Digitale Exzellenz
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Embedded Insurance: Tausche Endkunde gegen Vermittler

, 16. März 2022

Fotocredit: Getty Images / Guillaume

Lesezeit: 10 Minuten

Embedded Insurance: Tausche Endkunde gegen Vermittler

Uns Versicherungskunden interessiert beim Abschluss, ob wir dem Produktanbieter vertrauen können. Es muss jedoch nicht zwingend ein Versicherer sein, es kann auch ein Autohaus, ein Stromanbieter oder ein Internetdienstleister sein, dem wir dieses Vertrauen entgegenbringen. Für Versicherer ist es somit ratsam, Angebote für Embedded Insurance deutlich auszuweiten – auch wenn das bedeutet, den direkten Draht zum Verbraucher in einen direkten Draht zum Firmenkunden zu verwandeln.

Vor dem Verkauf einer Versicherung müssen drei Fragen beantwortet sein. Erstens: „Wer ist mein Kunde?“ Zweitens: „Was benötigt mein Kunde?“ Und drittens: „Wie spreche ich ihn an?“. Die zweite Frage wird nach wie vor von den Produktdesignern, den Versicherungsmathematikern und den Underwritern in den großen Versicherungshäusern ausgiebig diskutiert und beantwortet. Für die Beantwortung der ersten und dritten Frage sind in den vergangenen Jahren verstärkt die Insurtechs auf dem deutschen Versicherungsmarkt in Erscheinung getreten.

Insurtechs, die im Vertrieb von Versicherungsprodukten aktiv sind, ergänzen oder erweitern das klassische produktfokussierte Angebot eines Versicherers. Das können zum Beispiel intelligente Bedarfsanalysen, Angebotsvergleiche, digitale Vertragsverwaltung und der unkomplizierte Vertragswechsel sein. Die Strategie zielt darauf ab, über eine eigene Marke eine direkte Endkundenbeziehung aufzubauen sowie über die technische Umsetzung einen „Lock-in“-Effekt zu erzielen. Beispiele hierfür sind digitale Makler wie Clark, wefox und Getsafe.

Vermittelte Policen werden in der Regel aber wieder mit einem traditionellen Versicherer abgeschlossen. Die Insurtechs behalten in ihrer Funktion als Makler die Hoheit über die Kundeninformationen und die Kundenschnittstelle. Der Kunde kann darauf vertrauen, dass der etablierte, Bafin-geprüfte Versicherer beim Eintreten des Versicherungsfalls seinen Verpflichtungen nachkommen kann. Die Versicherer stehen dabei nicht immer nur am Spielfeldrand, sondern investieren auch selbst. Das zeigen Beteiligungen der Investmentsparte Allianz X an Clark sowie der Swiss Re an Getsafe.

Wir sehen also, dass sowohl die Insurtechs als auch die klassischen Versicherer eine bestimmte Position und Relevanz im Markt haben. Doch was ist eigentlich mit Unternehmen ganz außerhalb des Versicherungskosmos, die in der Lage sind, alle drei Fragen zu beantworten und einfach eigene Versicherungen zu verkaufen? Für Versicherer und Insurtechs lohnt es sich, diese Player genauer zu beobachten. Hier kommen zwei Beispiele:

Apple mit der Strategie: „Darf’s ein bisschen mehr sein?“

Da ist zunächst die IT-Marke: Apple kennt seine Kunden wahrscheinlich besser als jeder Versicherer – allein durch die Apple ID als digitalen Alias und durch Apple Pay als mobilen Bezahldienst. Darüber hinaus genießt Apple als Marke einen riesigen Vertrauensvorschuss und kann eine der stärksten emotionalen Kundenbindungen aufweisen. Und was häufig untergeht: Der Techkonzern ist im Versicherungsmarkt aktiv. Apple führte bereits 2007 mit AppleCare eine erweitere Garantie für den Macintosh ein. Für die damalige Zeit durchaus innovativ. Mittlerweile ist AppleCare das größte Garantieverlängerungsprogramm der Welt mit einem geschätzten Umsatz von 8,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021.

