Digitale Exzellenz
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Predictive Analytics – oder der Onlinehandel von (über)morgen

, 11. Mai 2017

Lesezeit: 4 Minuten

Predictive Analytics – oder der Onlinehandel von (über)morgen

Amazon, Alibaba, und Flipkart schwören darauf, Otto sowieso – die Rede ist von Predictive Analytics. Gemeint ist die umfassende Verwendung datengetriebener Trendanalysen zur Vorhersage (prediction) von Zukunftsszenarien. Ziel im Handelsumfeld ist einzuschätzen, wie sich Kunden künftig verhalten, um zum Beispiel daraufhin Warenkörbe, Preise, Lieferungen, Retouren, Payment-Lösungen auszurichten.

Predictive Analytics (PA) unterscheidet sich von Business Intelligence (BI). BI bezieht sich auf die Geschehnisse aus der Vergangenheit und deren Auswirkungen auf die Gegenwart. PA versucht dagegen anhand von Datenmodellen potenzielle Ereignisse in der Zukunft vorzusagen. Statistische Analysemethoden ermöglichen damit neue Optimierungsmöglichkeiten, die Onlinehändler zunehmend nutzen. Hier einige interessante Anwendungsbeispiele für digitale Exzellenz:

Otto – die optimierte Bestellabwicklung

Otto nutzt bereits seit geraumer Zeit Trendanalysemethoden (Kombinationen aus Predictive Modelling und Machine-Learning-Algorithmen) zur Verbesserung von Bedarfsprognosen und zur Optimierung des Retourenmanagements. Basierend auf Ergebnissen konventioneller Umfragen, konnte errechnet werden, dass Kunden Waren weniger wahrscheinlich zurückgeben, wenn sie innerhalb von 48 Stunden nach Bestellung zugestellt sind. Der Onlineversand wurde entsprechend beschleunigt.

Herausforderung für Otto ist, dieses Ziel auch bei Lieferungen anderer Anbieter zu erreichen, die Otto als Marktplatz nutzen. Die Lösung: Mit Hilfe eines Deep-Learning-Algorithmus, der auf Experimenten im Rahmen der Teilchenphysik im CERN Labor beruht, werden rund drei Milliarden Kundentransaktionen mit zirka 200 Variablen untersucht – zum Beispiel das Online-Suchverhalten, aber auch Wetterinformationen. Alles mit dem Ziel, vorab zu wissen, was Kunden kaufen werden.

Der Algorithmus lernt laufend dazu, so dass die aufkommenden Bestellungen der nächsten 30 Tage teilweise mit einer Genauigkeit von bis zu 90 Prozent geschätzt werden können. Otto ist damit in der Lage, die richtigen Waren bereits im Vorfeld bei ihren selbstständig agierenden Kooperationspartnern zu beschaffen und für die absehbaren Kundenbestellungen vorzuhalten.

Flipkart – die Challenge der letzten Meile

Flipkart, Indiens größter Onlinehändler, setzt ebenfalls auf Predictive Analytics, um die Herausforderungen der „letzte Meile “ in einem der größten Länder der Welt bedarfsgerecht zu optimieren. Verlässliche Daten helfen dabei, die regional unterschiedliche Nachfrage vorauszusehen. Warenbestände werden frühzeitig auf lokale Lager verteilt. Auf Wahrscheinlichkeiten basierende Analysen unterstützen zudem die Liefervorbereitungen an den Endkonsumenten. Gerade die logistische Abwicklung in Indiens überfüllten Großstädten wird jedes Mal von neuen mit unbekannten Problemen konfrontiert. Predictive Analysics hilft deshalb zunehmend bei der optimalen Routenplanung.

Amazon – die antizipierte Bestellung

Amazon als der Big-Data-Pionier im Onlinehandel geht zukünftig noch einen Schritt weiter: Mit dem patentierten Ansatz des „anticipatory package shipping“ können US-Kunden bald mit Lieferungen von Waren rechnen, die sie selbst nicht bestellt haben. Denn um Lieferzeiten zum Kunden zu verkürzen, könnte Amazon bald schon vorsorglich Pakete mit Produkten zusammenstellen und auf den Weg zum Kunden bringen, die dieser höchstwahrscheinlich bald bestellen wird. Amazon nutzt für den „vorausschauenden Versand“ unter anderem Onlinedaten zu bereits angeschauten Produkten, nicht bestellten Warenkörben und Listen von Wunschzetteln. Interessant in diesem Zusammenhang wäre es sicherlich, wenn auch die Daten einfließen würden, die Auskunft über die Rücklieferungsraten im Vergleich zu den herkömmlichen Retouren von (noch) selbstausgelösten Lieferungen geben.

Alibaba – die Nutzung von Kleinstkrediten

Der chinesische Onlinehändler Alibaba, der mittlerweile auch den größten Marktplatz der Welt stellt, setzte bereits frühzeitig auf Predictive Analytics. Ziel ist beispielsweise, das Onlinegeschäft mit der Vergabe von Kleinstkrediten zu forcieren. Geprägt durch geringe Einkünfte und eine enorme Sparsamkeit der chinesischen Bevölkerung, entwickelte Alibaba den Payment-Service „AliFinance“ zur so genannten Eigenfinanzierung. Der Onlineriese will hierrüber vorhersagen, wann „Ali“-Kunden einen entsprechenden Konsumkredit benötigen und sie diesen wiederum zurückgezahlt haben. Dies erfolgt mittelweile in milliardenfach wiederkehrenden Zyklen, so dass die staatliche Zentralbank in China AliFinance bereits als ernste Bedrohung ihres Kerngeschäfts wahrnimmt.

Quintenssienz

Mit der versierten Verwendung von Predictive Analytics kann zwar das Eintreffen bestimmter Ergebnisse nicht garantiert werden. Die Methoden helfen allerdings dabei, Risiken im Vorfeld zu minieren sowie Unsicherheiten abzubauen. Die Erfolgsformel für digitale Exzellenz in den beschriebenen Fällen ist dabei denkbar einfach:

Zufriedene Kunden durch schnellere, bedarfsgerechtere Lieferung =
Stärkere Bindung und Wiederkaufsrate =
Stabile bis steigende Umsätze mit einhergehender Kosteneffizienz.

Getragen durch die zunehmende Nutzung mobiler Endgeräte wird die Datenbasis immer größer und damit die Treffsicherheit der Prognosen und Konsumszenarien immer besser. Künftig wissen Onlinehändler nicht nur vorher, was der Kunde kaufen will, sondern kennt auch noch dessen Beweggründe.

Foto: Getty Images / courtneyk