Digitale Exzellenz
Digitale Exzellenz

Anti-Geldwäsche: Verdachtsmeldungen nie wieder selber tippen

, 31. August 2020

Lesezeit: 5 Minuten

Anti-Geldwäsche: Verdachtsmeldungen nie wieder selber tippen

2019 erfasste die Financial Intelligence Unit (FIU) schätzungsweise mehr als 100.000 Verdachtsmeldungen wegen Geldwäsche. Seit 2008 hat sich die Anzahl der Meldungen mehr als verzehnfacht. Für zu spät erstattete Verdachtsmeldungen wurden in der Vergangenheit bereits Rekordbußgelder gezahlt. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz lässt sich zumindest die Vertextung der Fälle zu 98 Prozent automatisieren und damit der Prozess beschleunigen.

Verpflichtete nach dem Geldwäschegesetz (GwG) müssen verdächtigen Kontobewegungen und sonstigen Hinweisen auf Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung nachgehen. Jeder Fall muss untersucht, bewertet und abschließend vertextet werden – ganz gleich, ob der Fall an die Behörden gemeldet wird oder nicht.

Der Aufwand für die Bearbeitung ist durch die hohe Anzahl an Verdachtsmeldungen extrem groß. Schätzungsweise 300.000 Verdachtsfälle werden pro Jahr bearbeitet. Das entspricht bei einem Arbeitstag pro Fall rund 300.000 Arbeitstage im Jahr. „Allein für die Vertextung des Falls braucht eine Analystin oder ein Analyst zirka 30 Minuten. Das entspricht rund 19.000 Arbeitstagen pro Jahr oder mehr als 100 Analysten, nur um eine Meldung zu vertexten und in die richtige Form zu bringen“, schätzt Sebastian Marx. Er ist bei unserem Technologie-Partner Retresco, ein Berliner Tech-Unternehmen, das auf die Entwicklung und Anwendung KI-basierter Sprachtechnologie spezialisiert ist, zuständig für Financial Services.              

Finanzinstitute sind als Drehscheiben für Zahlungsströme besonders stark betroffen. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vertexten per Hand Meldungen und plausibilisieren Verdachtsfälle. Diese Ressourcen sind besser eingesetzt, wenn sie präventive und komplexe Compliance-Maßnahmen umsetzen. Darüber hinaus schreibt die FIU in ihrem Jahresbericht 2018, dass bei 42 Prozent der Verdachtsmeldungen die Voraussetzungen fehlten, um sie an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden weiterleiten zu können.

Natural Language Generation: KI-Software als intelligente „Schreibstube“ im digitalen Zeitalter 

Das Erstellen von Verdachtsmeldungen ist somit mittlerweile ein „Massengeschäft“. Unternehmen sollten hier genau prüfen, wie sie ihre qualifizierten Analystinnen und Analysten sinnvoll beschäftigen. Die geschätzten 19.000 Tage Textarbeit fehlen im Ergebnis für die Ermittlungsarbeit. Hier kommt die Idee der Automatisierung ins Spiel. Mithilfe von Natural Language Generation (NLG), einem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, ist es heute möglich, in sehr guter Qualität automatisiert natürlichsprachlichen Text zu erzeugen – und das schneller und effizienter als der Mensch dazu in der Lage wäre.

Nachrichtenportale nutzen diesen Ansatz beispielsweise bereits heute für ihre datenbasierte Berichterstattung. Die NLG-Software von Retresco textet in den Redaktionen Sport-, Wetter, Verkehrs- oder Börsenberichte. Finanzdienstleiser greifen ebenfalls zur KI und erstellen Fondsreports auf Basis von NLG. Ein weiteres gängiges Anwendungsgebiet sind Chatbots, die nicht nur Sprache erzeugen, sondern sie auch verstehen.

