Digitale Exzellenz
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Demokratie 4.0: Chatbots und Big Data bei Wahlen nutzen

, 15. November 2017

Lesezeit: 5 Minuten

Demokratie 4.0: Chatbots und Big Data bei Wahlen nutzen

Künstliche Intelligenz und Big Data verschaffen Unternehmen bei komplexen Sachverhalten den nötigen Durchblick und assistieren beim Treffen von Entscheidungen. Die Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden wird durch Chatbots unterstützt. Dieselben Dienste könnten die Technologien auch für den Bürger leisten – beispielsweise bei künftigen Wahlen.

Soziale Netzwerke, Social Bots, Big Data – spätestens bei der letzten US-Präsidentschaftswahl wurde deutlich, dass der digitale Wandel auch vor politischen Prozessen nicht Halt macht. Durch den technologischen Fortschritt ist das Manipulationspotential bei Wahlen massiv gestiegen. Professor Philip Howard von der Oxford University spricht hier von „computational propaganda“. Trotz dieser neuen Gefahren ist es wichtig zu sehen, dass die Digitalisierung auch enorme Chancen mit sich bringt. Durch Chatbots und Big Data kann die Informationslage bei Wahlen deutlich verbessert werden.

Idealvorstellung von Demokratie

Eine politische Entscheidung ist nicht allein dadurch legitim, dass sie die Mehrheitsmeinung widerspiegelt. Vielmehr kommt es darauf an, verschiedene Positionen in öffentlichen Debatten auszutauschen mit dem Ziel, dass sich die besseren Argumente durchsetzen. In der politischen Theorie wird dieses Konzept als „deliberative Demokratie“ bezeichnet. Es dominiert seit einigen Jahren nicht nur die akademischen Diskussionen über Demokratie, sondern hat auch breiten Einzug in praktische Demokratie-Debatten erhalten.

Reale Politik kann dieser Idealvorstellung niemals vollständig gerecht werden. Bei modernen Massendemokratien stellt allein die Anzahl der Bürgerinnen und Bürger ein großes Hindernis dar. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass sich Menschen in der Politik wie in allen anderen Lebensbereichen nicht selten von ihren privaten Interessen leiten lassen. Doch mit Blick auf die Legitimität und Qualität politischer Entscheidungen sollte es unser Ziel sein, diesem Ideal möglichst nahe zu kommen.

Informationsdefizite bei Wahlen

Eine wichtige Rolle bei der Formulierung von politischen Positionen und dem Austausch von Argumenten spielen politische Parteien. Bei anstehenden Wahlen schreiben Parteien ihre Positionen und Argumente in einem Wahlprogramm nieder. In der Idealvorstellung sollten sich Bürgerinnen und Bürger mit diesen Programmen auseinandersetzen und eine informierte Wahlentscheidung treffen.

Die Wahlprogramme der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien für die Bundestagswahl 2017 sind zwischen 76 und 248 Seiten lang. Wer all diese Programme lesen möchte, benötigt laut einer computergestützten Analyse mehr als 17 Stunden. Es ist unrealistisch anzunehmen, dass ein größerer Teil der Wählerschaft diese Zeit aufbringt.

Erste Verbesserungen durch Wahl-O-Mat

Seit 2002 können Wählerinnen und Wähler in Deutschland den Wahl-O-Mat nutzen, um sich effizienter über Unterschiede zwischen den Parteien zu informieren. Er ist darauf ausgerichtet, die Meinungen der Wähler mit den Positionen der Parteien abzugleichen.
Die Anzahl der Nutzungen bei Bundestagswahlen ist von anfangs 3,6 Millionen auf 15,7 Millionen in 2017 gestiegen:


Wahl-o-Mat Big DataQuelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Der Wahl-O-Mat war ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Informationslage bei Wahlen. Mit Blick auf die Idealvorstellung von Politik hat er jedoch zwei größere Schwachstellen: Zum einen ist die Anzahl der betrachteten Themen stark begrenzt. Zum anderen werden keine Argumente für oder gegen die verschiedenen Positionen wiedergegeben. Damit trägt der Wahl-O-Mat nicht dazu bei, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Meinungen hinterfragen und ggf. weiterentwickeln.

Vision: Bessere Informationen durch Chatbots und Big Data

Um Wählerinnen und Wähler individuell über die Unterschiede der Parteien zu politischen Positionen und Argumentationen zu informieren, könnten zusätzlich Chatbots eingesetzt werden. Kombiniert mit künstlicher Intelligenz könnten diese Bots die verschiedenen Wahlprogramme auf individuelle Fragen analysieren. In den Antworten sollten dann auch die Argumente der Parteien für die jeweilige Position wiedergegeben werden.

Darüber hinaus ist es für die Qualität des Wahlkampfes von entscheidender Bedeutung, dass die Parteien die für die Bevölkerung relevanten Themen adressieren. Um dies zu erreichen, könnte die Kommunikation zwischen Bürgern und Chatbots mithilfe von Big Data-Anwendungen analysiert werden. Die Ergebnisse könnten für die Vorbereitung von Wahlkampfveranstaltungen oder TV-Duells genutzt werden. Agile Parteien könnten die Erkenntnisse sogar für eine Verbesserung ihrer Wahlprogramme nutzen.

Das folgende Schaubild zeigt die grundlegende Funktionsweise des skizzierten Szenarios:

Schaubild Big Data und KI bei Wahlen

Auf diesem Weg könnte auf indirektem Weg ein inhaltlicher Austausch zwischen der Wahlbevölkerung und den Parteien entstehen.

Realitäts-Check

Erste Ansätze für den Einsatz von Chatbots im Wahlkampf gibt es bereits. So hat die CSU dieses Jahr einen Bot namens LEO eingesetzt, um Wähleranfragen zu beantworten. Auch wenn das Ergebnis dieses Versuchs eher bescheiden ausfiel, zeigt es die Bereitschaft einiger Parteien für derartige Lösungen.

Auch der Einsatz von Big Data-Analysen wäre keine Neuheit bei Wahlkämpfen. Schon 2012 beschäftigte Barack Obama bei den US-Präsidentschaftswahlen ein Heer von IT- und Daten-Experten, um durch Big Data-Analysen seinen Wahlkampf zu optimieren.

Dass neue Technologien bei Wahlkämpfen verstärkt zum Einsatz kommen werden, steht außer Frage. Wenn wir wollen, dass sie zur Stärkung der Demokratie und nicht zur Manipulation verwendet werden, müssen öffentliche Institutionen für ihre Einführung und Betreuung verantwortlich sein.