Die Teilhabe am kulturellen Leben ist ein Menschenrecht. Die Digitalisierung sowie Konzepte für Open Government können helfen, kulturelle Teilhabe zu realisieren, zu verbessern und zu sichern. Open Culture leistet damit nicht nur einen wichtigen Beitrag dazu, diesem Menschenrecht zur Geltung zu verhelfen. Sie eröffnet sowohl Kulturinstitutionen als auch Kulturinteressierten zudem neue Möglichkeiten, auf Basis offener Daten eigene Projekte zu starten und neue Nutzenszenarien zu entwickeln. Das funktioniert umso besser, je freier Kulturgüter und Kulturdaten verfügbar sind.
Das Recht auf kulturelle Teilhabe ist seit 1948 im Artikel 27 Absatz 1 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte” festgeschrieben:
„Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.”
Damit erkennen die Vereinten Nationen aber nicht nur dieses Recht an, sondern fordern auch seine Umsetzung ein. Hierzu gehört, sowohl das eigene kulturelle Erbe erleben und erfahren als auch das kulturelle Leben anderer erlernen zu dürfen. Der Anspruch erstreckt sich zudem auf den diskriminierungsfreien Zugang zum wissenschaftlichen Fortschritt und zu wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Digitalisierung kann helfen, den Zugang zu Kulturgütern und Wissen zu realisieren, zu sichern und so die kulturelle und wissenschaftliche Teilhabe für alle Menschen zu verbessern. Dass und wie dies möglich ist, zeigen bereits eine Reihe Projekte und Angebote.
Zahlreiche Galerien, Bibliotheken, Archive und Museen (englisch „GLAMs” für Galleries, Libraries, Archives, Museums) nutzen moderne und innovative Technologien, um ihre Bestände zu digitalisieren, aufzubereiten und bereitzustellen. Zwei Beispiele sind die Deutsche Digitale Bibliothek und die Bayerische Staatsbibliothek:
Deutsche Digitale Bibliothek bietet Zugang zu unserem kulturellen und wissenschaftlichen Erbe
Aufgabe und Ziel der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) ist es, jedem Menschen über das Internet einen freien und zentralen Zugang zum kulturellen und wissenschaftlichen Erbe Deutschlands zu bieten. Seit Sommer 2007 arbeiten Bund, Länder und Kommunen gemeinsam an der Umsetzung dieses Ziels, für das die DDB die digitalen Angebote aller deutschen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen miteinander vernetzen soll.
Die erste öffentliche Beta-Version ist im November 2012, die erste Vollversion Ende März 2014 online gegangen. Anfang April 2020 umfasste der digitale Bestand der Bibliothek mehr als 32,8 Millionen Dokumente, darunter zum Beispiel Gemälde, Bücher und Fotografien, die in virtuellen Ausstellungen zu sehen und über eine Suchfunktion recherchiert werden können. Als übergreifendes nationales Portal trägt die DDB mit ihrem Bestand digitalisierter Kunst- und Kulturgüter zur europäischen virtuellen Bibliothek Europeana bei.
Bayerische Staatsbibliothek digitalisiert Handschriften und alte Drucke
Bereits seit 1997 ist das Münchener DigitalisierungsZentrum (MDZ) als zentrale Innovations- und Produktionseinheit der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) unter anderem damit befasst, die eigenen Bestände im Internet zu veröffentlichen. Mitte November 2019 konnte die BSB ihr 2,5-millionstes Digitalisat, also ein durch Digitalisierung entstandenes Produkt wie z.B. eine eingescannte alte Handschrift, online stellen. Damit waren zu diesem Zeitpunkt rund 70 Prozent des urheberrechtefreien Bestands der Staatsbibliothek frei für Wissenschaft, Forschung und Öffentlichkeit über das Netz zugänglich. Die digitalen Sammlungen der BSB umfassen zum Beispiel Handschriften, alte Drucke, Karten und Bilder, Lexika, Zeitschriften, Tageszeitungen und Fotografien.
