen Punkt angekommen, es geht um eine kontinuierliche Verbesserung und iterative Anpassung an externe Faktoren. Das Paradebeispiel ist Amazon: Der Online-Buchhändler von einst hat seine Plattform für andere Unternehmen geöffnet, stellt seinen Kunden nun eine extrem breite Produktpalette zur Verfügung und erhält dafür Provision. Amazon geht aber noch einen Schritt weiter: Ungenutzte technische Ressourcen, wie Server und Cloud-Dienste, können Unternehmen gegen Gebühr nutzen.

Vergleichbare Beispiele findet man in Deutschland noch selten. Speziell im Mittelstand sehen wir, dass die ersten Schritte in die Welt der Digitalisierung meistens die schwierigsten sind. Die Konzentration auf das bestehende Geschäft und die parallel dazu stattfindende Weiterentwicklung bestehender Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle stellt die meist ausgelasteten Ressourcen auf die Probe. Dennoch ist dieser Wandel – digitale Transformation genannt – „alternativlos“. Mit einer unternehmensweiten Strategie, einer umfassenden Roadmap und einer systematischen Umsetzung kann er gelingen.

* Danke an Christian Geng, der an diesem Blog Post mitgewirkt hat.

Anm. d. R.: Dies ist ein ein Gastbeitrag von Julius Steinriede, Unternehmensberater und Experte für Innovationsmanagement.