Der Ansatz von Apple ist, die Begeisterung von einem emotional aufgeladenen Produkt wie dem iPhone während des Verkaufsprozesses auf das wenig wertgeschätzte Produkt Versicherung zu lenken. Mit der Bezeichnung AppleCare färbt sogar die eigene Markenstrahlkraft darauf ab. Die Frage an der Apple Genius Bar, ob man sein neues iPhone nicht durch eine erweitere Garantie, bevorzugten technischen Support und mit AppleCare+ sogar gegen Diebstahl und Verlust absichern möchte, beantwortet man doch gerne mit Ja. Wo würde der Kunde sein neues Spielzeug besser aufgehoben wissen als unter der schützenden Hand von Tim Cook? Die Versicherung ist somit kein Nebenprodukt, sondern Teil des Markenerlebnisses.

Apple allerdings als Versicherungsmakler zu bezeichnen, ginge doch etwas zu weit. Interessant ist dennoch, wie Apple vorgeht. Das Unternehmen ist im US-Heimatmarkt als Managing General Agent (MAG) lizenziert. MAGs agieren als Vermittler zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern und sind, anders als herkömmliche Makler, mit Zeichnungsbefugnissen ausgestattet. Das heißt, sie übernehmen den gesamten oder einen Teil des Geschäftes, der normalerweise von Versicherern ausgeführt wird. Sie legen den Versicherungsschutz fest, übernehmen das Underwriting sowie die Preisgestaltung und bearbeiten Ansprüche und Beschwerden. Der Versicherungspartner dahinter ist die American International Group (AIG) bzw. die regionale Direktion in Deutschland.

Tesla – ein Quantum Insurance

Das zweite Beispiel ist Tesla. Auch wenn Tesla erst seit 2019 und in den Bundesstaaten Arizona Kalifornien, Illinois, Ohio und Texas Versicherungen anbietet, gilt das Unternehmen als Vorreiter in der amerikanischen Kfz-Sparte. Mit speziell entwickelten Telematiktarifen bietet Tesla einen monatlich variierenden Rabatt auf Prämien, abhängig von dem jeweiligen „Safety Score“ der Fahrerinnen und Fahrer. Versicherte mit der besten Bewertung können so bis zu 60 Prozent ihrer Prämie einsparen. Wer sich über über Teslas Versicherungsangebot in Deutschland informieren möchte, dem sei dieses unterhaltsame Video eine US-Youtubers ans Herz gelegt.

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Man muss dazusagen: Teslas Angebot im deutschen Markt ist deutlich abgespeckt und beinhaltet eine Garantieverlängerung in den ersten vier Jahren für Reparaturen oder den Austausch von Teilen. Tesla fügt die Versicherungsleistung etwas weniger prominent als integriertes Feature in den Verkaufsprozess ein. Die Versicherung ist als Teil des Gesamtpaketes fast unsichtbar. Das Produkt Auto steht im Fokus und verschlingt das gesamte Marketingbudget. Für die Anschlussgarantie und eine genauere Erklärung zur Versicherungsleistung hat es daher nur für einen Link auf die Unterwebsite „Support“ mit Verweis auf die AGB gereicht. In der Gesamtbetrachtung ist aber auch hier das Geschäft mit Versicherungen hochprofitabel und wird auf 30 bis 40 Prozent des weltweiten Gesamtumsatzes für die nächsten Jahre geschätzt.

Der Versicherungspartner von Tesla in Deutschland ist die Helvetia Swiss Insurance Company aus Liechtenstein. Der Kunde schließt die Versicherung mit der Helvetia Swiss, wobei die Tesla-Servicecenter als bevollmächtigte Dritte beauftragt werden, die Leistungen im Auftrag des Versicherers zu erbringen. Helvetia überweist dabei die Leistung für versicherte Reparatur- und Austauscharbeiten direkt an das autorisierte Tesla-Servicecenter. Alles easy! Die Prozesskosten sind minimal.

