Digitale Exzellenz
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Zum Girls’Day sagen wir dem Geist von Möbius endgültig ade!

, 27. März 2019

Lesezeit: 4 Minuten

Zum Girls’Day sagen wir dem Geist von Möbius endgültig ade!

„Gewöhnlich sind die Weiber nicht nur unfähig, mathematische Beziehungen aufzufassen, sondern sie empfinden auch eine Art Abscheu gegen alles Zahlenmäßige. In gewissem Sinne kann man sagen, das Mathematische ist der Gegensatz des Weiblichen.“ Über dieses Zitat des Psychiaters Paul Julius Möbius können wir natürlich nur lachen. Es ist ja auch uralt, genauer gesagt, fast 120 Jahre alt. Und es hat mit der heutigen Wirklichkeit auch rein gar nichts mehr zu tun. Oder vielleicht doch?

Tatsächlich glaubt auch heute noch jedes vierte Mädchen in Deutschland, dass es in Mathematik und Naturwissenschaften, die neben Informatik und Technik die so genannten MINT-Fächer bilden, niemals so gut sein kann wie ein Junge. Selbst wenn sie schlechtere Noten schreiben halten sich Jungs in Mathe meist für begabter als Mädchen. Und nur 13 Prozent der Mädchen in Deutschland können sich vorstellen, später einen Beruf im Bereich der Naturwissenschaften auszuüben – im OECD- Durchschnitt sind es immerhin knapp 24 Prozent. Hier kommen offenbar die alten Geschlechterstereotype zum Tragen, die tatsächlich tief sitzen und schwer zu überwinden sind – aber genau das muss uns gelingen!

Mädchen, wir lassen Euch nicht in Ruhe, wir brauchen Euch!

„Mädchen haben einfach weniger Lust auf Mathematik und Naturwissenschaften, und das ist ihr gutes Recht“, schrieb der schweizer Ökonom Matthias Binswanger anlässlich der letzten Pisa-Studie und forderte „lasst die Mädchen doch mit Mathe in Ruhe“. Das halte ich für zynisch. Denn wenn wir Mädchen „mit Mathe in Ruhe lassen“, verbauen wir ihnen den Zugang zu den interessantesten und am besten bezahlten Jobs, also schlicht den Weg in die eigene Zukunft. Ein Blick über Deutschlands Grenzen hinaus zeigt übrigens, dass Mädchen durchaus Lust auf Mathe haben – und dass das nicht unbedingt etwas mit Gleichberechtigung, sondern eher mit unterschiedlichen Rollenklischees zu tun hat. So sind in vielen arabischen Ländern Frauen in den Naturwissenschaften überproportional stark vertreten, und in Indien gilt das Programmieren als durchaus weibliche Tätigkeit.

Im Übrigen können wir es uns schlicht nicht leisten, „die Mädchen mit Mathe in Ruhe zu lassen“ und damit auf die Hälfte unserer Talente zu verzichten. In Deutschland fehlen Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler und Techniker. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zählte zuletzt fast 500.000 offene MINT-Stellen, mehr als je zuvor. Und das Problem wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen: In praktisch allen Branchen werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer mehr Fachkräfte mit naturwissenschaftlichen und digitalen Qualifikationen benötigt. Wir brauchen also dringend mehr gut ausgebildete Frauen – auch deshalb, weil wir mehr Vielfalt in den Unternehmen brauchen. Denn Teams, die vielfältig zusammengesetzt sind, lösen Probleme kreativer und finden innovativere Lösungen als homogene Gruppen. Und das ist heute wichtiger denn je, wenn wir als Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig bleiben wollen.

Lasst uns endlich die alten Rollenklischees überwinden!

Die Mädchen mit Mathe in Ruhe zu lassen, ist also schlicht keine Option. Was können wir also tun, um den Geist von Möbius zu vertreiben? Erstens: Wir müssen mangelndes Selbstvertrauen konsequent bekämpfen. Hilfreich ist es zum Beispiel, wenn Mädchen schon früh – bevor sie selbst tradierte Geschlechterrollen verinnerlichen – Erfolgserlebnisse im Umgang mit Technik haben. Zweitens: Wir müssen anschaulich machen, was Technik dazu beitragen kann, wichtige Probleme zu lösen – etwa im Klimaschutz und dass ihre Entwicklung – entgegen aller Vorurteile – kreativer ist als viele meinen. Drittens: Wir müssen mehr über die Verdienste weiblicher Forscher und Führungskräfte sprechen. Viertens: Wir müssen Vorurteile über eine männerdominierte Arbeitswelt widerlegen. Und last but not least müssen wir endlich die alten Rollenklischees überwinden und verinnerlichen.

Für all das bietet der Girls‘Day am 28.3. wieder großartige Möglichkeiten. Rund 10.000 Betriebe, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen in ganz Deutschland öffnen ihre Türen. Schülerinnen ab der 5. Klasse lernen dort Ausbildungsberufe und Studiengänge in IT, Handwerk, Naturwissenschaften und Technik kennen. Sie erleben den Alltag in Betrieben und Laboren und können ihre eigenen Fähigkeiten praktisch erproben. Und sie begegnen Frauen, die in vermeintlichen Männerberufen Spaß und Erfolg haben.

Girls'Day 2019 Bundeskanzlerin bei Sopra Steria

Zum diesjährigen Girls‘Day war Sopra Steria im Kanzleramt zu Gast. Zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel erkundeten Berliner Schülerinnen die Berufswelt der Zukunft in einem Technikparcours, den wir zusammen mit sechs weiteren Mitgliedsunternehmen der Initiative D21 gestaltet haben. In unserem Teil des Parcours arbeiteten die Teilnehmerinnen an der Industrie der Zukunft und entwickelten selbständig ein Modell für das Internet der Dinge – von der Hardware-Konfiguration über die Programmierung einer grafischen Oberfläche und eines Chatbots bis hin zur Modellierung von Vorhersagen zur Funktionsfähigkeit der voll vernetzten Industrieanlage. Das klingt ziemlich komplex, funktioniert aber tatsächlich, und macht hoffentlich auch noch Spaß. In diesem Sinne: Ade alter Möbius, willkommen Zukunft!