Digitale Exzellenz
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Design Thinking und Prozessmanagement – vereint im Dienste der Nutzer

, 3. Juni 2020

Lesezeit: 6 Minuten

Design Thinking und Prozessmanagement – vereint im Dienste der Nutzer

Design Thinking steht für Nutzerzentrierung, Kreativität und Agilität. Für Prozessmanagement gilt das im Prinzip auch. Warum nicht beide Disziplinen zusammenbringen? Gesagt getan: Hier ein Praxisbeispiel zur Neugestaltung von HR-Prozessen, bei dem beide Konzepte kombiniert werden.

Zunächst die Theorie: Design Thinking und klassisches Prozessmanagement eint, dass sich die Anwender beider Ansätze in die Rolle des Kunden oder internen Nutzers versetzen müssen. Bei beiden werden die Beteiligten mit Interviews und Workshops in die Entwicklung neuer Produkte, Services und Prozesse einbezogen.

Doch es gibt Unterschiede. Abgesehen vom cooleren Namen zielen Design-Thinking-Methoden darauf, dass die Anwender eine viel tiefere Empathie für die Nutzer und Stakeholder entwickeln. Ihre Motivationen, Denkweisen und Werte fließen unmittelbar in den Entwicklungsprozess ein. Design Thinking folgt zudem immer den folgenden Aspekten:

  1. den Wünschen und Sehnsüchten der Menschen (desirability)
  2. der technologischen und prozessualen Machbarkeit (feasibility)
  3. der Wirtschaftlichkeit der entwickelten Lösung (viability)

Klassisches Business Process Management (BPM) orientiert sich sehr stark an den Aktivitäten und Abläufen der Ist-Prozesse. Das Herausragende an diesem Konzept ist der Fokus der Beobachtungen auf alles Messbare in Prozessen. Digitale Datenspuren sind hier sehr hilfreich.

Prozessmanagementprojekte werden zudem heute noch oft traditionell entlang der Wasserfallmethode mit klar definierten Phasen und Meilensteinen durchgeführt. Von der Analyse bis zur Implementierung des neuen Prozesses vergeht damit mehr Zeit. Das widerspricht allerdings der Entwicklung, dass sich Geschäftsprozesse schnell und laufend verändern müssen, weil sich das Unternehmen oder der Markt verändern. Ein zu starker Fokus auf Ist-Zustände birgt zudem die Gefahr, am Ende doch an den Bedürfnissen und Wünschen der Nutzer vorbei zu entwickeln. Und dadurch nach der Implementierung vor Akzeptanzproblemen zu stehen.  

Durch Nutzerzentrierung Widerstände im Prozess-Design abbauen

Wenn das passiert und die mit großem Einsatz erstellten Prozesse am Ende von den Nutzern nicht „gelebt“ werden, arbeiten die Unternehmen häufig mit Druck daran, dass die verabschiedeten Prozesse auch tatsächlich wie geplant durchlaufen werden. Doch sobald der Nutzer sich unbeobachtet fühlt, schleichen sich erneut „Workarounds“ ein. Kunden rufen beispielsweise doch lieber an anstatt die digitalen Self-Service-Prozesse zu nutzen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter legen Dateien wie gewohnt mehrfach an, obwohl es eine zentrale Ablagestelle gibt. Die Folge sind ineffiziente und teure Prozesse, die zudem nicht gelebt werden.

Häufig liegt das daran, dass im Prozessdesign Aktivitäten so geordnet werden, dass der Prozess möglichst reibungslos fließt. Der Nutzer muss sich dann in diesen Fluss eingliedern.

Dass dies oft nicht reibungslos passiert, kann an unterschiedlichen Faktoren liegen: Häufig leistet der Prozess einfach nicht das, was der Nutzer von ihm erwartet. Und bei der Automatisierung von bisher manuell durchgeführten Prozessen mithilfe von Robotic Process Automation (RPA) oder Künstlicher Intelligenz (KI) entsteht bei Nutzern durchaus die Angst, dass sie die Kontrolle über Entscheidungen verlieren – oder die Maßnahmen nur dazu dienen, zukünftig Arbeitsplätze einzusparen. Häufig wird auch der Nutzen der Automatisierung in Frage gestellt.

