Digitale Exzellenz
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Apple Vision Pro: Cash-Machine für 5G?

, 29. Mai 2024

Lesezeit: 10 Minuten

Apple Vision Pro: Cash-Machine für 5G?

Prof. Dr. Jens Böcker von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg erörtert, wie Telekommunikationsunternehmen von der Einführung der AR-Brille Apple Vision Pro profitieren könnten. Im Interview geht es um mögliche Geschäftsmodelle für die Monetarisierung von 5G und die Aktivierung der Zahlungsbereitschaft bei Privatkunden.

In den vergangenen Jahren waren Mobilfunknetzbetreiber (Mobile Network Operators – MNOs) weltweit mit enormen Kosten für die Bereitstellung von 5G konfrontiert. Um 5G adäquat monetarisieren zu können, bedarf es greifbarer Anwendungsfälle für private Konsumenten. Ein Beispiel dafür ist Virtual und Augmented Reality (VR/AR).

Jens Böcker, die Ausgangsthese in einem Whitepaper von Sopra Steria zur 5G-Monetarisierung ist, dass die AR-Brille Apple Vision Pro ein guter Treiber für die Vermarktung von 5G-Infrastruktur sein könnte, zumindest sobald die Brille auch in Deutschland verfügbar ist. Welche strategischen Stellhebel hat die Telekommunikationsbranche im Privatkundengeschäft?

In der Telekommunikation werden Kundinnen und Kunden immer wieder mit neuen Anwendungen und mit neuen Technologien konfrontiert. Die Kernherausforderung ist immer dieselbe: Die Investitionen sollen sich amortisieren. Bei 5G ist das genauso wie beim Glasfaserausbau.


Whitepaper zur Monetarisierung von 5G
Download: Whitepaper zur Monetarisierung von 5G

Der Knackpunkt für die Monetarisierung ist, Mehrwerte zu stiften. Und der Nutzen wird natürlich dann besonders deutlich, wenn Applikationen sichtbar sind, mit denen Kunden etwas anfangen können. Deswegen ist das Zusammenspiel von Infrastruktur und Anwendungen so wichtig. Zwei Punkte zählen: Kunden wollen einerseits einen schnellen Internetanschluss – auf Basis von Mobilfunk oder Festnetz. Auf der anderen Seite wollen Kunden attraktive Anwendungen, die hochperformant sind und klare Vorteile bieten.

Wie kriegt man die Leute dazu, noch einmal mehr für Internetanschlüsse zu bezahlen? Gibt es strategische Ansätze, wie man vielleicht bei den Tarifen neue Anreize schaffen kann?

Es muss nicht immer eine Subventionierung sein. Die hilft allenfalls kurzfristig, Eingangsbarrieren abzubauen. Viel besser ist es, den Nutzen zu verdeutlichen und zu kommunizieren. Damit steigt die Akzeptanz insgesamt im Markt, ohne zu stark den Preis in den Vordergrund zu stellen.

Attraktive Bundles sind ein guter Ansatz. Dabei können Internetanschluss, Anwendung sowie Hardware zu einem Gesamtpaket geschnürt werden. Das macht es Kunden leichter, die Vorteile einzuschätzen und ein Gesamtpaket zu akzeptieren. Gerade bei Tech-Produkten stellt sich immer wieder die Frage: „Passen Hardware, Software und Internetanschluss zusammen, und sind Einzelprodukte kompatibel?“

Eine Kombination von hoher Bandbreite für den Internetanschluss und Brille ist beispielsweise für Gamer hochattraktiv. Dies gilt insbesondere für Spiele, bei denen es um eine kurzfristige Reaktion geht und kurze Latenzzeiten entscheidend sind. So kann beispielsweise ein „Gamer-Tarif“ angeboten werden – und das in einem Bundle mit einer AR- oder VR-Brille.

Kann die Telekommunikationsbranche auf diesem Gebiet der Monetarisierung noch besser werden? Hat sie einen aktiven Hebel, zumal ihr Angebot und die Attraktivität stark vom Geräteerlebnis abhängen?

Der größte Hebel ist die Bereitstellung einer hohen Bandbreite, damit der Kunde ein gutes Anwendungserlebnis erfährt. Aber es gibt noch mehr Möglichkeiten: So können Telekommunikationsanbieter der Kundenbasis VR-Pakete schnüren. Cross- und Upselling-Aktionen der Unternehmen sind in der Regel erfolgreich, weil die Anbieter aus Sicht der Kunden einen Vertrauensbonus genießen. Eine Herausforderung für die Telekommunikationsanbieter ist es, mit den Tech-Unternehmen „auf Augenhöhe“ zu verhandeln. Apple, Meta, Google auf der einen Seite und Deutsche Telekom, Vodafone, Telefónica etc. auf der anderen Seite spielen in einer anderen Liga.

Ich leite daraus ab, dass Communitys und Ökosysteme ein weiterer Faktor in der 5G-Monetarisierungsstrategie sind?

