Digitale Exzellenz
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Smart Data: Revolution im Fußball

, 9. Mai 2018

Lesezeit: 7 Minuten

Smart Data: Revolution im Fußball

Flache Hierarchien, VR-Brillen, Kameradrohnen und intelligente Analysen revolutionieren inzwischen auch den Alltag der Fußball-Bundesliga. Beim Einsatz von Smart Data gibt es durchaus Analogien zur Unternehmenswelt. Dr. Peter Görlich, Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten TSG Hoffenheim, über die Digitalisierung des Fußballs, Out-of-the-Box-Denken und Inspirationsquellen, um im Hochgeschwindigkeitsgeschäft der Bundesliga zu bestehen.

Herr Dr. Görlich, die digitale Transformation erreicht alle Bereiche: Welchen Einfluss hat Technologie heute auf den professionellen Fußball?

Dr. Peter Görlich: Das muss man ein bisschen aufteilen. Einerseits geht es um Spielanalyse, andererseits um Training. Trainingsprozesse werden heute im Spitzensport auf Basis von diagnostischen Werten individualisiert gesteuert. Da können sie ohne technische Hilfsmittel keine sinnvolle Diagnostik mehr machen – egal ob körperlich oder mental. Sie brauchen ein System, das Daten digital erfasst, um einen Trainingsprozess aufzubauen, zu steuern und zu überprüfen, ob er am Ende des Tages erfolgreich war.

Sie setzen seit einigen Jahren auf ein Trainingsgerät, das sich Footbonaut nennt. Was ist ihr Ziel dahinter?

Görlich: Beim Footbonauten geht es um die Verbesserung der Trefferquote und der Ballkontaktzeit von Spielern. Dabei handelt es sich um eine überdimensionale, quadratische Ballmaschine, mit der unsere Spieler trainieren, und bei der wir die Leistungsdaten digital erfassen. Wir haben den Einsatz des Geräts in den vergangenen Jahren wissenschaftlich erforscht und einen Leistungskatalog erstellt, der für verschiedene Altersgruppen gilt. Wir wissen, dass ein Jugendlicher im Alter von 14 Jahren eine gewisse Trefferquote und eine gewisse Ballkontaktzeit haben sollte, wenn er es bei den Erwachsenen in den Leistungsbereich schaffen soll. Denn im Fußball geht es um Handlungsschnelligkeit und kognitive Prozesse.

Was ist der Unterschied zwischen einem Profi und einem talentierten Jugendlichen?

Görlich: Wir wissen aus unserer eigenen Forschung, dass ein 18-jähriger von den körperlichen Werten her ähnlich aufgestellt ist wie ein erwachsener Fußballprofi, der in der Bundesliga spielt. Aber bei den so genannten Exekutiv-Funktionen entscheiden sich Jugendliche bis zu 40 Prozent häufiger falsch als Profis. Also müssen wir die Wahrnehmungsfunktionen während des Spiels verbessern, um junge Spieler früh in die Bundesliga integrieren zu können. Und dafür ist der Footbonaut ein geeignetes Trainingsgerät.

Sie nutzen die Technologie vom Footbonauten im Nachwuchsbereich. Bringt das Gerät auch den Profis was?

Görlich: Es gibt Deckeneffekte. Ab einer gewissen Qualität gibt es keine Steigerung mehr. Dann wird das Gerät nicht zur Ausbildung, sondern zur Rehabilitation, Prävention und für ganz spezifische Technikschulungen eingesetzt.

Sie überwachen die Leistungen der Spieler und erfassen die Daten. Wie nutzen Sie diese Daten?

Görlich: Wir haben circa 100 Millionen Datenpunkte mit 830 verschiedenen Variablen. Diese Informationen fließen in den Trainings- und Entwicklungsprozess unserer Spieler, zum Beispiel dann, wenn es um die Wettkampfsteuerung geht. Interessant ist aber nicht, dass es so viele Daten gibt, sondern wie wir als Verein in der Lage sind, diese Daten zu verdichten und zu interpretieren, um Fußballer besser zu machen.

Welche Mitarbeiter brauchen Sie, um den Fußball zu technisieren?

Görlich: Wir haben zahlreiche Datenanalysten im Team. Die haben mit Sport teilweise gar nichts zu tun und könnten auch bei einer Bank oder Versicherung arbeiten. Sie sollen außerhalb der üblichen Boxen denken und neue Perspektiven in das System Fußball bringen. Ihnen obliegt die Interpretationshoheit von Daten. Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Wir regen dabei bewusst dazu an, alte Regeln zu brechen. Ansonsten bringen die digitale Transformation und das ganze Thema Big Data im Fußball nichts. Teilweise schmerzt die Digitalisierung auch, weil sie eine gewisse Transparenz bedingt und vieles neu hinterfragt werden muss.

Worauf kommt es bei der systematischen Datenanalyse im Fußball an?

