Ein Drittel der Unternehmen und Behörden in Deutschland hat gerade eine Form von Neuorganisation hinter sich, 44 Prozent stecken mitten in einem organisatorischen Umbau. Viele verzetteln sich dabei, zeigt die Studie Organisation x.0. Einige laufen Gefahr, sich bei der Erneuerung zu stark technologisch treiben zu lassen, andere begnügen sich mit dem Schaffen von Homeoffice-Strukturen und wiederum andere bauen ohne Bedacht Hierarchien ab, obwohl gerade diese derzeit von großem Nutzen sind.
Organisation ist wichtig für die Unternehmensführung. Manager planen, bewerten und bestimmen optimale Handlungsalternativen, beispielsweise ob ein neuer Markt erschlossen, ein anderer aufgegeben oder ein Produkt entwickelt wird. Die Organisation betrifft die Ausführung, also die Umsetzung der optimalen Alternative. Sie maximiert die Effizienz, mit der Unternehmen oder Behörden eine Aufgabe umsetzen oder Leistungen erbringen.
Die Organisationsmodelle verändern sich. Vernetzte Geräte und Maschinen, technologische Entwicklungen wie maschinelles Lernen sowie neue IT-Infrastrukturen wie Cloud Computing führen dazu, dass sich Unternehmen anders organisieren als noch vor zehn Jahren. Entscheiderinnen und Entscheider haben es in der Hand: Sie können sich von diesen konkreten Errungenschaften – die wir zu gerne unter dem unkonkreten Begriff Digitalisierung subsummieren – diktieren lassen, wie Menschen zusammenarbeiten und Wertschöpfungsketten auszusehen haben. Oder sie betrachten digitale Transformation vom Menschen her und nutzen die Möglichkeiten neuer Technologien als Werkzeug und als Eintrittskarte für den Bau einer Organisation, die ihren Vorstellungen von Zusammenarbeit, Wirtschaften und Leistungserbringung entspricht.
Letzteres wäre wünschenswert, ist aber alles andere als ein Selbstläufer:
Neu ist nicht zwingend besser
Moderne Organisationsformen wie die teamorientierte Holokratie, das lose Konstrukt virtueller Unternehmen oder Direct-to-Consumer-Ansätze ohne Zwischenhandel erheben den Anspruch, dass sie in der digitalisierten und vernetzten Gesellschaft das neue Non-plus-Ultra der Organisationspraxis sind. Doch auch sie müssen sich daran messen lassen, ob sie Innovationen beschleunigen und die Effizienz steigern. Stefan Kühl, Uni-Professor und Blogger, beschreibt im Entscheidermagazin Managementkompass Organisation x.0, wie die gewünschte Harmonie schnell in Machtkämpfen mündet. Zudem reißen Unternehmen gerne Hierarchieebenen aus einem intakten Gebilde ohne Menschen und Abläufe darauf vorzubereiten. In Krisenlagen werden dann Entscheidungen nicht selten ungefiltert nach oben an das Top-Management delegiert, und das entscheidet dann deutlich weniger rücksichtsvoll als in Organisationen, in denen Entscheidungen durch mittlere Hierarchiestufen abgefedert werden.
Spielertypen und Spielsystem müssen zusammenpassen oder -finden
Ein weiteres Sandkorn im Getriebe neuer, vielfach so gern als „agil“ umschriebener Organisationsmodelle ist die Tatsache, dass die Mitarbeitenden das neue moderne System nicht umsetzen können. Entweder akzeptieren sie die neuen Regeln, Abläufe und IT-Infrastrukturen nicht, oder sie können sie mangels Qualifizierung und Gewöhnung nicht anwenden und dementsprechend nicht leben. Die Folge: Das schöne neue Organigramm verkommt zum Papier- oder PDF-Tiger.
Neue Organigramme mit Leben füllen
Eine Veränderung in Richtung einer Organisation, die laufend auf dem Sprung ist, ist per se gut. Sie darf aber nicht nur auf den Organigrammen stattfinden und sollte kein Selbstzweck sein. Viele Unternehmen und Behörden haben sich in der Corona-Pandemie mit beachtlichem Pragmatismus neu organisiert. Effizienz war Nebensache. Hauptsache, der Laden läuft weiter. Sobald etwas Ruhe einkehrt, gilt es nun, die nötige operative Effizienz mithilfe von Befähigung, Prozessexzellenz und angepasster Führung nachzuziehen.
Denn Homeoffice, Fehlerkultur und Cloud Computing machen allein keine bewegliche Organisation aus. Dazu gehört mehr. Der Weg von „one best way“ zu „trial and error“ gelingt beispielsweise nur dann, wenn Unternehmen gleichzeitig eine Systematik einführen, was nach einem Fehler mit den Erkenntnissen daraus passiert. Einen solchen Prozess haben 27 Prozent der für unsere Studie befragten Unternehmen implementiert. Die anderen haben entweder keine Fehlerkultur oder sie lassen Fehler zu, ohne daraus systematisch lernen.
70 Prozent der Banken und Versicherer gehen zudem davon aus, dass Remote Work nach Corona weiterhin bei mehr als 30 Prozent ausmachen wird. Dauerhaft profitieren werden sie aber nur, wenn diese Modelle entsprechend effizient und wertschöpfend sind. Dafür müssen sie beispielsweise passende Backup-Lösungen einkalkulieren, wenn Mensch und Maschine aus der Ferne mal nicht so funktionieren wie gedacht. Zudem brauchen sie reibungslose Übergabeprozesse von einer Person, einem Ort oder einer IT-Infrastruktur zur anderen. Und sie benötigen Führungstypen, die wissen, wie sie Teams steuern und zusammenhalten können, die überall verstreut arbeiten und meist besser wissen, was gut für die Kunden ist.
Neue Organigramme sind somit schnell gemalt. Die eigentliche Neuorganisation ist um einiges komplexer und zeitintensiver.
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