Der Schock saß tief, als zwei Hacker Ende Juli in den USA einen Jeep Cherokee mitten auf der Autobahn zum Halten brachten. Vorher traktierten sie den Fahrer mit eisiger Luft aus der Klimaanlage und lautem Hip-Hop aus dem Radio. Die deutschen Medien liefen sich den Rang ab mit Szenarien, was „digitales Car-Napping“ alles so anrichten kann. Ein gefundenes Fressen für die Belebung der so genannten „German Angst“, die deutsche Aversion gegen jedes Risiko.
Das Digitalisierungspotenzial in Deutschland liegt bei 250 Milliarden Euro, doch die Deutschen fürchten sich, berichtete das Manager Magazin im September. 85 Prozent sorgen sich um den Datenschutz, 74 Prozent um die zunehmende Überwachung. Glaubt man den Zahlen, sind künstliche Intelligenz, Big Data und Smart Grid für die Bundesbürger pures Teufelszeug. Neue Geschäftsmodelle wie Uber und Postmates gefährden Tariflöhne und Arbeitszeiten. Digitale Autos versprechen weniger Verkehrstote, machen aber Taxi- und LKW-Fahrer überflüssig. Zahnbürsten messen, wie oft und gründlich man sich die Zähne putzt. Tolle Sache, aber was wenn sich die Krankenkasse einklinkt und bei mangelnder Zahnhygiene per SMS den Entzug der Zahnzusatzversicherung androht? Oder Cloud Computing: Ist das überhaupt sicher?
Unternehmer haben Angst vor der „German Angst“
Ganz so extrem, wie medial dargestellt, ist die Situation sicher nicht. Doch auch Unternehmer und Digitalkenner monieren eine zu stark ausgeprägte Risikoaversion in Deutschland. Laut Brain-Gründer Holger Zinke „bedrohen die Angsthasen die ökonomische Zukunft Deutschlands“. Ein Relikt der Deutschen Romantik, die die Angst vor Veränderung und Verstädterung im 19. Jahrhundert hervorbrachte. Sie führt dazu, dass wir Deutschen lange und viel über Gefahren von Innovationen nachdenken, und weniger über deren Chancen. Der Blogger Sascha Lobo hält „eine kritische Neugier für die sinnvollste Annäherung“ an die digitale Welt.
So viele digitale Geräte wie nie zuvor
Und es gibt auch Gegenbeispiele: Gelebte Best-Praxis ist der private Haushalt, in dem heute so viele digitale Geräte stecken wie nie zuvor. Keine Spur von Angst also! Aber keine Digitalisierung ohne Haushaltsstrom. Und hier gibt es sie doch wieder, die Ressentiments gegenüber dem Wandel. Skeptiker lehnen Hochspannungsleitungen für die kommende Nord-Süd-Trasse ab, sie fordern Erdkabel. Damit wird die Stromführung allerdings deutlich kostspieliger: Ein Kilometer kostet in Deutschland 1,5 Millionen Euro. Die viel diskutierten Erdkabel sind siebenmal so teuer.
Die Stunde der Transformationsmanager
Ein wenig mehr Mut zur Digitalisierung täte den Deutschen sicher gut, auch den deutschen Unternehmen. Mut ist die Voraussetzung dafür, dass deutsche Firmen in Zukunft in der 1. Digital-Liga spielen können. Laut einer PWC-Studie von 2014 zum Thema Industrie 4.0 versprechen sich deutsche Firmen durch die Digitalisierung ein Umsatzwachstum von mehr als 30 Milliarden Euro pro Jahr. Die digitale Vernetzung von Service- und Produktportfolios hebt Umsatzpotenziale von durchschnittlich 2,5 Prozent pro Jahr. Wenn das nicht Mut macht!
Doch wie können Unternehmen die für die Digitalisierung notwendige Courage und Fitness erlernen? Indem sie Strukturen für schnellere Entscheidungen etablieren, die Investitionssteuerung beschleunigen und einen umfassenden Kulturwandel anstoßen. Inwieweit das gelingt, hängt wesentlich davon ab, welche Köpfe die Unternehmensspitze als Transformationsmanager etabliert. Diese Rolle sollte so stark aufgestellt und mit genügend Ressourcen ausgestattet sein. Von einer möglichen „German Angst“ vor der Digitalisierung darf der Kandidat auf keinen Fall befallen sein.