Künstliche Intelligenz (KI) findet zunehmend in der Welt der Kunst ihren Platz. Aber kann KI überhaupt Kunst? Wie verändern Algorithmen den Kunstmarkt? Und ist das überhaupt wichtig? Ein Fundstück im Netz inspirierte uns zu einer Übersicht.
432.500 US-Dollar war im Oktober 2018 bei Christies in London einem unbekannten Bieter ein Kunstwerk wert, das von einem Algorithmus geschaffen wurde. Das Portrait of Edmond De Belamy, gefunden bei der New York Times, verdankt seine Existenz dem Einsatz Künstlicher Intelligenz. Das wirft aktuelle Fragen auf, obgleich Themen wie Kunst und Musik die Diskussion um die Fähigkeiten von Computern schon von Beginn an begleiten. Bereits 1956 gab es ein erstes Musikstück, das komplett am Computer entstand: die „Illiac Suite“ für Streichquartett von Lejaren Hiller. Offensichtlich gehörte es schon immer zu den Zielen von Technologie, den Menschen so perfekt zu kopieren, dass niemand mehr den Unterschied merkt. Aber ist so etwas Kunst?
Kunst, sagt der Duden, ist „schöpferisches Gestalten“. Das schließt Algorithmen nicht notwendigerweise aus, zumal Aristoteles schon vor mehr als 2.000 Jahren eine weite Definition des Begriffs lieferte: „Die Kunst vollendet das, was die Natur nicht ins Werk umsetzen kann, oder sie ahmt nach.“ Der griechische Universalgelehrte spricht besonders mit dem letzten Halbsatz eine wichtige künstlerische Tätigkeit an, das Kopieren, und nimmt damit Jahrtausende vor der Erfindung von KI einem der wichtigsten Argumente gegen den künstlerischen Einsatz Künstlicher Intelligenz den Wind aus den Segeln: dass KI nicht kreativ sein kann, sondern nur erlernte Stile nachahme.
Gängige Definitionen schließen also nicht aus, dass auch Maschinen Kunst produzieren können, zumal die Menschen, die Kunst konsumieren, den Unterschied zwischen „menschengemacht“, „maschinell hergestellt“ und hybrider Zwischenformen häufig gar nicht erkennen können – unterstellen wir mal.
Podcast-Tipp: KI und Kunst – was passiert in diesem Verhältnis? (Quelle: WDR 5)
KI und das Urheberrecht
Der weite Begriff von Kunst wirft aber eine weitere Frage auf: Wem gehören von Algorithmen geschaffene Kunstwerke? Das bei Christies versteigerte Kunstwerk zeigt, dass das nicht so einfach zu beantworten ist. Die 432.500 US-Dollar jedenfalls gingen an das französische Künstlerkollektiv Obvious, nicht aber an die Entwickler des Algorithmus. Aber das ist nachvollziehbar, denn auch die Namen der Hersteller von Leinwand, Farbe und Pinsel eines Bildes von, sagen wir, Picasso, sind nicht überliefert. Und ihr Geld haben sie allenfalls für die Werkzeuge bekommen, nicht für die künstlerischen Ergebnisse, die damit hergestellt wurden.
Am Ende ist die Frage, ob ein mit Algorithmen geschaffenes Bild nun Kunst ist, vielleicht gar nicht für alle wichtig, sondern nur für eine kleine Gruppe von Kunsthändlern, -historikern oder -liebhabern, die aus der Antwort Geschäftsmodelle und Kapitalanlagen kreieren – oder auch nicht.
KI und Gebrauchskunst
Die meisten Bilder werden in der Regel weniger nach ihrem künstlerischen und ihrem Marktwert beurteilt als nach ihrem Gebrauchswert. Und da ist es durchaus erstaunlich zu sehen, was KI mittlerweile kann:
- KI kann Bilder erschaffen, die sich nicht ohne weiteres als künstlich erstellte Bilder erkennen lassen. Plotter und 3D-Druck erweitern die künstlerischen Darstellungsmöglichkeiten noch.