Der Aufbau von Partnerschaften sollte über Plattformen stattfinden. Die Plattformen sollten Anwendungsentwickler einladen, die Technologien und die Entwicklungsumgebung zu nutzen. Das ist die Basis für die Bildung und Etablierung von Ökosystemen.

Gleichzeitig ergeben sich daraus die Vorteile für Kunden. Für sie ist die Plattform attraktiv, wenn immer wieder neue Anwendungen für die Endgeräte dazukommen. Auf diese Weise entstehen Netzwerk- und Lock-in-Effekte. Je mehr Anwendungen auf der Plattform zu finden sind, desto höher ist die Attraktivität und Nutzung der Plattform.

Sind Telekommunikationskonzerne wie Vodafone, Telefónica oder die Telekom in der Lage, die Plattformen selbst zu betreiben?

Bisher waren die Telekommunikationsanbieter nicht besonders erfolgreich darin, eigene Plattformen zu entwickeln und im Markt zu etablieren. Das spricht eher für Partnerschaften – entweder mit den Tech-Anbietern oder innerhalb der Branche mit anderen Telekommunikationsanbietern.

Ein aktuelles Beispiel ist die Open-Gateway-API-Initiative von Deutscher Telekom, Vodafone und Telefónica. Hier werden standardisierte Schnittstellen geschaffen und Daten als Grundlage für den Aufbau eines gemeinsamen Ökosystems genutzt. Anwendungsfälle zeichnen sich beispielsweise in der Betrugsprävention (Anti-Fraud) und im Payment ab. Dahinter steckt auch die Erkenntnis, dass die Telekommunikationsanbieter allein nicht die gewünschten Marktanteile erzielen können – gemeinsam geht es besser.

Man schafft somit gemeinsame Werte und übernimmt damit auch gemeinsam Verantwortung, profitiert dann auch gemeinsam davon?

Das Ziel bei der Entwicklung dieser Ökosysteme ist es, diese in einer gewissen Unabhängigkeit von den Tech-Anbietern eigenständig zu etablieren. Gelingt dies, dann werden die Anbieter von Telekommunikationsdiensten auch gemeinsam profitieren. Ich gehe davon aus, dass sich weitere Unternehmen anschließen werden, wenn der Ansatz des Open Gateway API erfolgreich ist. Das wird die Marktmacht und damit die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen.


5G
Mehr zum Thema: Nachgefragt bei Sarah Pracht und Sven Wißmann von Sopra Steria

Gibt es da schon Impulse? Was für Geschäftsmodelle könnten das dann sein?

Das könnten neben den eben erwähnten Ansätzen auch werbefinanzierte Geschäftsmodelle sein, die auf die Bereitstellung von Kundendaten für Werbezwecke abzielen. Damit könnten sich Telekommunikationsunternehmen eine Position erarbeiten, indem sie Daten an die werbetreibende Industrie vermarkten. So geht das Geschäft diesmal nicht an ihnen vorbei. Denn das Geschäft macht derzeit insbesondere Google.

Wir sehen klar den Megatrend von der Massenwerbung hin zur individuellen Werbung. Und die Telekommunikationsunternehmen kennen natürlich ihre Kunden sehr gut. Sie beherrschen zudem den Umgang mit den Datenschutzbestimmungen. Das passt im Grunde gut zusammen – unter den entsprechenden Voraussetzungen Daten so zu nutzen, dass auch neue Geschäftsmodelle daraus resultieren.

Telkos sollten also das Geschäft der großen Tech-Plattformen und Social-Media-Betreiber machen?!

Ja, aber nicht nur. Ich sehe auch eigenständige Möglichkeiten bei Services. Der B2B-Bereich macht es vor: Virtuelle Welten sind beispielsweise für die Qualifizierung von Mitarbeitern ausgesprochen wertvoll. Sie können bestimmte Lernumgebungen abbilden und damit sehr positive Lerneffekte erzielen.

Ein Beispiel ist die Simulation einer Fehlfunktion in einem Kraftwerk. Diese kann realitätsnah dargestellt und entsprechende Schlussfolgerungen gezogen werden. Nutzer können damit am konkreten Anwendungsfall lernen, welche Verhaltensweisen sinnvoll sind. Trainings in virtuellen Welten haben noch weitere Vorteile: Es können bewusst Fehler gemacht werden, ohne dass diese Kosten in der Realität erzeugen. So kann ein Mitarbeiter eines Flughafens virtuell die Steuerung einer Fluggastbrücke üben, ohne Infrastruktur oder Flugzeug zu beschädigen.

Ist Simulation auch ein Geschäftsfeld für Privatkunden?