Embedded Insurance – nicht neu, aber bislang unterschätzt

Der versicherungsrechtliche Rahmen ist bei beiden Beispielen unterschiedlich. Doch sie verdeutlichen, wie Versicherungen erfolgreich in andere Produkte „eingebettet“ werden. In beiden Fällen wird das Produkt an sich, ob Smartphone oder Auto, von den Kunden als so wertvoll eingeschätzt, dass sie bereit sind, für dessen Werterhalt eine Versicherungsprämie zu zahlen. Der Verkauf von Versicherungen ist für die Unternehmen hochprofitabel. Der Kontakt zum Endkunden verbleibt auf der Seite des Produktherstellers. Ob jetzt bei Apple die American International Group oder bei Tesla die Helvetia Swiss Insurance Company dahintersteht, ist eigentlich egal.

Kommen wir zu Europa. Was bedeutet das jetzt für den für die deutschen Versicherer? Zunächst ist der Vertrieb von Versicherungsprodukten im Paket mit Produkten durch branchenfremde Partner als Annexvertrieb durchaus nicht neu. Dieser Vertriebsweg ist technisch ausgereift, etabliert und in allen Branchen in Deutschland zu finden.

Vermieter auf der Plattform Airbnb bezahlen schon seit mehreren Jahren automatisch eine Haftpflichtversicherung, falls sich Gäste in der Wohnung verletzen oder Eigentum der Nachbarn beschädigen. Das Immobilienportal Immoscout24 bietet eine Mietausfall- und sogar eine Mietnomadenversicherung für Vermieter an. Reiserücktrittsversicherung bei der Flugbuchung auf Ryanair? Funktioniert alles!

Das Prinzip „Embedded Insurance“ ist somit kein Fremdwort für die Versicherer in Deutschland und Europa. Der Markt für Versicherungen, die mittels Daten und Technologien nahtlos und personalisiert in eine Customer Journey integriert werden, ist allerdings alles andere als gesättigt. Im Gegenteil.

Es gibt Einschätzungen, wonach Versicherer in Europa bis 2030 allein in den Sparten Sach- und Haftpflichtversicherungen bis zu 200 Milliarden Euro an Prämien mit „Embedded Insurance“ erzielen könnten. Das würde in etwa ein Drittel aller Bruttobeiträge der zehn größten europäischen Versicherer aus 2020 entsprechen. In der fortschreitenden Digitalisierung der Versicherungsbranche ein riesiger Wachstumsmarkt.

Ein Großteil der Kunden der Zukunft sind die Unternehmen, nicht die Konsumenten

Für Versicherer eröffnet sich hiermit die Chance auf Neukundengewinnung – allerdings nicht unbedingt im Verbrauchersegment. Die Unternehmen, ob Autohersteller, Wohnungsplattform oder Fluglinie, kennen alle ihre Kunden und deren Bedürfnisse aus dem Effeff, und sie sitzen direkt an den Kundenschnittstellen. Der Versicherer kann hier als Produktpartner ohne große Marketing- und Vertriebskosten neue Policen verkaufen.

Ein zentraler Showstopper sind allerdings die IT-Systeme der Versicherer. Diese lassen sich häufig nicht zu vertretbaren Kosten an die Systeme ihrer Kooperationspartner andocken. Exakt hier kommen Insurtechs und andere Partner mit passender State-of-the-Art-Technologie ins Spiel: Anbieter wie hepster, Element oder INgine (ein wenig Eigenwerbung sei erlaubt) besetzen die Schnittstelle zwischen Versicherer und Produktanbieter. Je besser und nahtloser die Versicherung in die Customer Journey integriert und je einfacher und passgenauer die Police zugeschnitten ist, desto größer die Bereitschaft zu einem Vertragsabschluss.