- Algorithmen können Abbildungen menschlicher Gesichter erstellen, die sich beim bloßen Betrachten nicht von echten Fotografien und Menschen unterscheiden lassen. Zu den KI-generierten Bildelementen gehören auch Landschaften, Gebäude und andere Details.
Mit diesen Fähigkeiten kann KI zum Beispiel im Bereich der Stock-Fotografie Bilder von täuschender Echtheit produzieren, die keinerlei persönliche Rechte von dort abgebildeten Menschen berühren oder gar verletzen und damit auch keine Vergütungsansprüche begründen. Dem Markt droht, so jedenfalls bewertet es das Fachmagazin meedia, „die größte Umwälzung im Stock-Markt seit der Erfindung des User Generated Content. Leistungsfähige, KI-basierte Werkzeuge erzeugen Assets aus dem Nichts.“ Allerdings entstehen auch bei solchen Werken Copyrights und Stockbilder, die sich vermarkten lassen. Nur das Urheberrecht fällt weg, aber das stellt die Existenzberechtigung von Fotoagenturen ja noch nicht auf den Kopf. (Der verlinkte Artikel ist auch deshalb empfehlenswert, weil er „elf Beispiele zum Ausprobieren und Staunen“ darüber liefert, wie KI heute schon die Wirklichkeit täuschen echt formt.)
KI als Kunstexperten und vielleicht auch bald als Kritiker
Über die Fähigkeiten und Segnungen von KI kann man nicht sprechen, ohne auch das „Andererseits“ zu behandeln: Mit KI erstellte, täuschend echte Bilder können eben auch leicht Täuschungen sein, also Fälschungen. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) nennt auf seiner Webseite das Beispiel eines Fotos einer durch das ägyptische Militär misshandelten Demonstrantin. Das Bild wurde später als Beleg für einen Übergriff der Nationalgarde in Venezuela genutzt. Und wir alle kennen den Photoshop-Effekt in Bildern von Promis, die mit Filtern und Verzerrungswerkzeugen auf schlank, gut gebräunt und faltenfrei getrimmt werden und so ein bedenkliches Ideal von Schönheit transportieren, die sich mit „natürlichen“ Mitteln nicht erreichen lässt.
Sowohl das genannte Beispiel als auch der Photoshop-Effekt funktionieren auch ohne KI, aber mit ihrer Perfektion wird es viel mehr solcher täuschend echten Bilder geben, sogenannte Deepfakes. Dieser Begriff bezieht sich übrigens nicht nur auf fotoähnliche Abbildungen, sondern auf beliebige Medieninhalte, also auch auf Texte und Videos zum Beispiel.
Interessanterweise ist KI aber nicht nur Teil dieser Probleme, sondern auch Teil der Lösung: Am Ende werden Algorithmen, vielleicht auch nur Algorithmen, in der Lage sein, solche gut gemachten Fälschungen und Täuschungen mit Mitteln der IT-Forensik zu erkennen und aufzudecken.
KI, darüber sind sich Experten einig, wird Jobs, Tätigkeiten und Geschäftsmodelle radikal verändern. KI in der Fotografie und Kunst wird dafür sorgen, dass sich Fotografen und Bildagenturen ziemlich neu erfinden müssen – mit allen Nach-, aber auch mit vielen Vorteilen. Niemand kann heute genau vorhersagen, wie disruptiv oder wie produktiv diese Transformation sein wird. Aber klar ist, dass es die Veränderungen kommen werden und dass sich jede Branche damit befassen sollte. Am besten versucht jeder, die Teil der Veränderung sein. Ein Signal ist, wenn sich die Berufswelt verändert. Data-Freaks entdecken ihre künstliche Ader und kombinieren die zu einem neuen Metier Artist Scientist, beispielsweise beim AI-Künstler ALAgrApHY und einer früheren Google-Mitarbeiterin Dr Viva.
Eventuell verändert sich bald auch der Beruf der Kunstkritiker und des Feuilletons in die Richtung, dass sich die Menschen von Algorithmen bei der Deutung von Kunst unterstützen lassen. Über Kunst lässt sich wie immer streiten, und eine zweite Meinung kann nie schaden.
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