Nicht bei nur VerdachstmeldungenEinsatzgebiete von NLG - eine Übersicht
Quelle: Retresco – Whitepaper „NLG in der Praxis“

So automatisiert NLG die Erstellung von Verdachtsmeldungen

Natural Language Generation eignet sich immer dann, wenn große Mengen Daten in Text überführt werden sollen. Für ihre Anti-Geldwäsche-Maßnahmen nutzen Banken und Versicherungen beispielsweise Tools, um Zahlungen zu überwachen. Zudem durchlaufen Neukunden bestimmte Onboarding-Verfahren, damit Institute wissen, mit wem sie Geschäfte machen (Know Your Customer). Stößt ein System zum Beispiel beim Transaktionsmonitoring auf Unregelmäßigkeiten, schlägt es Alarm. Ein Fallbearbeiter übernimmt und legt sämtliche relevanten Daten ab – entweder in einem Case-Management-System oder oftmals noch in Excel-Tabellen. Die Folge sind viele Daten wie Namen, Geldbeträge, Länderkürzel, Adressen und weitere Daten, die eine Transaktion als verdächtig erscheinen lassen. Dazu kommen häufig Notizen der Fallbearbeiter in einem Kommentarfeld.

Mithilfe eines Regelwerks und Künstlicher Intelligenz entsteht aus den elektronischen Daten, die die Compliance Organisation zusammengetragen hat, in Sekundenschnelle die Vorlage für den fertigen Report. Eine Fallbearbeiterin oder Fallbearbeiter hat die Optionen, Inhalte zu ergänzen, anzupassen oder den automatisierten Text komplett zu nutzen. Letzte Instanz bleibt immer der Mensch. Beim Use Case Verdachtsmeldung kann eine Software 98 Prozent der Fälle automatisiert texten, ergeben Schätzungen von Retresco. Fallanalysten/-innen können sich voll auf ihre investigativen Kernaufgaben sowie die Qualitätssicherung der Verdachtsmeldung und deren Plausibilisierung fokussieren.

Die zwei Herzstücke einer NLG-Software sind Daten- und Textmodelle. Vereinfacht dargestellt: Ein hinterlegtes Modell sagt den Datenquellen, welche Informationen das Programm benötigt. Ein computerlinguistisches Sprachmodell erzeugt dann mithilfe von Aussagevarianten einen ausformulierten, grammatikalisch korrekten Text. In den Textmodellen sind Synonyme und mit Varianten angereicherte Formulierungen hinterlegt – ermöglicht wird dies durch Machine Learning. Lexikalisierungsalgorithmen sorgen anschließend dafür, dass sie für jede mögliche Datenkonstellation grammatikalisch korrekt ausgedrückt werden können und dabei vollautomatisiert Texte entstehen.

Vorteile von KI-basierter Texterstellung von Verdachtsmeldungen wegen Geldwäsche.
Quelle: https://www.retresco.de/ki-compliance/

KI-basierte Sprachtechnologien im Berichtswesen auch für Versicherer interessant

Das Einsatzgebiet Gesetz und Regulatorik für Sprachtechnologien ist riesig. Speziell in der hochregulierten Finanzwelt werden jedes Jahr tausende Berichte erstellt. Versicherer müssen beispielsweise regelmäßig über einen seitenlangen Bericht zur Solvabilität und Finanzlage (SFCR) abgeben. Die Daten liegen unstrukturiert in den IT-Systemen der Versicherer vor. Derzeit kümmern sich durchschnittlich fünf Menschen darum, diese Daten in geschriebene Berichte zu verwandeln. Elf Wochen ist ein Versicherer pro Jahr mit dem SFCR beschäftigt. Rund drei Viertel dieser Arbeit lässt sich automatisieren. Die regelbasierte Korrektheit des Systems bedingt eine Formulierung von exakten und damit gesetzeskonformen Berichten, die den regulatorischen Anforderungen treffsicher entsprechen.

Bilder: Retresco, Getty Images / Svetlana Mokrova