Digitale Exzellenz
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Gemeinschaftsaufgabe Change: Wie Organisationen sich verwandeln

, 14. Oktober 2019

Lesezeit: 6 Minuten

Gemeinschaftsaufgabe Change: Wie Organisationen sich verwandeln

Digitale Transformation von Unternehmen und öffentlicher Verwaltung ist in der Regel mit einem kulturellen Wandel (Change) verbunden. Die Krux ist, diesen Prozess in konkrete Maßnahmen zu gießen. Das Risiko besteht, dass es bei Symbolhandlungen wie neuen Büroumgebungen und isolierten Design-Thinking-Trainings bleibt und die formalen organisatorischen Anpassungen ausbleiben. Das war’s dann mit dem Kulturwandel.

„Wenn’s soft wird, wird’s hart!“, urteilte ein in Sachen Organisationsentwicklung beschlagener früherer Kollege. Will sagen: Wer in einer Organisation vermeintlich weiche Themen wie Personalführung, Kompetenzentwicklung oder die Arbeitskultur anpacken will, der kommt kaum an unmittelbar spürbaren, harten Veränderungen vorbei. Der Change muss in der Formalstruktur, sprich in den Policies, Dienstanweisungen, jährliche Ressourcenplanungen etc., als harte Fakten angelegt werden. Diese Fakten müssen dort greifbar sein. Sie bieten Orientierung, nach denen wir uns dann verhalten und unsere Position finden müssen.

Wobei auch das Drum-herum-Arbeiten eine legitime Option im Sinne der Organisationsziele sein kann. In der Praxis führen schlecht gestaltete oder veraltete Prozesse oft zu solchen Ausweichbewegungen. Für dieses zielkonforme alternative Handeln, wie etwa den vielzitierten kurzen Dienstweg, hat man den hübschen Begriff der brauchbaren Illegalität geprägt.

Experimentierräume für das zukünftige Arbeiten

Wie aber lassen sich Organisationen so gestalten, dass die Wechselbeziehungen zwischen den formalen Strukturen und dem Informalen – wir können auch sagen: der Arbeitskultur – Früchte tragen? Es hat sich gezeigt, dass Digitalisierungsprojekte, die teils massive Eingriffe in die Strukturen und Prozesse einer Organisation bedeuten, vielversprechende Chancen bieten, die informale Seite der Organisation mit in den Fokus zu nehmen. Im Gegensatz zu separaten Change-Projekten mit soften Zielsetzungen, zum Beispiel einem Kulturwandel hin zu mehr Kreativität oder Diversität, werden ebensolche Veränderungsziele hier in Kombination mit den tiefgreifenden formalen Umbaumaßnahmen verbunden.

Problematisch wird es, wenn diese Chancenräume unreflektiert mit den Managementkonzepten und Arbeitsmethoden zugeschüttet werden, die gerade en Vogue sind. In diesem Zusammenhang diskutieren wir bereits seit längerem über Cargo-Kulte: Mancherorts werden Denkansätze oder Arbeitsweisen wie DevOps und Customer Experience Design als symbolische Ersatzhandlungen exerziert. Innovationsfähigkeit und zeitgemäße Kompetenzen wie Kreativität werden damit lediglich simuliert und nicht verinnerlicht. Wer Lust hat: Es gibt dazu ein längeres Video über Cargo-Kulte von Digital-Evangelist und Digitale-Exzellenz-Gastautor, Gunter Dueck, auf der re:publica 2016.

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Mit diesem Symbolhandeln lässt sich schnell ein wenig Ruhe schaffen – „Wir stellen uns aktuell zukunftsfähig auf!“ – und dann auf längere Sicht viel Unmut säen. Von unserer englischen Kollegin Sophie Taylor erschien an dieser Stelle vor Kurzem ein spannendes Lagebild zur aktuellen Auseinandersetzung mit DevOps.

Nicht kopieren, sondern adaptieren

Ich bin mir beispielsweise der Relevanz von Räumen und Raumgestaltung im Arbeitskontext absolut bewusst. Die gläserne Front des Besprechungszimmers allein aber schafft noch keine transparente Kommunikation auf Augenhöhe. Wir können die Veränderungsaufgaben in unseren Organisationen nicht an Büromöbel und Kanban-Boards delegieren. Grundlage für eine erfolgversprechende Weiterentwicklung ist und bleibt die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Menschen und Prozessen, formalen wie informalen, mit dem Status quo der eigenen Organisation. Das nimmt uns niemand ab.

Räume, nicht nur architektonische, können wir mit diesem Wissen umsichtig gestalten. Organisationsanalysen und -vergleiche bieten uns diverse Möglichkeiten, prozessualen Ballast über Bord zu werfen. Wobei man unweigerlich mal wieder an Thorsten Dirks – inzwischen Lufthansa-Vorstand – Bonmot denken muss: „Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess“.