Görlich: Es geht darum, aus Big- einen Smart-Data-Pool zu machen. Das Geheimnis ist, die Big-Data-Wolke so schön darzustellen, dass Experten – also Trainer, Torwarttrainer, Videoanalysten, Athletik-Trainer oder Psychologen – auf diese zurückgreifen, um Entscheidungen zu vereinfachen. In Hoffenheim ist uns die Verknüpfung vorhandener Daten enorm wichtig. Wir wollen beispielsweise noch konkreter vorhersagen können, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Gegner einen gewissen Pass spielt.

Hilft es Ihnen bei der digitalen Transformation im Verein, dass Sie mit Julian Nagelsmann, einen jungen, technologieaffinen Trainer haben?

Görlich: Die digitale Transformation im Sport ist völlig normal. Daher finde ich die Diskussion um so genannte Laptop-Trainer unsinnig. Jeder Experte, der im Spitzensport unterwegs ist, versucht sämtliche Datenquellen anzuzapfen, um mit ihnen zu arbeiten. Richtig ist: Wir haben momentan eine Idealkonstellation und ein wissbegieriges Trainerteam. Auch unsere Spieler sind extrem interessiert und wollen ihre Leistungen auf allen Feldern optimieren. Wenn Datenanalysen dabei helfen, nimmt das jeder gern an.

Was heißt das konkret?

Görlich: Spieler wollen Rückmeldungen. Sie wissen, dass sie nur eine begrenzte Zeit Spitzensport betreiben können, die wollen sie optimal nutzen. Wir erleben, dass Spieler heute beim Einsatz von Technologien vielmehr nachfragen: Wie viele Pässe spiele ich? Wie exakt bin ich dabei? Wie verändert sich meine Geschwindigkeit? Wie kann ich darauf einwirken? Der Profifußball entwickelt sich rasant; die Spieler werden immer handlungsschneller, die Ballkontaktzeiten gehen massiv nach unten. Im FIFA Report 2016, in dem die Spiele der Fußballweltmeisterschaften ausgewertet wurden, sind sämtliche relevante Daten um 35 Prozent besser geworden. In den vergangenen zwanzig Jahren haben sich die Belastungsspitzen im Fußball komplett verändert. Das bekommen auch die Spieler mit.

Ein wichtiger Themenbereich ist die Datenanalyse, ein anderer der Test neuer Technologien: Ajax Amsterdam probiert beispielsweise Virtual-Reality-Brillen im Training aus. Was halten Sie davon?

Görlich: Wir testen Virtual Reality (VR) in unseren älteren Jahrgängen der Jugend-Akademie (U17 und U19), sind aber noch ein wenig skeptisch. Aktuell fehlt mir noch der methodisch-didaktische Zugang, wie ich VR in den Trainingsalltag integrieren kann. Es ist ja nicht so, dass die aktuellen Fußball-Profis zu wenig Trainingsreize haben, sondern wir wollen die Trainingsreize optimieren, Regenerationszeiten verkürzen, damit Spieler die beste Leistung bringen.

Was ist Ihnen aktuell wichtiger?

Görlich: Wir beschäftigen uns mit Themen wie Exekutiv-Funktionen, Handlungsschnelligkeit, mentaler Ermüdung oder Belastungs- und Beanspruchungs-Monitoring. Wir fangen an, Sensoren am Körper einzusetzen, um die Beschleunigung zu messen. Das wird in den nächsten fünf Jahren einen ganz hohen Stellenwert haben, und wir möchten da unsere Vorreiterposition im internationalen Vergleich ausbauen. Wir arbeiten mit dem Deutschen Fußball-Bund und mit 15 Universitäten zusammen. Insgesamt sind wir bei der technologischen Entwicklung im Sport noch lange nicht am Ende angekommen.

Was kommt als Nächstes?

Görlich: Wir werden uns im Sommer weiter mit mobilen Bewegtbildquellen beschäftigen, damit wir im Training überall sofort Videoanalysen zeigen können. Und wir werden in den nächsten zwei Jahren unsere Player Analytics vorantreiben. Wir stellen fest, dass wir zwar viele Einzeldaten von Spielern haben, aber wir brauchen weitere Erkenntnisse im mannschafts-taktischen Bereich.

Wohin schauen Sie, wenn sie sich in Hoffenheim inspirieren lassen?

Görlich: Wir beobachten andere High-Tech-Regionen und schauen, was andere Sportarten machen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Im Rugby gibt es schon seit Jahren einen Technical Coach und auch die Entwicklungen im US-Markt sind spannend. Aber wir gucken auch, was in Start-Up-Regionen wie Tel-Aviv passiert. Und wir scheuen uns nicht, mit Forschungseinrichtungen aus der Medizin oder der Industrie zu diskutieren. Denn es ist im Sport und der Industrie wichtig neue Wege zu gehen.

Herr Dr. Görlich, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte der geschätzte Benjamin Quiram.

Foto: Getty Images / South_agency