Die Digitalisierung in Deutschland braucht mehr als ein Digitalministerium – sie braucht die richtige Struktur. Ein eigenes Ministerium kann die Digitalisierung beschleunigen, doch ohne die passende Organisation und funktionierende Kooperationsmodelle drohen neue Hürden. Ein smarter Ansatz besteht daher aus zentraler Steuerung und dezentraler Umsetzung.
In schöner Regelmäßigkeit wird darüber diskutiert, ob ein eigenes Bundesdigitalministerium die Digitalisierung in Deutschland beschleunigen kann. Derzeit nimmt das Thema im Wahlkampf wieder mächtig Fahrt auf. Die Annahme: Ein eigenes Bundesministerium soll in der kommenden Legislaturperiode den Stellenwert der Digitalpolitik erhöhen und endlich zentrale Verwaltungsprozesse modernisieren. Der Konsens für ein Digitalministerium scheint aktuell breiter denn je. Umstritten ist allerdings, ob mit einem eigenständigen Ministerium wirklich die dringend benötigten Digitalisierungsfortschritte erzielt werden.
Die entscheidende Frage ist gar nicht, ob ein solches Ministerium kommt, sondern wie es organisiert ist. Denn: Ohne die richtigen Strukturen ist zu befürchten, dass sich die bestehenden Probleme nur verlagern oder sogar verschärfen.
Digitalministerium: Pro & Contra einer Zentralisierung
Ein Blick zurück zeigt: Unter der Ampelkoalition scheiterte die ressortübergreifende Digitalisierung unter anderem an verteilten Zuständigkeiten. Das Bundesinnenministerium war federführend bei der digitalen Verwaltungsmodernisierung, dem Onlinezugangsgesetz und der strategischen IT-Steuerung des Bundes. Das Verkehrsministerium koordinierte die Digitalstrategie, das Wirtschaftsministerium war für die Digitalisierung der Wirtschaft zuständig, und das Bundeskanzleramt hat die Bundesregierung zu übergreifenden digitalpolitischen Themen beraten. Den großen Durchbruch in der Digitalisierung der Verwaltung gab es allerdings nicht.
Noch dramatischer ist, dass in den vergangenen Jahren die Digitalausgaben des Bundes rasant gestiegen sind. Eine Studie zum Digitalhaushalt der Bundesregierung zeigt: 2019 lagen sie noch bei 9,6 Milliarden Euro. 2023 waren sie mit 20,5 Milliarden Euro doppelt so hoch. Für 2024 sind 19,1 Milliarden Euro geplant. Die beiden größten Einzelbereiche sind die Verwaltungsdigitalisierung (16,6 Mrd. Euro) und der Ausbau digitaler Infrastrukturen (13,8 Mrd. Euro).
Trotz der erheblichen Investitionen fehlt es an einer übergreifenden Steuerung und Koordination der Mittel. Eine präzisere Kategorisierung der Digitalausgaben, etwa durch neue Haushaltstitel oder die Erweiterung des Funktionenplans um eine Digitalisierungskategorie, könnte für mehr Transparenz und eine automatisierbare Auslesbarkeit sorgen. Mittel könnten gezielter gesteuert werden und etwa durch ein Bundesministerium für Digitalisierung begleitet werden.
Auf den ersten Blick bietet die Zentralisierung weitere Lösungen für die komplexen Herausforderungen:
- Durch die Bündelung der Kompetenzen kann die bisherige Fragmentierung überwunden werden. Digitalisierung „aus einer Hand“ wird möglich.
- Die Digitalisierung wird durch eine zuständige Ministerin oder einen zuständigen Minister am Kabinettstisch vertreten. Der Stellenwert der digitalen Agenda steigt.
- Die öffentliche Sichtbarkeit wird durch ein Ministerium erhöht. Digitaler Fortschritt wird prominenter wahrgenommen.
Gerade die Öffentlichkeitswirkung ist wichtig, soll sie doch für eine breitere Akzeptanz der Wirtschaft und in der Bevölkerung und damit für politische Legitimation sorgen. Dem stehen jedoch eine Reihe von Nachteilen gegenüber, die eine Zentralisierung mit sich bringen kann:
- Ein isoliert arbeitendes Ministerium läuft Gefahr, sich von anderen Fachministerien abzukapseln. Es droht Digitalisierung als Selbstzweck und nicht nutzerzentriert
- Ineffiziente Doppelstrukturen und Zuständigkeitskämpfe sind die Folge.
- Kosten und Verwaltungsaufwand steigen.
- Ein weiteres Ministerium schafft mehr statt weniger Bürokratie.
Ein Beispiel für die Herausforderungen und die Komplexität in der Umsetzung ist die Modernisierung der Bundes-IT, die zentral gesteuert wird. Trotz oder gerade wegen der zentralen Strukturen hat der Bundesrechnungshof wiederholt Defizite in der ressortübergreifenden Zusammenarbeit und in der Entscheidungsfindung festgestellt.
Wenn die bisherigen Versuche, die IT des Bundes zu vereinheitlichen und zu modernisieren eines gezeigt haben, dann, dass Digitalisierung ein Querschnittsthema ist. Sie betrifft alle Ressorts und erfordert auch deren Expertise.
Die Herausforderung liegt daher nicht nur darin, ein eigenständiges Digitalministeriums zu schaffen, sondern zusätzlich in der Frage, wie die Zusammenarbeit mit anderen Ressorts, aber auch mit Blick auf den Förderalismus mit Ländern und Kommunen sowie den Sozialversicherungen gestaltet werden kann, um die Digitalisierung effizient voranzutreiben.
