Social Collaboration oder Digital Collaboration ist ohne Zweifel „in“. Unternehmen widmen sich dieser Form der Zusammenarbeit, genauso angesehene Institute. Aber vor lauter Zusammenarbeit, Kooperation und Kollaboration, wahlweise mit und ohne dem Adjektiv sozial (oder social) davor, kann es schon mal passieren, dass die grundsätzliche Idee von Social Collaboration, wie sie vor allem im digitalen Kontext, d.h. auf Plattformen, stattfindet, verloren geht.
Darum bemühe ich einen Blick zurück und eine grundlegende Unterscheidung zum heute verbreiteten Zusammenarbeiten. Denn die Möglichkeit einer sozialen Kollaboration macht meines Erachtens den Kern der digitalen Revolution und digitaler Exzellenz aus.
Kooperation in einem a-sozialen Umfeld
Ganz wichtig: Das Revolutionäre an Social Collaboration ist nicht die Zusammenarbeit. Die gibt es auch beim Vorgängermodell, dem Taylorismus. Auch heute arbeiten wir mit anderen zusammen. Aber halt anders. Wir sind davon geprägt, mit vielen Menschen räumlich und zeitlich an einem Ort, in der Fabrik oder dem Unternehmen zusammenzuarbeiten, synchron Maschinen zu bedienen und damit Produkte herzustellen.
Damit wir so arbeiten, wie wir es tun, mussten wir einen kulturellen Wandel durchlaufen: das Lernen von Disziplin, Fleiß und Betriebsamkeit als beständiges bzw. gleichmäßiges Zur-Verfügung-stellen der Arbeitsleistung über den Tag hinweg (lat. = industria). Vorbild für die Bildung der Organisation war – ist auch nicht jedem bekannt – die strikt hierarchische Kommandostruktur des Militärs.
Diese Form der Zusammenarbeit hat Nebenwirkungen: ein Denken in Positionen statt in Aufgaben und Funktionen, eine starke Bürokratisierung und wachsende Kosten durch einen riesigen Verwaltungsapparat mit vielfältigen Machtebenen und “Funktionssilos”. Gleichzeitig gab es eine nahezu vollständige Wissensenteignung und Inflexibilität der einfachen Beschäftigten. Exzellent sein bedeutet in dem Modell vor allem: schnell, effizient und überlegt, auf spezifische Kundenanforderungen oder entstehende Qualitätsprobleme reagieren können. Die Beschäftigten werden quasi a-sozial verstanden, also als eigentlich arbeitsunwillige Individuen, die man mit allerlei Tricks zum Zusammenarbeiten bringen muss.
Zusammenarbeit im digitalen Handlungsraum
Ausgangspunkt der digitalen Revolution ist eine völlig neue Möglichkeit, die Zusammenarbeit zu organisieren. Mit Hilfe digitaler Plattformen und sozialer Software ist ein sozialer Handlungsraum entstanden. Dieser Raum stellt eine vollwertige technische Alternative zu synchronen Face-to-Face Situation dar. Wissen und Informationen von Menschen werden auf digitalem Wege in einen gemeinsamen Austausch und in Kommunikation überführt. Ziel ist, damit kooperativ zu arbeiten und kollaborativ weiteres Wissen hinzuzufügen.
Der digitale Handlungsraum ermöglicht eine enorme Flexibilität und gemeinsame Interaktionen der Beschäftigten, gerade für große oder transnationale Organisationen. Die räumliche und zeitliche Entgrenzung der Zusammenarbeit (Asynchronizität) lässt vor umfassende Interaktionen zu.
Revolutionär ist die Vernetzung. Dadurch können Unternehmen Peer-Gruppen und Communities bilden. Erst damit ist es möglich, die geistigen Fähigkeiten der Mitarbeiter, insbesondere deren intellektuelle Kompetenzen und innovative Fähigkeiten, im Sinne von Exzellenz zu nutzen.
Genauso wie im Taylorismus, steht uns allerdings zunächst wieder ein massiver Kulturwandel bevor. Digitale Technologie allein reicht nicht. Es sind neue Strukturen und vor allem Kompetenzen aus dem Bereich der Zusammenarbeit notwendig. Eben eine soziale Kollaboration.
Kollaboration als Konzept vernetzter Peer-Gruppen
Der Konzeptkern von sozialer Kollaboration sind die Peer-Gruppen. Die Beschäftigten vernetzen sich eigenständig dadurch, dass sie Kollegen in ihr Netzwerk einladen oder anderen Beschäftigten folgen. Sie tun das, um bestimmte Aufgaben zu erledigen oder Probleme zu lösen, für die sich für besonders kompetent halten.
Im Rahmen der jeweiligen Community kommunizieren sie gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Das gelingt nur, wenn sich die Gruppen autonom organisieren können. Das gilt sowohl für die Aufgabe oder das Thema der Gruppe sowie die Art und Weise, wie sie zusammenarbeiten.
Anders als in verbreitet tayloristischen Strukturen, funktionieren Communities nur herausgelöst aus der Hierarchie. Wenn genau dieser Schritt gelingt, schaffen Unternehmen den radikalen strukturellen Umbruch der Organisation hin zu Social Collaboration. Denn dem Konzept einer sozialen Kollaboration liegt tatsächlich ein völlig anderes Organisationsmodell von Zusammenarbeit, eben das einer Kollaboration, zu Grunde.
Exzellenz und Social Collaboration
Das hat man nun davon, könnte man sagen. Und in der Tat: Die Folgen sind gravierend. Das Gute: Sie sie vor allem positiv. Exzellent, im Sinne von herausragend, wird Social Collaboration in meinen Augen deshalb, weil die Form der Zusammenarbeit eine wesentlich performantere Möglichkeit darstellt, Produkte herzustellen oder Dienstleistungen anzubieten. Interessanterweise sind es vor allem die reifen Industrien, die hier bereits vor längerer Zeit begonnen haben, ihre Organisation und Kommunikation digital aufzustellen. Besonders spannend finde ich hier die Beispiele der beiden Flaggschiffe der Automobilzulieferindustrie Continental AG und Robert Bosch.
Und hier schließt sich der Kreis in Bezug auf das Menschenbild, das sich am deutlichsten vom Taylorismus unterscheidet. Social Collaboration geht davon aus, dass Menschen von Natur aus geborene Teamplayer sind, die eigentlich gerne miteinander zusammenarbeiten, dabei kommunizieren und sich mitteilen – und schließlich gemeinsam lernen. Es lässt sich sogar zeigen, dass Zusammenarbeit in kleinen Gruppen für die Menschheitsentwicklung ein entscheidender und äußerst effizienter Evolutionsvorteil war. Diesen Vorteil kann man durch den digitalen Handlungsraum nun im Sinne einer exzellenten Organisation nutzen. Wenn man es richtig anstellt.
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