Praxisbeispiel Design Thinking Workshop: Nutzung von KI und RPA in HR-Prozessen

Um diese Widerstände der Nutzer zu vermeiden, haben wir im Rahmen eines internen Design Thinking Workshops beide Ansätze verschmolzen. Wir haben gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Personalabteilung Prozesse identifiziert, die sich mittels Robotic Process Automation (RPA) oder Künstlicher Intelligenz (KI) wertstiftend und nachhaltig automatisieren lassen und konkrete Anwendungsmöglichkeiten entwickelt.

Design Thinking Workshop. Menschen vor einem Kanban-Board
Brainstorming-Session im Design Thinking Workshop zum Problemraum „RPA im Recruiting“

Im Unterschied zum „klassischen“ Vorgehen widmeten wir beim Prozessdesign mit Design Thinking der IST-Aufnahme der Prozesse praktisch keine Zeit. Diese haben wir parallel zu dem Workshop mithilfe von BPM erhoben. Stattdessen fanden wir in empathischen Interviews heraus, wie weit die Prozessdigitalisierung schon vorangeschritten ist und welche Prozesse besonders „schmerzhaft“ oder fehleranfällig sind. Wichtig war, dass die konkret Betroffenen ihre Erfahrungen direkt einfließen lassen. Informationsbasis und Verständnis für die Probleme steigen damit deutlich.

Ungewöhnlich im Vergleich zur Anwendung von Design Thinking aus dem Lehrbuch war in diesem Fall, dass der Problemraum zwar gemeinsam ausgearbeitet wird, mit RPA bzw. KI aber bereits zu Beginn ein Baustein für die Lösungsentwicklung vorgegeben wird. Daher integrierten wir einen Impulsvortrag und vermitteln Basiswissen zu diesen Technologien.

Beim Workshop kam heraus, dass zwei Prozesse wertstiftend automatisiert werden können: „KI in der Administration von Vertragsänderungen“ sowie „RPA im Recruiting: Multiposting von Stellenanzeigen und Bewerbermanagement auf Messen“. Beide Prozesse beinhalteten eine große Zahl wiederkehrender, immer gleich durchzuführender Schritte, die sehr viele personelle Ressourcen binden. Ressourcen, die an anderer Stelle wertstiftender eingesetzt werden können, wenn man diese Schritte automatisiert.

Diese Anwendungen wurden in zwei Teams innerhalb eines jeweils eintägigen Design Thinking Workshops tiefer ausgearbeitet. Als Ergebnis entstanden mehrere, als sogenannte Idea Napkins, ausgearbeitete Soll-Prozesse in Form von Storyboards sowie zwei an Nutzern getestete Prototypen.

Auf Basis der Erkenntnisse aus den Workshops bewertete das Projektteam gemeinsam mit den BPM-Experten die Anwendungsfälle für die gemeinsam entwickelten Lösungen. Das detaillierte Feedback der Nutzertests floss iterativ in Form eines agilen Projekt-Setups in Folgeversionen ein; die erarbeiteten Soll-Prozesse werden nun im Rahmen des BPM-Projekts ausgearbeitet und implementiert.

Design Thinking Workshop. Ein Prozess wird aus Nutzersicht aufgemalt
Storyboard zu Nutzung von KI in der Administration für den Prozess „Vertragsänderung“ am Beispiel Mutterschutz

Das Beste aus zwei Welten

Ein nicht zu unterschätzender Vorteil für die Akzeptanz der entwickelten Automatisierungslösungen ist, dass bereits vor der Implementierung der finalen Lösung sowohl die Workshop-Teilnehmer als auch die Testpersonen als Botschafter für die neue Prozessgestaltung fungierten. Dadurch, dass die Mitarbeiter von Anfang an in die Entwicklung einbezogen werden, entsteht ein viel stärkeres Commitment, und es braucht keinen Druck von oben, damit die neuen Prozesse auch tatsächlich gelebt werden. Während der Nutzung der „klassischen“ BPM-Elemente wurde die nachhaltige und korrekte Implementierung der Prozesse sicherstellt.

Es ist somit eine gute Idee, Design Thinking und Prozessmanagement zusammenzubringen. So lassen sich Prozesse und ihre Anpassungen sehr schnell fachlich und technisch entwickeln. Gleichzeitig berücksichtigen Unternehmen zu gleichen Teilen die Bedürfnisse und Wünsche der Prozessbeteiligten sowie die „harten“, analytischen Fakten verbesserter Prozess-Performance wie kürzere Durchlaufzeiten.  

Fotos: Sopra Steria, Getty Images / marchmeena29