Es gibt bereits Ansätze bei Versicherungen, diese Umsatzpotentiale zu heben. Zum Beispiel in der Schweiz: Die Swiss Re hat kürzlich Pravina Ladva als Chief Digital und Technology Officer in den Vorstand berufen. Pravina Ladva war bis dahin beim Digitalableger der Swiss Re, iptiQ, tätig. Der Versicherer stellt die Mietausfallversicherung von Immoscout24 bereit. Der Konzern Swiss Re möchte künftig verstärkt Konsumentenversicherungen über große Unternehmen wie IKEA anbieten.

Deutsche Versicherer sind ebenfalls aktiv: Allianz Partners, die Konzerntochter für das B2B2C-Versicherungsgeschäft, hat eine Partnerschaft mit Singapore Airlines für das weltweite Angebot von Versicherungsprodukten und Services bestätigt. Im Rahmen dieser Partnerschaft wird den Kunden von Singapore Airlines eine Reihe von Produkten für Reiserücktritt und -abbruch, erhebliche Reiseverspätungen und verpasste Anschlüsse, medizinische Notfälle im Ausland, Gepäckprobleme und mehr angeboten. Das komplette Paket aus einer Hand.

Möglicher Verlust der Kundenschnittstelle muss kein Verlust von Relevanz sein

Durch „Embedded Insurance“ sind also versicherungsfremde Produktanbieter in der Lage, ihren Kunden einen Mehrwert zu bieten und gleichzeitig eine Nachfrage nach Versicherungslösungen zu schaffen. Für das Bedienen der selbst geschaffenen Nachfrage wird dann ein Versicherer ins Boot geholt.

Den Versicherern bietet sich einerseits die Chance auf eine aufwandsarme Neukundengewinnung, andererseits begeben sie sich durch den fehlenden Kontakt zum Endkunden und einer geringen Markenpräsenz in eine Position der Austauschbarkeit. Das Risiko ist allerdings steuerbar. Es ist jedoch wichtig, frühzeitig Partnerschaften mit den großen E-Commerce- und Internetplattformen sowie bekannten Markenherstellern zu entwickeln und auszubauen, um eigene Versicherungsprodukte an der Kundenschnittstelle zu platzieren. Auch wenn es schwerfällt, vielleicht sollte der eine oder andere Versicherer dafür noch stärker verinnerlichen, dass das Logo oben auf dem Versicherungsschein doch gar nicht so wichtig ist, sondern Prozessexzellenz, Produktgespür und Technologieexpertise die relevanteren Wettbewerbsvorteile sind.

Der Markt für integrierte Versicherungsprodukte für Produkthersteller (Embedded Insurance) ist in jedem Fall attraktiv. Branchen-Benchmarks wie Tesla vermischen ihr Produktgeschäft zusehends mit dem Versicherungsgeschäft. Im März 2021 wurde die deutsche Niederlassung von Tesla Insurance Ltd von der BaFin als Schaden- und Unfallversicherer lizenziert. Anschrift ist die Tesla Straße 1 in Grünheide, das Gebäude dasselbe wie die Gigafactory.

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Links zum Vertiefen

https://versicherungswirtschaft-heute.de/schlaglicht/2021-11-09/megadeal-allianz-macht-clark-zu-einem-der-weltgroessten-insurtechs/

https://www-it–finanzmagazin-de.translate.goog/tesla-bringt-telematik-kfz-tarife-nach-deutschland-135762/?_x_tr_sl=de&_x_tr_tl=en&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=wapp

https://www.investopedia.com/tesla-insurance-business-profitability-5215165

https://www.linkedin.com/pulse/embedded-insurance-3-trillion-market-opportunity-could-simon-torrance

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/versicherer/pravina-ladva-digitalchefin-der-swiss-re-steigt-in-den-vorstand-auf/27900424.html?ticket=ST-41885-gs79vqnJP3w4moYMVaLE-ap5

https://www.asiaone.com/business/allianz-partners-strikes-global-insurance-partnership-singapore-airlines