denkmal.nrw: Digitalisierung im Denkmalschutz
Digitalisierung kann auch den Denkmalschutz als Teil des Kulturgutschutzes dabei unterstützen, Denkmäler als Teil des kulturellen Gedächtnisses dauerhaft zu erhalten und zu sichern. Ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen (NRW) ist die Online-Hilfe denkmal.nrw. Sie unterstützt Städte und Gemeinden in NRW dabei, ihre Denkmallisten digital zu erfassen, zu pflegen und zu veröffentlichen. Soweit datenschutzrechtlich zulässig, werden die von den Kommunen als zuständige Untere Denkmalbehörden erfassten Einträge über entsprechende Online-Angebote, zum Beispiel das Geoportal des Landes NRW, veröffentlicht. Das ist sowohl für die Verwaltung als auch für die Sicherung und Erleichterung der kulturellen Teilhabe von hohem Nutzen, wie es die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung, Ina Scharrenbach, in einer Pressemitteilung formuliert:
Baudenkmäler sind Teil des Gedächtnisses unseres Landes. Durch das vom Ministerium zur Verfügung gestellte Online-Tool denkmal.nrw ermöglichen wir es, dass zukünftig viele Bürgerinnen und Bürger zu diesem Gedächtnis Zugang bekommen. Die Digitalisierung und Veröffentlichung der Denkmallisten ist ein wichtiger Schritt hin zu einer modernen und transparenten Denkmalpflege. Durch die Veröffentlichung der Daten können Informationen zu einzelnen Denkmälern zudem einfacher und schneller bei Planungen und Genehmigungen berücksichtigt werden. […]
Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung
Offene Kulturdaten unterstützen Open Culture
Ganz neue Möglichkeiten ergeben sich, wenn die Bereitstellung der digitalen Bestände tatsächlich frei verfügbar, d.h. nicht nur frei zugänglich, sondern auch uneingeschränkt nutzbar als offene Kulturdaten (Open Data) oder kultureller Gemeingüter (Cultural Commons) erfolgt. Wie sich offene Daten und Kulturgüter nutzen lassen, zeigen die beiden folgenden Initiativen:
{COD1NG DA V1NC1}: Innovative Nutzung offener Kulturdaten
Seit 2014 veranstalten die DDB, das Forschungs- und Kompetenzzentrum Digitalisierung Berlin (digiS), die Open Knowledge Foundation Deutschland und Wikimedia Deutschland den ersten deutschen Kultur-Hackathon “Coding da Vinci”. Ziel ist es, technisch und kulturell interessierte Communities mit deutschen Kulturinstitutionen zu vernetzen und anhand konkreter Beispiele den Nutzen offener digitaler Kulturgüter zu verdeutlichen. Übliche Hackathons erstrecken sich über zwei Tage, meist ein Wochenende. Das Format von Coding da Vinci weicht davon bewusst ab: Hier arbeiten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem mindestens sechswöchigen Sprint, der durch ein zweitägiges Kick-Off-Event eingeleitet wird. Dieser größere Zeitrahmen ermöglicht es den Beteiligten, das vorliegende Datenmaterial besser kennenzulernen und zu verstehen, Ideen zur Nutzung zu generieren und sich in Teams zusammenzufinden. Diese Teams realisieren dann funktionierende Prototypen, die bei einer Abschlussveranstaltung mit Preisverleihung der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Seit 2014 wurden so mehr als 50 Anwendungen, Websites und Apps realisiert, die auf über 100 Datensets von 60 Kulturinstitutionen basieren. Sowohl die Datensets als auch die Quellcodes der Projekte stehen der Allgemeinheit unter offener Lizenz zur Verfügung. Das Projektarchiv von Coding da Vinci bietet Informationen und Zugang zu allen Projekten, die im Rahmen des Hackathons entwickelt wurden. Die Ergebnisse lassen erkennen und erleben, welches Potenzial in frei zugänglichen und nutzbaren Kulturdaten liegt.
Open Culture BW meets VR schafft erweiterte Realitäten in der Kulturlandschaft
Mit ihrer Initiative „Open Culture BW meets VR” macht auch die MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg auf das Potenzial der offener Kulturdaten und digitaler Kulturgüter aufmerksam. Die Initiative bringt Kultureinrichtungen mit Studierenden sowie Expertinnen und Experten aus dem medientechnischen Bereich zusammen, um neue Ansätze und Prototypen aus den Bereichen Virtual-, Augmented- und Mixed Reality auf Basis offener Kulturdaten zur Präsentation von Kulturgütern zu entwickeln.
Digitalisierung kann mehr als nur Wertschöpfungsketten optimieren
Digitalisierung gilt in der Regel alleine als das Mittel, um in Unternehmen bestehende Wertschöpfungsketten zu optimieren und neue zu schaffen. Aber diese verengte Sicht wird dem Potenzial der Digitalisierung insgesamt nicht gerecht. Digitale Technologien helfen gerade im Kulturbereich auch, gesellschaftlich wichtige „Nutzenschöpfungsketten” zu erschließen. Digitalisierung leistet einen wesentlichen Beitrag zur Bewahrung, Sicherung und möglichst freien und offenen Zurverfügungstellung unseres kulturellen Erbes und unserer wissenschaftlichen Errungenschaften und damit zur Umsetzung des Rechtes aller Menschen auf kulturelle Teilhabe.
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