Regulierung ist nicht nur Innovationsbremse, sondern ebnet manchmal auch den Weg zu mehr digitaler Exzellenz: Ab 2020, vollständig dann ab 2022, müssen Unternehmen ihre Jahresabschlüsse im EU-weiten Berichtsformat ESEF veröffentlichen. Ziel ist, dass Anleger Bilanzdaten besser vergleichen können. Diesen Pool von Unternehmensdaten können sich Banken zunutze machen. Mittels Machine Learning lassen sich wertvolle Erkenntnisse für Kredit- und Investitionsentscheidungen ableiten.
Mit dem IFRS-Standard gibt es in der EU bereits einheitliche Regeln für Bilanzierungen kapitalmarktorientierter Unternehmen. Dennoch ist die Analyse von Bilanzdaten sehr aufwendig. Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) verstecken sich in hunderten Seiten PDF-Dokumente. Anhangsangaben und Erklärungen weichen harte Fakten oftmals auf. Aus diesem Grund und zum Schutz von Investoren entschied die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA), dass künftig IFRS-Unternehmen ihre Abschlüsse in einem einheitlichen Template elektronisch veröffentlichen müssen.
ESEF- ein elektronisches Berichtswesen für IFRS-Bilanzierer
ESEF (European Single Electronic Format) heißt das neue Format. Unternehmen müssen ihre Bilanz- und GuV-Daten ab 2020 als XHTML-Dateien veröffentlichen, ab 2022 zusätzlich die Anhangsangaben der Unternehmen. Spannend hieran ist, dass alle Daten einheitlich übermittelt werden, egal ob Bank oder Industrieunternehmen. Investoren, aber auch Banken, können künftig Bilanzdaten recht einfach auswerten und miteinander vergleichen. Aktiva, Passiva und GuV lassen sich zwar bereits heute verhältnismäßig schnell herauslesen, spätestens beim Anhang ist es aber vorbei mit der Transparenz, der Aufwand für Vergleiche steigt erheblich.
Nutznießer des neuen Berichtswesens sind vor allem die Investoren. Sie sollen einen vereinfachten Zugang zu Abschlussinformationen erhalten und damit Anlageentscheidungen schneller treffen können. Eigentlich war das bereits Ziel der IFRS-Einführung. In der Praxis bleibt die Bilanzanalyse jedoch eine Expertenaufgabe. Die Einführung der ESEF belegt, dass Verbesserungspotential gesehen wird.
Kreditprozesse durch Abschlussdaten optimieren
Die Umstellung auf das ESEF-Format bedeutet aus Sicht der betroffenen Unternehmen eine zusätzliche Regulierung und initial einen Mehraufwand für die Controlling- und IT-Abteilungen. Der Abbau von Informationsasymmetrien zwischen Anleger und kapitalmarktorientiertem Unternehmen lässt sich allerdings anderweitig nutzen. Je einheitlicher die Daten, desto besser lassen sie sich automatisiert auswerten.
Für Banken beispielsweise ist dieses Plus an Standardisierung ein Segen. Endlich gibt es ausreichend Daten, um die Risikosteuerung mithilfe von selbstlernenden Algorithmen zu verbessern. Kreditabteilungen können die ESEF-Daten für eine KI-gestützte und damit effizientere und genauere Kreditüberwachung und -vergabe einsetzen.
Ein häufiges Problem beim Einsatz von Machine Learning und Deep Learning ist es bislang, dass nicht immer ausreichend Daten zur Verfügung stehen. Bilanz- und Abschlussdaten liegen zwar vor. Ein einheitliches und vom Wirtschaftsprüfer geprüftes Format ist allerdings neu und vereinfacht die Software-gesteuerte Auswertung. Durch die ESEF-Einführung ersteht ein homogener Datenpool, der nur darauf wartet, ausgewertet zu werden.
Die KI-Systeme brauchen, bildlich gesprochen, keine aufwendige Ausbildung als Wirtschaftsprüfer, um Bilanz-Anhänge auszuwerten. Die Daten liegen nun hübsch sortiert vor, so dass Machine-Learning-Verfahren mit vertretbarem Training Erkenntnisse herauslesen können.
Die Software kann Muster aufzeigen und Bankmitarbeitern so beim Kredit-Risikomanagement unterstützen. Machine-Learning-Systeme können nützliche Hinweise geben, zum Beispiel:
- wann Kreditentscheider intensiver hinschauen sollten,
- welche Information im Anhang mit einem Gewinneinbruch korrelieren,
- welche Daten untypisch für das Geschäftsfeld sind
- und ob Informationen im Vergleich zu anderen Unternehmen auf Bilanzkosmetik schließen lassen.
Mit diesen Erkenntnissen können Banken ihr Firmenkundengeschäft deutlich „intelligenter“ und effizienter steuern. Risiken lassen sich frühzeitig erkennen, Entscheidungen sind besser abgesichert.
Die Weichen für Datenbanken und KI-Auswertungen von Investoren und Banken sind durch das neue ESEF-Berichtsformat in jedem Fall gestellt. Banken, wahrscheinlich auch andere Branchen, können diesen Datenpool zu ihrem Vorteil nutzen, auch wenn Anwender zunächst einmal nur den Mehraufwand der neuen Regulation sehen.
Fazit: Regulierung hat auch ihre praktischen Seiten.
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