Digitale Exzellenz
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„Made in Germany 4.0“ – Mittelstand und Digitalisierung freunden sich langsam an

, 9. Oktober 2020

Lesezeit: 4 Minuten

„Made in Germany 4.0“ – Mittelstand und Digitalisierung freunden sich langsam an

Mit dem Angebot digitaler Zusatzdienste tut sich der produzierende Mittelstand in Deutschland noch schwer. Dabei ist das Potenzial an vielen Stellen riesengroß. Die Margen von Serviceleistungen liegen oftmals um ein Vielfaches höher als beim Verkauf neuer Anlagen und Maschinen. Derartige umsatz- und gewinnstabilisierende Standbeine sind in der aktuellen Zeit wichtig – aber auch darüber hinaus, um das Kerngeschäft generell resilienter aufzustellen.

Ob Reifenhersteller oder Büromöbelausstatter, um jegliche Produkte herum lassen sich digitale Services entwickeln. Und sei es zunächst, um durch Vernetzung, Sensorik und smarte Methoden wie Process Mining zu Erkenntnissen für die eigene Produktion zu gelangen oder um die eigenen Serviceteams mit digitalen Diensten auszustatten. Indirekt profitieren davon auch die Kunden, nur, dass sie dafür keine extra Rechnung erhalten.

Doch in Zukunft wird es im Mittelstand verstärkt genau darum gehen, Daten und digitales Know-how auch in diesem Industriezweig zu monetarisieren. 65 Prozent der für unseren Branchenkompass Manufacturing 2020 befragten Mittelstandsunternehmen prüfen ihre Daten systematisch auf ihre Verwertbarkeit hin. Das liest sich erst einmal positiv. Entscheidend ist aber, was nach dieser Prüfung passiert. Auf dem Weg zum bezahlten digitalen Service bleibt noch so manche Idee auf der Strecke. 60 Prozent der Entscheider räumen ein, dass dafür auch das mangelnde Datenmanagement verantwortlich ist.

Nutzerzahlen im Mittelstand halten sich in Grenzen

Und die Services, die es tatsächlich zum Go-live oder in einen App Store schaffen, kommen bei Nutzern noch nicht immer an. Viele Kunden nutzen die bereitgestellten Digitalservices zu wenig, sagen 48 Prozent der befragten Mittelstandsmanager. Entweder sind diese Kunden selbst Digitalmuffel, sie sind unsicher, ob ihre Daten ausreichend geschützt sind (Klassiker), oder das Angebot überzeugt sie einfach nicht. In allen Fällen lohnt es sich jedoch, dass die produzierenden Unternehmen ihr Digitalangebot hinterfragen und sich dabei stärker in ihre Kunden hineinversetzen. Entweder benötigen die Services eine Prise mehr Kundenzentrierung, oder es braucht z.B. mehr Erklärung über den Nutzen der Dienstleistung oder zur Handhabung mit Daten.

Quelle: Infografik zum Branchenkompass Manufacturing 2020

Das sich schleppend vergrößernde Angebot digitaler Services produzierender Unternehmen hängt allerdings auch mit der jeweiligen Firmenkultur zusammen. Mittelständische Unternehmen scheuen beispielsweise noch zu häufig, Wissen und Expertise mit anderen Marktteilnehmern zu teilen: Digitale Dienstleistungen, beispielsweise durch Künstliche Intelligenz optimal eingestellte Maschinenparameter wie beim Mischkonzern Körber, funktionieren jedoch dann am besten, wenn die Algorithmen viele Daten verarbeiten können, und dafür lohnt es sich, sich zu öffnen. Nicht selten werden diese Prozesse und Entscheidungen durch die DSGVO erschwert.

Ohne Offenheit funktionieren jedoch beispielsweise keine Plattformen wie Maschinenraum.io. Sie sind für immerhin jedes dritte Unternehmen der mittelständischen Industrie heute schon ein wichtiger Faktor – vor allem um andere Kunden zu erreichen, um an notwendige Digital Skills zu gelangen und um neue Aufträge an Land zu ziehen – Tendenz stark steigend.

Einstieg in digitales Zusatzgeschäft mit System angehen

Ein gängiges Modell für digitale Zusatzdienste ist, Kunden kostenpflichtige Analysen oder Prognosen anzubieten. Sprich: Man verkauft seinen Kunden innovative Algorithmen oder Technologien, die sie selbst nicht haben, damit sie seine eigenen Daten weiter veredeln können. Dazu reicht es beispielsweise, einfache Sensorerweiterungen an produzierten Teilen oder Maschinen vorzunehmen und lediglich Verbrauchs- und Systemvitaldaten zu sammeln. Kunden können diesen Service in Form eines optionalen Abonnements in Anspruch nehmen, damit planbare Kosten entstehen – ganz im Sinne einer „As-a-Service“-Strategie. Weitere erprobte Services sind Maschinenschulungen oder Wartungsanleitungen aus der Ferne sowie Trainings an virtuellen Zwillingen ganzer Maschinenparks. Diese Services fördern die Kundenbindung und sorgen für schnelle Soforthilfe bei Problemen, für die sonst nicht selten ein Spezialtechniker ins Flugzeug steigen muss.

Es ist zu erwarten, dass die Verfügbarkeit derartiger digitaler Services die Kunden im Mittelstand künftig mehr schätzen werden, als z.B. billige Preise. Damit legen sie erwartungsgemäß mehr Wert auf Kundenzentrierung und Servicequalität – was schon immer mit dem Begriff „Made in Germany“ verbunden wurde.

Die Praxis und unsere Studie zeigen, dass der Einstieg in die Entwicklung nicht jedem Unternehmen leichtfällt. Jedes vierte Unternehmen räumt selbst ein, dass die Entwicklung digitaler Services strukturierter ablaufen könnte. Eine simple Methodik kann bereits sein, sich genau vor Augen zu führen, wer den Service nutzen soll und welches Problem dadurch gelöst wird. Wichtig sind zudem Überlegungen zu möglichen, attraktiven Preismodellen, die sich mehr an klassischen Onlineshops orientieren. Unternehmen sollten digitale Services so zuschneiden, dass Umsätze aus dem Kerngeschäft und die aus dem digitalen Zusatzgeschäft voneinander entkoppelt werden. So diversifizieren Unternehmen ihr Angebot und stabilisieren Umsätze, die gerade vielfach durch die Corona-Pandemie oder auch durch strukturelle Veränderungen geschrumpft sind.

Foto: AdobeStock