Digitale Exzellenz
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Laptop statt Schraubenschlüssel: Data Scientists im Dienste der Automobilbranche

, 15. Juli 2019

Lesezeit: 5 Minuten

Laptop statt Schraubenschlüssel: Data Scientists im Dienste der Automobilbranche

Die Automobilbranche steht vor einem riesigen Know-how Shift. Connected Car, Plattformökonomie, Predictive Maintenance und in Zukunft autonom steuernde Fahrzeuge erfordern neue Mitarbeitertypen und Jobprofile. Data Scientists mit Laptop lösen Blaumannträger am Montageband als Symbolfigur ab. Auf die Datenanalysten warten viele spannende Aufgaben.

Auf dem Arbeitsmarkt für Digitalprofis müssen sich Hersteller und Zulieferer mächtig ins Zeug legen, um die klugen Köpfe vom Gang zu Google oder Apple abzuhalten und zu sich zu lotsen. Das Thema „Mitarbeiter und Fortbildung“ ist nach E-Mobilität die von Branchenentscheidern am zweithäufigsten genannte Herausforderung, wie unsere Studie Branchenkompass Automotive 2019 zeigt. In den vergangenen 24 Monaten waren allein in Deutschland 64.000 Stellenanzeigen mit dem Berufsbild des Datenwissenschaftlers ausgeschrieben. Laut Jobportal Joblift war dies im Vergleich zu 2017 eine Steigerung von 23 Prozent. Um dem Bedarf annähernd gerecht zu werden, schießen zahlreiche Weiterbildungsangebote aus dem Boden. Vor allem Master-Programme werden angeboten, um die Analysten und Digitals von morgen auszubilden.

Darum sind Data Scientists in der Autobranche so heiß begehrt

Der Hauptgrund für die große Nachfrage nach dem Jobprofil „Data Scientist“ ist, dass das Automobil immer mehr zu einem Stück Software wird. Nahezu jedes Bauteil wird künftig mit Sensoren ausgestattet sein und Zustands- sowie Bewegungsdaten funken. Diese Daten in Geschäft zu verwandeln ist Aufgabe von Datenspezialisten, die sie – mithilfe von Algorithmen – in zählbares Geschäft verwandeln. Das klappte in der näheren Vergangenheit noch nicht so gut. Es fehlt der Autoindustrie, wie vielen anderen Branchen auch fachliches Verständnis. Die Unternehmen schaffen es noch nicht in gewünschtem Maße, Daten so zu verknüpfen, dass sich daraus eine wichtige Erkenntnis oder eine neue Dienstleistung ergibt, die sich in Zählbares in den Bilanzen ummünzen lässt – und wenn, dann meist auf der Kostenseite.

Das möchte die Branche mit aller Kraft ändern. Ansätze gibt es genug: Vehicle-to-Vehicle- und Vehicle-to-X-Kommunikation gewinnen beispielsweise nicht nur für das autonome Fahren an Bedeutung. Immer mehr Verkehrsteilnehmer – Autos, Busse, Fahrräder, E-Roller und Fußgänger, in einigen Städten auch Trams und Pferde-Droschken – wollen sicher durch die Straßen manövrieren. Kameras, LiDAR, Radar, Ultraschall und Mikrofone zur akustischen Umfeldwahrnehmung werden dabei helfen. Moderne Algorithmen für Bilderkennung und Machine Learning werden durch die Speisung mit Daten präziser und verlässlicher. So kann der Algorithmus beispielsweise mit Verkehrsdaten oder der Reaktion auf Hindernisse gefüttert werden. Asphaltstraßen lassen sich technisch durch Glas ersetzen und durch OLEDs ergänzen. Damit sind dann dynamische Veränderungen der Verkehrsführung möglich. Erst die Kombination aller Daten ermöglicht allerdings Smart Traffic, und dafür braucht es kluge Köpfe, die die nötigen Modelle entwickeln und KI-Lösungen trainieren.

Zudem werden die Datenprofis in der Produktionssteuerung immer wichtiger. Ein Connected Car verfügt bereits jetzt über mehr als 100 Sensoren. Diese Sensoren sind dazu in der Lage, verschiedenste Daten zu sammeln. Dazu gehören auch Daten zur Wartung des Fahrzeugs. Die vorausschauende Wartung von Autos und Maschinen wurde erst durch große Datenströme möglich. Durch Predictive Maintenance lassen sich Ausfallzeiten so kurz wie möglich halten. Messwerte und Daten von Sensoren in den Fahrzeugen und Maschinen werden laufend ausgewertet. Aufgrund dieser historischen Daten können dann Vorhersagen getroffen werden. Somit lassen sich potenzielle Probleme im Vorfeld erkennen, die Produktion noch mehr auf den Punkt timen, Rückrufe vermeiden und das Fahren sicherer zu gestalten.

Data Scientist als Coolness-Forscher

Über Connected-Customer-Lösungen und Vehicle-to-Vehicle-Kommunikation hinaus gibt es zahlreiche weitere Einsatzgebiete, in denen sich Datenanalysten austoben und neue Geschäftsmodelle entwickeln können. Dazu zählt beispielsweise das Marketing und der Vertrieb: Sie helfen, das Fahrerlebnis für den Kunden stetig zu verbessern und Erkenntnisse für die Absatzplanung zu gewinnen.

Data Scientists werden beispielsweise gerufen, wenn Produktmanager wissen wollen, welche Farben, Karosserieformen und Ausstattungen derzeit und in der Zukunft im Trend liegen. Oder konkreter: Sie sind gefragt, wenn Marketing-Vorstände grübeln, warum Benz und Bentley häufiger in Rap- und R-`n`B-Musikvideos auftauchen und besungen werden als Tesla und Toyota. In der Kombination mit anderen Daten ergründen sie so, welche Coolness-Faktoren in die kommende Produktreihe eingebaut werden müssen, damit zahlungskräftige Promis mit Vorlieben für die Rapper-Szene-kaufen.

Über den Datentellerrand schauen

Die zuletzt genannten Beispiele verdeutlichen, dass es für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle nicht genügt, historische Konfiguratordaten und Fahrzeugsensoren auszuwerten. Das Vorgehen greift zu kurz, und der gewünschte Return on Data Investment bleibt aus. Es geht für die Automobilhersteller und Zulieferer darum, viel stärker über den Tellerrand zu schauen, neue interne und externe Quellen anzuzapfen und das Ökosystem Mobilität als Ganzes zu verstehen.

Im Recruiting und bei internen Weiterbildungsprogrammen sollten Unternehmen deshalb darauf achten, dass ihre Data Scientists keine reinen Branchen-Nerds sind. Sie sollten das analytisch-technische Rüstzeug mitbringen, aber auch Transferdenken besitzen. Dadurch können sie Antworten auf Fragen und Lösungen für Problemstellungen entwickeln, die sich Entscheider noch gar nicht gestellt haben. Dieser Fähigkeiten-Mix und Composite Skills werden speziell für die immer stärker aufkommenden Plattform-Geschäftsmodelle wichtig. Denn hier geht es darum, die eigenen Leistungen mit denen anderer Anbieter wie Energie-, Telekommunikations- oder Versicherungsunternehmen zu bündeln.

Foto: Getty Images / metamorworks