Diese Woche trifft sich die Energiewirtschaft in Essen zu ihrer Leitmesse E-world energy & water. Digitale Exzellenz zu erreichen, ist eines der zentralen Themen, die vor Ort besprochen werden. Vier Top-Digitaltrends werden in diesem Jahr im Fokus stehen, und zwar nicht nur auf der Messe.
Das Thema schlechthin sind derzeit digitale Plattformen und Ökosysteme. Branchen- und Anbietergrenzen lösen sich größtenteils auf. Digitale Ökosysteme ermöglichen es regionalen Energieversorgern, eine komplette Bandbreite von Kundenbedürfnissen abzudecken. Für die Betreiber und Teilnehmer bieten sich neue Ertragspotenziale durch Cross-Selling und Marktplätze. Stadtwerke könne beispielsweise abseits des Kerngeschäfts Strom, Gas und Wasser weitere Dienste aus einer Hand anbieten. Erste Stadtwerke, die auch Internetprovider sind, gibt es schon, Kooperationen mit Autoherstellern und städtisches Carsharing ebenfalls.
In Zukunft wird die Bandbreite der städtischen Angebote deutlich größer werden. Denkbar sind digitale Hilfen bei der Parkplatzsuche, ein Kreditrechner lokaler Banken und integriertes Online-Banking sowie ein lokales Online-Shopping-Portal mit Händlern in der Nähe. Vorreiter auf dem Gebiet ist die Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH, die ihren Kunden mit der Mein-Franken-App eine Vielzahl von Informationen jederzeit zur Verfügung stellt: Nachrichten, Eventkalender, Angebote, Fahrpläne, Parkplatzauskunft, Kundenservice und Infos über Würzburg und die Region. Das Beispiel zeigt, dass Stadtwerke mit ihrer Kundenbasis prädestiniert sind, um als Drehescheibe zu fungieren und Services von Drittanbietern einzubinden.
Was dem Plattformaufbau nun in vielen Unternehmen fehlt, sind die erforderlichen Weichenstellungen. Dazu zählen eine Öffnung für Partner durch Schnittstellen, die Vereinfachung der Prozesse und eine Cloud-Strategie.
Technologien in Ergebnisse verwandeln
Der Einsatz digitaler Technologien ist für eine Plattformstrategie ein wichtiger Baustein, aber kein Selbstgänger: Blockchain, Künstliche Intelligenz und Data Analytics haben ihren Hype-Status inzwischen verloren. Unternehmen, nicht nur Energieversorger, suchen nach Anwendungsfällen, die ihnen echte Mehrwerte bieten, sich also in Form von Wachstum oder Produktivität niederschlagen. Die großen Hürden sind derzeit, die Anwendungsfälle vom gewünschten Ergebnis her zu denken (Was soll sich mit dem Einsatz der Technologien verbessern?). Zudem hapert es vielfach an der Datenstrategie (Welche Daten habe ich, welche benötige ich, wie verknüpfe ich sie optimal, welche Schlüsse ziehe ich?). Eine dritte Herausforderung ist die Vermeidung von Komplexität (Wie starte ich klein und fokussiere mich auf Quick Wins?).
Das Potenzial der Technologien ist groß, und 2020 werden sicherlich mehr Unternehmen darauf zurückgreifen. Die Einbindung und Auswertung von Daten ist ein Schlüsselfaktor, wenn es um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle geht. Sensoren zusammen mit dem Einsatz von KI-Lösungen bieten zudem großes Potenzial bei der Wartung von Anlagen und Maschinen (Predictive Maintenance), bei der Steuerung des Energieverbrauchs (Smart Grid) der Steuerung von Gebäuden, Verkehrsströmen und in Zukunft ganzer Städte (Smart City).