Strategische Aufgabenorientierung und getrennte Budgets als Steuerungsmechanismen
Heute gilt: Jedes Ministerium betreibt eigene IT-Systeme – eine schnelle Zentralisierung ist daher kaum realistisch. Sie würde in bestehende Strukturen eingreifen und auf Widerstand stoßen. Ein Bundesdigitalministerium würde daher zwar die Digitalisierung vertreten und hervorheben, aber sich nicht in gleicher Weise in den Nachbarressorts durch- und umsetzen können. Es könnte nicht einfach über die anderen Ressorts hinweg entscheiden.
Das künftige Digitalministerium sollte daher als Steuerungseinheit auftreten, indem es die Grundsätze einer kohärenten Digitalpolitik und -regulierung über Ressort- und Verwaltungsebenen hinweg durchsetzt, Architekturprinzipien und Standards definiert und Prozesse koordiniert.
Impulse könnte das Digitalministerium des Landes Hessen geben. Als eigenständiges Ministerium mit einer klaren Strategie bündelt es zentrale Digitalthemen in einem Ressort und koordiniert zugleich die Digitalisierung des Landes ressortübergreifend. Der Hebel für maximale Wirkung sind zwei getrennte Budgets: eines für die Finanzierung der Aufgaben des Ministeriums und eines für die Digitalisierungsprojekte der Ressorts. Durch die Bündelung der Kompetenzen und die ressortübergreifende Zusammenarbeit werden horizontale Synergien geschaffen. Strategische Planung und Investitionen in die Infrastruktur fördern die vertikale Integration. Die Basis, um vom Nebeneinander zum Miteinander zu kommen.
Dezentrale und interdisziplinäre Umsetzungsstrukturen im Digitalministerium
Digitalisierung realisiert sich nicht allein durch Vorlagen oder Konzeptpapiere, sondern auch bzw. insbesonders durch funktionierende Software. Das zeigt sich zum Beispiel in Architekturstandards, die erst durch IT-Komponenten wirklich realisiert werden können und auf dem Papier nicht die notwendigen Standardisierungseffekte erzielen. Da die Herausforderungen auf der Bundesebene deutlich komplexer sind, könnte die Lösung dort in einer ergänzenden Umsetzungsorganisation liegen, die sich an den produktorientierten Prinzipien der Softwareentwicklung orientiert und die zentrale Steuerung des Digitalministeriums durch dezentrale Umsetzungsstrukturen ergänzt. Sie wird aktuell in der Debatte um eine „Digitalagentur” thematisiert.
Statt Digitaleinheiten umfassend zu konsolidieren, sollte der Fokus darauf liegen, effiziente, dezentrale und interdisziplinäre Umsetzungseinheiten zu schaffen. Das Ziel dabei ist, die Digitalisierung kurz- und mittelfristig in die Fläche zu bringen. Eine solche Umsetzungsorganisation sollte als Klammer dienen, unter anderem für die Nutzung einer Plattform oder methodischer Standards. Sie sollte beispielsweise mit spezialisierten Außenstellen an die Ressorts andocken, um Fach- und Digitalisierungsexperten ins interdisziplinäre Arbeiten zu bringen und konkrete Probleme mit digitalen Produkten zu lösen.
Ein weiterer Impulsgeber kann die Bundesagentur für Arbeit sein. Mit ihrer Reorganisation hat die Behörde gezeigt, wie durch produktorientiertes Arbeiten erhebliche Verbesserungen bei Effizienz und Kundenorientierung erreicht werden können. Die Behörde verfolgt ein Kooperationsmodell, das Politik (Auftraggeber) und IT-Implementierung (Auftragnehmer) trennt und Fachexperten in cross-funktionalen Teams mit IT-Experten, UX-Experten etc. zusammenbringt.
Auch für das neue Bundesdigitalministerium würde eine ergänzende dezentrale Umsetzungsorganisation einige Vorteile bringen:
- Abbau von Silos: IT, Verwaltungsexperten und Fachabteilungen arbeiten direkt zusammen, statt getrennte Prozesse zu managen.
- Fokus auf Dienstleistungen und Services statt Abteilungen: Teams sind nicht mehr an eine feste Organisationseinheit gebunden, sondern an konkrete digitale Projekte oder Prozesse, die bürgernah und nutzerorientiert gestaltet werden.
- Schnellere Entscheidungswege: Abstimmungen erfolgen nicht mehr auf hoher Abteilungsebene, sondern direkt im Team.
- Bessere Lösungsorientierung: Herausforderungen werden im Team diskutiert und gelöst, nicht zwischen großen Ressorts. Mehr Eigenständigkeit: Teams müssen Entscheidungen treffen und Lösungen aushandeln.
- Aufbau digitaler Kompetenz: Expertise wird über Ressortgrenzen hinweg entwickelt und Wissen weitergegeben.
Fazit
Ein Digitalministerium würde der Digitalisierung mehr Gewicht in Politik und Gesellschaft geben, klare Regeln setzen und langfristig die Steuerung übernehmen. Doch für die praktische Umsetzung braucht es Teams mit Experten aus verschiedenen Bereichen, die gemeinsam an Lösungen arbeiten. Ein eigenständiges Ministerium allein schafft diese Zusammenarbeit nicht. Deshalb sollte zusätzlich eine Organisation geschaffen werden, die dezentral arbeitende Teams über Ressortgrenzen hinweg vernetzt und gemeinsam mit den Ministerien Digitalprojekte vorantreibt. Wie diese Einheit genau heißt, ist zweitrangig – entscheidend ist, dass sie effektiv arbeitet.
________________
Lesetipp der Redaktion: KI spielt eine große Rolle bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Doch viele Behörden kommen nicht über Pilotprojekte heraus. Wie die notwendigen Grundlagen für eine flächendeckende Nutzung geschaffen werden, lesen Sie hier.