Digitale Exzellenz
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Verantwortung im digitalen Staat – Wie die Umsetzung des Koalitionsvertrages Deutschlands Souveränität stärken kann

, 10. April 2025

Lesezeit: 5 Minuten

Verantwortung im digitalen Staat – Wie die Umsetzung des Koalitionsvertrages Deutschlands Souveränität stärken kann

Verantwortung für Deutschland – so lautet der Titel des Koalitionsvertrags von CDU/CSU und SPD. Ein digital souveränes Deutschland, eine antragslose, KI-gestützte Verwaltung, ein interoperabler Deutschland-Stack – ambitionierte Leitplanken für die Staatsmodernisierung Deutschlands. 

Ronald de Jonge, Head of Public Sector bei Sopra Steria, erklärt im Interview, wie ein Steuerungsmodell genau hier ansetzt: als strategischer Ordnungsrahmen, der Verwaltung radikal nutzerzentriert und souverän denkt. Neue Wege denken, Verantwortung leben und Technologien zusammenführen – Deutschland im Aufbruch zu einem handlungsfähigen Staat. 

 

Herr de Jonge, der Koalitionsvertrag spricht vom Anspruch, „Verantwortung für Deutschland“ zu übernehmen. Was bedeutet Verantwortung für Sie im digitalen Staat? 

Ronald de Jonge: Verantwortung im digitalen Staat heißt für mich vor allem: handlungsfähig bleiben. Angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels steht unsere Verwaltung unter erheblichem Druck.  Bis 2050 wird es etwa 5 Millionen mehr Seniorinnen und Senioren geben, und in den nächsten 20 Jahren werden voraussichtlich 1 Million weniger Beschäftigte im öffentlichen Dienst arbeiten. Wenn wir in 20 Jahren eine Verwaltung wollen, die mehr ist als ein Reaktionsorgan, müssen wir heute in ihre strategische Handlungsfähigkeit investieren. Verantwortung bedeutet also: nicht nur Probleme zu verwalten, sondern Zukunft aktiv zu gestalten – technologisch, organisatorisch, ethisch. 

 

Welche Möglichkeiten gibt es, die angesprochene Handlungsfähigkeit zu sichern? 

Ronald de Jonge: Ein Konzept ist „Government-as-Software“. Wie Lars Zimmermann im GovTech Intelligence Hub des World Economic Forum treffend beschreibt, meint „Government-as-Software“, dass der Staat sich nicht länger als Betreiber einzelner IT-Systeme versteht, sondern als Anbieter digitaler Services – mit derselben Dynamik und Nutzerzentrierung, wie man es aus der Tech-Welt kennt. Es geht nicht nur um Digitalisierung, sondern um echte Transformation: KI-gestützte Entscheidungen, automatisierte Prozesse und interoperable Infrastrukturen, die auf Effizienz UND Werte ausgerichtet sind, werden den Unterschied machen. Kurzum – es geht um den direkten Sprung zu KI-gestützten, ergebnisorientierten öffentlichen Diensten, anstatt uns in der so genannten „Schildkrötenmentalität” einer eher langsamen Digitalisierung des Bestandes zu verlieren. 

 

Der Koalitionsvertrag nennt Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung als Schlüsselpunkte. Klingt gut – aber wo klemmt es konkret?

Ronald de Jonge: In der Umsetzung. Wir denken noch zu oft in Projekten, nicht in Plattformen. Wir digitalisieren Formulare, statt Prozesse zu automatisieren. Und wir beschaffen Technologie, ohne durchgängig und systematisch auf offene Standards und Souveränität zu achten. Was fehlt, ist ein strategischer Blick auf digitale Resilienz, auf operative Steuerungsfähigkeit. Genau das fordert auch unser moderner Souveränitätsbegriff: Souverän ist, wer auch in der Krise entscheiden und steuern kann. Hierzu haben wir kürzlich ein Positionspapier veröffentlicht, das Souveränität in aktuellen Krisenzeiten neu justiert. 

 

Wie gelingt aus Ihrer Sicht der Übergang von Verantwortung auf dem Papier zu gelebter Verantwortung im Alltag der Verwaltung? 

