Digitale Exzellenz
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Digitale Pflege: R2-D2 als Altenpfleger?

, 10. Februar 2016

Lesezeit: 5 Minuten

Digitale Pflege: R2-D2 als Altenpfleger?

Die digitale Pflege ist auf dem Vormarsch. Das hat Ursachen: Rund 3,5 Millionen Menschen werden nach offiziellen Prognosen im Jahr 2030 in Deutschland pflegebedürftig sein – knapp eine Million mehr als derzeit. Klar ist, dass innerhalb der kommenden Jahre nicht im annähernd gleichen Ausmaß zusätzliche Pflegekräfte zum Einsatz kommen werden. Und zwar nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern weil das entsprechende Personal einfach nicht verfügbar ist. Der demografische Wandel schlägt gleich doppelt zu.

Doch es gibt einen weiteren gesellschaftlichen Megatrend, der der Problematik entgegenwirken kann: Digitalisierung bietet die Chance, die knappe menschliche Arbeitskraft gezielt um technische Assistenzsysteme zu ergänzen und somit die negativen Auswirkungen des Fachkräftemangels abzufedern – so auch jenen in der Pflegebranche.

Wearables, Robotik und Ambient Assisted Living

Werden Senioren also bald von Robotern gepflegt, per Ferndiagnose vom Arzt begutachtet, mit Essen aus dem 3-D-Drucker versorgt und Vitalwerte laufend von vernetzter Kleidung überwacht? Was sich nach Zukunftsspekulationen anhört, ist gar nicht so weit von der Realität entfernt. Blicken wir nach Japan – ein Land, in dem ein ausgeprägter Technikglaube auf wenig Zuwanderung und somit einen noch extremeren demografischen Wandel trifft als in Deutschland. Dort sind humanoide Roboter in Pflegeheimen keine Seltenheit mehr. Die mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Helfer erkennen die Menschen in ihrer Umgebung an deren Stimme, dienen als Partner beim Rätselraten, vermitteln Informationen oder erinnern an Arzttermine.

In Deutschland schwer vorstellbar? In einer repräsentativen Umfrage des Bundesforschungsministeriums zum Thema Digitale Pflege gab immerhin ein Viertel der Befragten an, sich eine Pflege durch Roboter vorstellen zu können. Eine noch deutlich größere Akzeptanz genießen Konzepte der „Telepflege“ sowie „Wearables“. Die Befragung war letztes Jahr Auftakt des von der Bundesregierung verantworteten Zukunftsforums “Gesundheit neu denken – Wohlergehen durch Hightech-Medizin und Selbstoptimierung?“.

Voraussichtlich werden es tatsächlich nicht Roboter auf zwei Beinen sein, die die größten Veränderungen bei der Digitalisierung des Pflegesektors mit sich bringen werden. Näher liegen da kurzfristig jene weit unscheinbareren Assistenzsysteme, die unter dem Oberbegriff „Ambient Assisted Living“ zusammengefasst werden und vor allem Konsequenzen auf die ambulante Pflege haben werden. Dabei handelt es sich um Technik, die in die normale Wohnumgebung integriert wird und Senioren in ihrem Alltag unterstützt, potenzielle Gefahren erkennt und im Notfall automatisch Hilfe verständigt. Bereits heute bekannte Beispiele sind Hausnotrufsysteme, Sturzdetektoren im Fußboden oder sonstige Sensoren, die ggf. Alarm schlagen und ein Eingreifen des ambulanten Pflegedienstes oder eines Arztes auslösen können. Neben bekannten Industrieunternehmen engagieren sich in Deutschland in diesem Themenfeld u. a. auch fast ein Dutzend Fraunhofer-Institute in der „Fraunhofer-Allianz AAL“.