Blockchain wird in der Branche bereits länger thematisiert, größere Anwendungsfälle müssen sich noch durchsetzen. Ein nützliches Einsatzgebiet sind digitale Microgrids. Sie ermöglichen Services und Plattformen für Geschäfte zwischen Endkunden. Beispiel: Peer to Peer Energy Trading. Ein Netzwerk übernimmt die Mittlerrolle als vertrauensverwaltende Instanz mit dem Ergebnis einer Kostenreduktion und geringeren Prozessdurchlaufzeit. Smart Contracts sind ebenfalls ein Thema und werden sich weiterverbreiten. Sie ermöglichen automatisierte und kontrollierte Abläufe zur Stabilisierung von Angebot und Nachfrage, indem Energie automatisch für die Zwischenspeicherung in Elektrofahrzeugen genutzt wird. E-Autos laden sich (und auf ihren tatsächlichen Verbrauch hin optimiert) auf und bezahlen selbstständig. Mieterstrom ist ein weiterer Anwendungsfall, der durch Smart Contracts möglich wird. Da Mieter auf den Strom von derselben Solaranlage zugreifen, ist es wichtig, stets festzuhalten, welcher Mieter wie viel Strom bezieht. In Zeiten hoher Strompreise könnte ein Mehrfamilienhaus zudem über die Smart Contracts Strom aus dem eigenen Speicher zum Verkauf anbieten.
Smart-Meter-Geschäftsmodelle brauchen noch Zeit
Das dritte Top-Thema der Branche in diesem Jahr sind ohne Zweifel intelligente Messzähler. Mit dem Start des Roll-outs und der Pflichteinbaufälle können sich die Energieversorger auf neue Geschäftsmodelle rund um die Smart-Meter-Gateways fokussieren. Die entscheidende Herausforderung besteht darin, die Smart Meter und die Daten gewinnbringend zu vermarkten. Sich neue Geschäftsmodelle zu überlegen, ist für die Branche nicht einfach und erfordert einen Wandel der Unternehmenskultur.
Der Rollout intelligenter Messsysteme wird oft noch auf das Smart Metering reduziert. Mit der Erweiterung auf Themen, wie zum Beispiel Smart Mobility und Smart Grid, öffnen sich neue geschäftliche Türen für Energieanbieter. Sie erfordern allerdings, dass sich die Akteure auf neues Terrain begeben und neue Ansätze in ihre bestehenden Geschäftsmodelle integrieren.
Der Aufbau von Partnerschaften ist dafür ein zentraler Baustein. Die Umsetzung neuer Geschäftsmodelle ist zudem stark abhängig von der Zuverlässigkeit und der Verfügbarkeit der notwendigen Technologien. Energielieferanten und andere Akteure im Energiesektor müssen hier künftig besser darin werden, schnell, kreativ und kundenorientiert auf Marktgegebenheiten zu reagieren.
Keine digitale Strategie ohne Sicherheitsstrategie
Alle drei Themen führen dazu, dass ein viertes Thema automatisch mit auf der Agenda steht: IT-Sicherheit. Die Vernetzung der Betreiber kritischer Infrastrukturen in Deutschland ist groß. Gleiches gilt damit für die Angriffsfläche für Hacker. Obwohl behauptet wird, dass die Interdependenzen der einzelnen Systeme nicht so ausgeprägt sind, dass ein gehacktes Versorgungsunternehmen einen Kaskadeneffekt auslösen würde, darf das Risiko nicht unterschätzt werden.
Die Gefährdungslage in der Branche hat sich mit der zunehmenden digitalen Durchdringung und den komplexer werdenden Aufgaben verschärft, und die Anforderungen an die Sicherheit der IT-Infrastruktureinrichtungen wachsen. Am Ende ist jeder intelligente Stromzähler in den Haushalten ein potenzielles Einfallstor. Systeme müssen bestmöglich geschützt werden, wobei eine enge Zusammenarbeit und Vernetzung der Unternehmen untereinander enorm wichtig ist.
Zu jedem investierten Euro in digitale Innovation gehört damit mindestens ein Euro in passende Sicherheitsvorkehrungen, die mit der Bedrohungslage mitwachsen.
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