Digitale Exzellenz
Digitale Exzellenz

Emotional oder professionell führen? Warum nicht beides, liebe Führungskräfte?

, 18. März 2020

Lesezeit: 5 Minuten

Emotional oder professionell führen? Warum nicht beides, liebe Führungskräfte?

Es wird viel über Digital Leadership geschrieben und gesprochen. Die heutige Führungskraft soll beispielsweise unabhängig vom eigenen Führungsstil mehr moderieren als kommandieren und ihr Team befähigen sein Potenzial auszuschöpfen. Eine andere Fähigkeit wird seltener hervorgehoben: ein neuer Umgang mit Emotionen.

In der schnelllebigen Berufswelt des digitalen Wandels bleibt selten Zeit und Raum für Emotionen. Emotionen von Mitarbeitern können teilweise unberechenbar, geschweige denn steuerbar wirken. Sie werden daher oftmals als Hindernis auf dem Weg der effizienten Zielerreichung von Führungskräften wahrgenommen. Emotionen werden, obwohl Digital Leadership in aller Munde ist, gerne den Coaches überlassen. Dabei kann ein bewussterer Umgang mit Emotionen Mehrwert stiften.

Je nach Führungsstil gehen Führungskräfte unterschiedlich mit Herausforderungen und Emotionen um. Ein psychodynamischer Führungsstil ergibt sich aus der Art der Wahrnehmung, der Interpretation des Wahrgenommenen und Handlungsmustern im Umgang mit zu erledigenden Aufgaben. Diese ergeben sich aufgrund innerer unbewusster Pole und Spannungen und werden über die Zeit verfestigt. Verschiedene Führungsstile sind weder gut noch schlecht, sondern vielmehr in ihrer Ausprägung und im Kontext der jeweiligen Situation zu bewerten.

Emotionen und Führung im Projektgeschäft

Ein typisches Beispiel aus der Welt der digitalen Transformation: Ein innovatives Leuchtturmprojekt wird durchgeführt, beispielsweise die Einführung einer KI-Anwendung. Es ging hektisch zu und Ergebnisse sollten in kürzester Zeit geliefert werden. Die Folge: Nicht explizit ausgetragene zwischenmenschliche Konflikte während des Projektes hatten die Zusammenarbeit und die Qualität der Ergebnisse des Projektes geschmälert. In einem „Retro-Workshop“ wurden die Konflikte zwischen Mitarbeitern nachträglich transparent. Als ein Mitarbeiter sie erneut durchlebte und einem Kollegen gegenüber emotional(er) äußerte, antwortete er: “Sei doch bitte mal professionell!”. Sind Emotionen hier also ein klarer Widerspruch zur Professionalität, oder doch nicht?

Die Projektleitung im Projekt hatte einen machtorientierten Führungsstil. Ihr Streben nach Erfolg und visionäre Denkweise hatten es ihr ermöglicht, das Projekt im hart umkämpften Wettbewerb zu gewinnen. Sie schaffte es, zunächst das Team hinter sich zu versammeln und zu Höchstleistungen anzuspornen. Das Team umfasste auch Projektmitglieder mit spezifischer Fachexpertise. Als im Projekt von ihnen fachliche Kritik geäußert wurde, wies die Projektleitung diese jedoch stets zurück. Dadurch entwickelten sich unterschwellig zwei Fraktionen von Mitarbeitern innerhalb des Projektes.

Die Projektleitung schloss das Projekt noch erfolgreich ab, jedoch zu emotionalen Lasten der Mitarbeiter. Ein offener, nicht auf sich selbstbezogener Umgang mit berechtigter Kritik hätte negative Emotionen während des Projektes vermeiden können und dadurch ein besseres Ergebnis in höherer Qualität ermöglicht. Das Beachten der Emotionen wäre hier also vielmehr Kür als Widerspruch zur Professionalität gewesen.

Emotionen und Führung in Mitarbeitergesprächen

Mitarbeitergespräche stellen Führungskräfte gerade im digitalen Zeitalter immer wieder vor Herausforderungen. Sichtbar thematisiert werden Leistungen der Vergangenheit, Gehälter, sowie die weitere Entwicklung der Mitarbeiter. Weniger sichtbar laufen dagegen die Themen Wertschätzung, Erwartungsmanagement und der Umgang mit Unsicherheiten der Mitarbeiter im volatilen Umfeld der Digitalisierung ab. Unsichtbar oder unbewusste Themen orientieren sich stark am Führungsstil der Führungskraft und dem Umgang mit diesen durch den Mitarbeiter.

Der Vorgesetzte in einem anderen typischen Digitalprojekt mit einem konsensorientierten Führungsstil hat das Gespräch pflichtbewusst vorbereitet und durchdacht. Im Gespräch erzählt der Mitarbeiter überraschend, dass er sich gemobbt fühlt im Team und bricht in Tränen aus. Die Führungskraft geht sehr verständnisvoll auf ihn ein und bestätigt seine Leistungen für sie und das gesamte Team. Die ihr tatsächlich aufgefallenen Verhaltensweisen des in diesem Fall als einziges Teammitglied remote arbeitenden Mitarbeiters, die die Gruppe zu dem Mobbing veranlassen, spricht sie nicht an. Ihr unbewusstes Ziel die Beziehung zu dem Mitarbeiter in dieser sehr emotionalen Situation nicht zu gefährden, verhindert hier einen Erkenntnisgewinn für diesen. Eine angemessene konstruktiv-konfrontierende Auseinandersetzung würde dem Mitarbeiter als auch dem gesamten Team helfen.

Digital Leadership ist emotional und professionell

Die zwei exemplarischen Führungsstile zeigen Stärken und Schwächen in den jeweiligen Situationen. Die machtorientierte Führungskraft vollendet das anspruchsvolle Projekt, schürt aber belastende Emotionen bei den Projektbeteiligten. Der konsensorientierte Vorgesetzte bindet die Emotionen des Mitarbeiters, versäumt es aber konstruktive Denkanstöße zu geben. Ein Bewusstsein über den eigenen Führungsstil ermöglicht es Führungskräften, ihren individuellen Umgang mit Emotionen zu verstehen, blinde Flecken zu identifizieren und ihre Führungskonzepte für die digitale Arbeitswelt wirksamer zu gestalten. Emotional und professionell.

Wenn ihr das Thema vertiefen wollt, hier eine nützliche Quelle zum Nachlesen:

Lohmer, M./Giernalczyk, T./Heimer, C./Engelberg, M./Albrecht, C./Weiß, J. (2012): Psychodynamische Führungsstile. In: Giernalczyk, T./Lohmer, M. (Hg.): Das Unbewusste um Unternehmen. Psychodynamik von Führung, Beratung und Change Management (S. 57–76). Stuttgart: Schäffer & Poeschel.

Foto: Getty Images / YinYang