Aber es geht auch eine Nummer größer: So sollen Care Assist Roboter, wie sie beispielsweise bei Toyota entwickelt werden, künftig in der Lage sein, Patienten sanft ins oder aus dem Bett zu heben. Mit anderen Entwicklungen sollen unmittelbar die menschlichen Pfleger bzw. Angehörigen unterstützt werden: High-Tech-Exoskelette versprechen eine Stärkung der menschlichen Muskulatur zur Unterstützung beim körperlich anstrengenden Heben und Stützen von Pflegebedürftigen. Letztere Technik wird übrigens auch in Deutschland gezielt erforscht und sogar von der Bundesregierung gefördert.

Gesellschaftliche Chancen der Digitalisierung im Pflegesektor

Diese technischen Fortschritte mögen für den Einzelnen hilfreich (und manchmal vielleicht auch ein bisschen unheimlich) sein. Doch welche Chancen lassen sich daraus für die Gestaltung des demografischen Wandels ableiten? Bei intelligenter Gestaltung kann die Digitalisierung dem viel beschworenen Grundsatz „ambulant vor stationär“ zusätzlichen Schub verleihen. Vieles spricht dafür, den Umzug von Senioren (und sonstigen pflegebedürftigen Personen) in stationäre Wohnformen zu vermeiden oder hinauszuzögern, sofern dies deren Wunsch entspricht: Viele ältere Menschen möchten gerne bis ins hohe Alter in ihrer gewohnten Umgebung wohnen bleiben, Angehörige können in die Pflege eingebunden werden und bestehende soziale Netzwerke am Wohnort bleiben erhalten.

Und natürlich ist es auch kein Geheimnis, dass ambulante Pflege deutlich kostengünstiger sein kann (!) als stationäre. Vor dem Hintergrund der enormen finanziellen Belastungen für die öffentlichen Haushalte ist auch dies ein nicht zu verachtendes Argument: Alleine die Pflegeversicherung gibt jedes Jahr etwa 25 Milliarden Euro aus. Hinzu kommen mehr als drei Milliarden Euro kommunale Ausgaben für die Hilfe zur Pflege – Tendenz jeweils steigend.

Einige der derzeitigen Hürden für einen längeren Verbleib in den eigenen vier Wänden wird eine ambulante digitale Pflege mit den oben beschriebenen Hilfsmitteln beseitigen können. Gerade das erhöhte Sicherheitsgefühl durch medizinische Überwachung sowie die Unterstützung bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten dürften hier Beiträge leisten. Nicht ohne Grund ist das Bundesforschungsministerium durch mehrere Vorhaben in diesem Themenkomplex aktiv. Das Projekt „Besser leben im Alter durch Technik“ sowie das Forschungsprogramm „Mensch-Technik-Interaktion“ sind nur zwei Beispiele. Und der Gesundheitssektor ist einer von fünf zentralen Anwendungssektoren der Initiative „Intelligente Vernetzung“ des Bundeswirtschaftsministeriums.

Digitale Pflege ist mehr als nur Technik

Doch unabhängig von der Technik ist auch auf anderen Ebenen einiges zu tun. Denn neben den zu entwickelnden IT-Schnittstellen und -Standards sind es vor allem strukturelle und kulturelle Fragen der digitalen Transformation im Pflege- und Gesundheitswesen, die in den kommenden Jahren diskutiert und gelöst werden müssen:

  • Wer übernimmt die Kosten technischer Assistenzsysteme in der ambulanten Pflege?
  • Welche technischen Kompetenzen müssen Pflegefachkräfte in Zukunft mitbringen?
  • In welcher Form dürfen von Assistenzsystemen gespeicherte Daten verwendet werden, und wie wird der notwendige Datenschutz bezüglich sensibler – personenbezogener Informationen sichergestellt?
  • Wie nimmt man Betroffenen Ängste vor einer anonymisierten, maschinellen Pflege?
  • Wie kann die Vernetzung der vielen unterschiedlichen Akteure im Pflege- und Gesundheitswesen künftig effizienter gestaltet werden (Kranken- und Pflegekassen, ambulante Pflegedienste, stationäre Wohnformen, Ärzte, Krankenhäuser, Kommunen, Aufsichtsbehörden…)?