Erfolgreicher Wandel bedeutet eben nicht, eigenen Herausforderungen – platt – mit den bestehenden Konzepten und Erfolgsrezepten anderer zu begegnen. Es handelt sich dabei vielmehr um ein systematisches Verstehen und Entwickeln wollen.  Davon inspiriert, kann eine Adaption des frischen Know-hows in Lösungen münden, die zur eigenen Organisation passen.

Mit einer gemeinsamen Vision muss man nicht zum Arzt

Ob Einführung der elektronischen Aktenführung (E-Akte) oder Übergang von On-Premise- zu Cloud-Lösungen: Wenn mit den derzeit laufenden und geplanten Digitalisierungsvorhaben ernsthaft auch die informale Seite, die Arbeitskultur der Organisation weiterentwickeln wollen, ist ein in die Projektkonzeption und -steuerung integriertes Veränderungsmanagement notwendig. Change lässt sich von Change-Management selbstverständlich nicht produzieren – so viel ist klar. Genauso wenig wird die Qualität von Dienstleistungen und Produkten durch Qualitätsmanagement erzeugt. Erst im begleitenden Austausch mit Projektleitung, Fachfunktionen und weiteren Partnern kann mithilfe einer solchen Querschnittsfunktion die Bereitschaft zur Veränderung entstehen und verstetigt werden.

Grundstein dafür ist ein gemeinsames, möglichst konkretes und klar kommuniziertes Zielbild (Vision) in der Organisation. Konkret bedeutet auch im Konsens überprüfbar: Sperrig-abstraktes, wie die „evolutionäre Weiterentwicklung“ der Organisation zerrinnt als Zielaspekt ebenso zwischen den Fingern wie die „Einführung einer Kultur der Kreativität“ oder „holistische Kollaborationen“.

Es gilt, konkrete überprüfbare Ziele abzuleiten. Quantitative Kenngrößen, wie die Nutzungsfrequenz einer Wissensmanagementplattform oder die Anzahl von Projekten, die in einem Creative Lab geschultert werden, liefern notwendige Daten. Mit der systematischen Befragung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lassen sich zum Erleben von Veränderungsprozessen wichtige Vergleichsdaten im Zeitverlauf sammeln.

Darüber hinaus können mithilfe weiterer qualitativer Informationen zusätzliche Aspekte im direkten Austausch offenlegt werden. Ein Zauberwort in Sachen Partizipation heißt kommunikative Validierung –  in Abgrenzung zu einer exklusiven Validierung von Veränderungsresultaten durch das leitende Management. Mit Austauschformaten, wie regelmäßigen Retrospektiven sollten in der Gruppe systematisch Veränderungseffekte identifiziert und ein gemeinsames Vorgehen abgestimmt werden. Aus dem Scrum-Umfeld kommen gut erprobte Ansätze, wie die Starfish-Retrospektive, die sich gut kapern und als Werkzeug in das Veränderungsmanagement überführen lassen.

Beteiligung – ist das ernst gemeint?

Es lohnt es sich, die Entwicklungsarbeit an der informalen Seite der Organisation von Beginn an ehrlich einzupreisen. Ein Veränderungsmanagement, das als begleitende Querschnittsfunktion diese Dimension fest im Blick hat, gehört auch bei vermeintlich reinrassigen Technologieprojekten mitkalkuliert. Neben zielgruppenspezifischer Projektkommunikation und Trainingsmaßnahmen ist die Etablierung des Wissenstransfers unter den Beteiligten an Veränderungsvorhaben ein wesentlicher Faktor.

Die verschiedenen Interessengruppen hier frühzeitig mit ins Boot zu holen, ist ein probates Mittel um Veränderungsvorhaben als gemeinsame Projekte einer Organisation erfolgreich werden zu lassen. Menschliche Bedürfnisse und Widerstände müssen dazu glaubhaft in den Fokus genommen werden. In Organisationen ist man da sensibel. Vorgeschütze partizipative Elemente werden schnell demaskiert und führen – oft hinter vorgehaltener Hand – zu Spott und Hohn. Solche Veränderungsinitiativen wenden sich gegen ihre ursprünglichen Ziele.

Authentische Partizipationsangebote hingegen können wichtige Beiträge zum Erfolg eines Veränderungsprojekts (Change-Management) leisten. Inzwischen lässt sich auf einen reichhaltigen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Die Operationalisierung von konkreten Zielen basierend auf der Lean-Value-Tree-Methodik und von Scrum inspirierte Retrospektiven sind nur zwei Beispiele. Hier lohnt es sich, zu experimentieren und ein eigenes Vorgehen zu entwickeln. Auf diese Weise lassen sich die Interdependenzen zwischen angepassten Formalstrukturen und den informalen Arbeitsabläufen als gemeinsames Projekt der Organisation begreifen, beobachten und zielgerichtet weiterentwickeln. Für die Planer von Digitalisierungsvorhaben bedeutet das aber auch: Die Kosten einer separaten nachgelagerten Beschäftigung mit den organisationalen Effekten von Digitalisierungsvorhaben dürften im Normalfall weitaus höher liegen.

Foto: Getty Images / Aramyan