Ronald de Jonge: Es braucht klare Governance, Neugierde und verantwortungsvolle Führung. Wir brauchen zum Beispiel zentrale Steuerungseinheiten – hier finden wir ja nun mit dem Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung ein folgerichtiges Lösungskonzept. Und schlussendlich brauchen wir Regeln: für KI-Nutzung, für Datenethik, für Beschaffung. Souveränität entsteht nicht zufällig, sie muss gestaltet werden – durch bewusstes Management von Abhängigkeiten, Kooperation und Kompetenzaufbau. 

 

Welche Rolle spielt KI bei dieser Transformation?

Ronald de Jonge: Eine zentrale. KI ist nicht nur ein Werkzeug zur Effizienzsteigerung, sie verändert die Spielregeln. Sie kann bis zu 50 Prozent der heutigen Verwaltungsprozesse übernehmen – wenn wir sie richtig einsetzen. Das entlastet Fachkräfte, schafft neue Spielräume und erhöht die Reaktionsfähigkeit. Wichtig ist aber: KI muss fair, nachvollziehbar und ethisch eingesetzt werden. „Human-in-the-Loop“ ist keine Option, sondern Voraussetzung für Vertrauen. 

 

Der Begriff „digitale Souveränität“ wird zunehmend politisch verwendet. Worin unterscheidet sich Ihr Verständnis davon? 

Ronald de Jonge: Viele setzen digitale Souveränität mit technologischer Autarkie gleich. Ich sehe das differenzierter. Es geht nicht darum, alles selbst zu machen, sondern um intelligentes Management von Abhängigkeiten. Also: Wo brauchen wir eigene Fähigkeiten? Wo sind Partnerschaften klüger? Und wo müssen wir Standards setzen, um die Kontrolle zu behalten? Kurz: Souveränität heißt nicht „abschotten“, sondern „strategisch gestalten“. 

 

In Ihrem Positionspapier schlagen Sie fünf Designprinzipien von Souveränität vor. Wie stellen sich diese dar? 

Ronald de Jonge: Die von uns identifizierten Prinzipien bilden das Fundament eines strategisch handlungsfähigen Staates im digitalen Zeitalter. 

  • Fähigkeiten: Government-as-Software schafft durch KI-gestützte Analysen und agile Strukturen die nötige Flexibilität, um auf Veränderungen schnell und vorausschauend zu reagieren. 
  • Wissen: Interoperable Systeme und Datenaustausch gemäß Digital Public Infrastructure ermöglichen fundierte Entscheidungen und machen staatliches Handeln durch transparente KI nachvollziehbar. 
  • Technologie: KI und Cloud steigern die Effizienz, entlasten durch Automatisierung die Verwaltung und stärken durch offene Standards die Unabhängigkeit und Innovationskraft. 
  • Digitale Steuerung: Ethische Leitlinien, „Human-in-the-Loop“-Ansätze und transparente Algorithmen sichern den wertebasierten Einsatz von Technologie und verhindern Machtmissbrauch. 
  • Resilienter Betrieb: Eine robuste, sichere digitale Infrastruktur und hohe Reaktionsfähigkeit in Echtzeit erhöhen Ausfallsicherheit und schützen Vertrauen sowie Daten – wie Beispiele aus Estland oder Singapur zeigen. 

 

Abschließend, wie lautet Ihr Appell an die Politik – über den Koalitionsvertrag hinaus? 

Ronald de Jonge: Mut! Mut zur Klarheit, Mut zur Priorisierung. Verantwortung in diesen Zeiten zu übernehmen heißt: nicht alles ein bisschen, sondern einige Dinge richtig. Digitalisierung darf nicht länger als IT-Frage behandelt werden, sondern muss Chefsache sein – politisch wie administrativ. Wenn wir die digitale Zukunft gestalten wollen, müssen wir alle heute souverän handeln – Politik, Verwaltung aber auch Dienstleister wie wir. Die gute Nachricht ist: Die Werkzeuge sind da. Wir müssen sie nur konsequent einsetzen.