Ja. Das könnten Simulationen von gefährlichen Geräten, erklärungsbedürftigen Produkten oder Medikamenten sein. Beispielsweise möchte ein unerfahrener Nutzer eine Kettensäge oder eine Heckenschere einsetzen. Vor der Inbetriebnahme können die Handgriffe virtuell trainiert und die nötige Sicherheit erarbeitet werden. Denkbar ist, dass die Geräte erst freigeschaltet werden, wenn der Nutzer einen Einführungskurs in der virtuellen Welt absolviert hat. Genauso könnte es beim Dampfgarer für die Küche oder anderen erklärungsbedürftigen Produkten ablaufen. AR-/VR-Brillen können einen realistischen Eindruck vermitteln und verschiedene Anwendungsfälle darstellen. Im Ergebnis würde das Risiko einer fehlerhaften Nutzung sinken und die Kundenzufriedenheit steigen.

Voraussetzung ist, dass das physische Produkt einen digitalen Zwilling auf einer virtuellen Plattform besitzt. Auf diese Weise ergeben sich spannende Differenzierungsmöglichkeiten für Unternehmen, die eine digitale und smarte Komponente mit anbieten können.

Telekommunikationsunternehmen können mit den Herstellern und Anwendungsentwicklern somit passende 5G-AR-/VR-Gerätewelten schaffen. Das sind mögliche Co-Creation-Geschäftsmodelle im Privatkundensegment.

Leitet sich daraus für die Telkos der Auftrag ab, den Scope beim Partner-Setting zu erweitern und das Dienstegeschäft zu forcieren?

Kooperationen sichern eine stärkere Bedeutung im Markt und sind Grundlage für eine größere Akzeptanz. Anbieter von Telekommunikationsdiensten sollten wertstiftende Partnerschaften kontinuierlich prüfen.

Die Kernkompetenz der Branche ist und bleibt natürlich die Bereitstellung von Konnektivität. Noch ist die Branche nicht stark darin, eigene Plattformen, Dienste und Ökosysteme zu entwickeln. Ich gehe davon aus, dass sich das ändert und wir Innovationen entlang der Wertschöpfungskette sehen. Spannend wird es, wenn Dienste, Konnektivität und Plattformen stärker gebündelt werden. Deswegen sehe ich für Partnerschaften innerhalb der Branche und Kooperationen mit Unternehmen außerhalb der Branche eine wachsende Bedeutung.

Gibt es bei der Preisgestaltung weitere Ansatzpunkte für eine bessere 5G-Monetarisierung?

Mehr Geschwindigkeit und schnellere Aufbauzeiten bilden für Kundensegmente Vorteile und sind mit einer zusätzlichen Preisbereitschaft verknüpft. Auch Flexibilität bei der gewünschten Geschwindigkeit kann ein Vorteil sein. Wenn Kunden am Wochenende Besuch von 50 Gästen haben, ist gegebenenfalls eine höhere Geschwindigkeit gewünscht. An anderen Tagen reicht eine „normale“ Geschwindigkeit. Diese Flexibilität sollte sich im Pricing widerspiegeln.

Wie wird und wie sollte sich die Branche künftig verändern, um ihre hohen Investitionen in 5G besser zu Geld zu machen?

Es zeichnet sich eine Zweiklassengesellschaft ab. Einerseits wird es TK-Anbieter geben, die sich sehr spitz auf Konnektivität fokussieren. In diesem Fall fehlen oftmals die personellen und finanziellen Ressourcen, mehr Partnerschaften einzugehen oder das Produktportfolio auszubauen. Andererseits wird es TK-Anbieter geben, die sich zunehmend an den Tech-Unternehmen orientieren und eine höhere Marktkapitalisierung als in der TK-Branche üblich anstreben.

Die einen agieren nach dem Motto „Schuster, bleib bei deinem Leisten“ und die anderen streben eine neue Position im Markt an. Letztere sehen in Google, Microsoft, Meta, Apple und Amazon nicht nur potenzielle Partner, sondern auch Vorbilder für die eigene strategische Positionierung.

Was sind konkrete Transformationsbereiche? Wo sollte Wandel stattfinden?

Das Mindset muss sich ändern. Es sollte ein Growth Mindset geben, also die Identifizierung von Wachstumsmöglichkeiten. Hierzu müssen die erforderlichen Skills aufgebaut werden.

Dazu kommt: Das Infrastrukturgeschäft der Telkos ist auf Langfristigkeit und Planbarkeit ausgelegt. Die erwähnten Anwendungen und Partnerschaften sind dagegen viel situativer, spontaner und müssen kurzfristiger umgesetzt werden. Es besteht somit ein Spannungsfeld zwischen dem langfristig ausgelegten 5G- und Glasfaserausbau und dem sich kontinuierlich verändernden Geschäft mit Anwendungen. Telkos rechnen für Investitionen in Infrastruktur in Dekaden, während innovative Dienste für eine AR-/VR-Brille einen deutlich kurzfristigeren Horizont aufweisen. Dieses Spannungsfeld zu beherrschen, Mitarbeitende und Prozesse auf dieses Tempo vorzubereiten, ist eine große Herausforderung und gleichzeitig eine große Chance für die Unternehmen in der Telekommunikation.

Prof. Dr. Jens Böcker, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Nils Ritter, Redaktion Digitale Exzellenz