Künstliche Intelligenz (KI) kann in Zeiten des Fachkräftemangels eine erhebliche Entlastung darstellen. Das Potenzial ist erkannt, bei der Umsetzung kommen viele Unternehmen und Behörden allerdings nicht über KI-Pilotprojekte hinaus. Dr. Bernd Peper von Sopra Steria Next zeigt im Interview, woran das liegt und wie eine KI-Transformation auch dauerhaft Früchte trägt.
Was sind die größten Hürden bei der Einführung von KI?
Dr. Bernd Peper: Die Herausforderungen sind vielfältig: Vor allem fehlt es überall an Expertise und Erfahrung in der Identifikation und der Umsetzung von KI-Projekten. Darüber hinaus gibt es noch keine klaren Konzepte oder Blaupausen, an denen sich Unternehmen und Behörden bei der Umsetzung orientieren können. Hinzu kommt, dass die Integration von KI in bestehende Geschäftsprozesse und IT-Systeme erfolgskritisch, aber oft komplex und ressourcenintensiv ist. Und nicht zuletzt fehlt es häufig an einer geeigneten Datenstrategie, an qualitativ hochwertigen Daten und einer geeigneten Dateninfrastruktur, um KI-Modelle erfolgreich trainieren und betreiben zu können.
Wie können die notwendigen Grundlagen geschaffen werden?
Dr. Bernd Peper: Wenn sich Unternehmen und Behörden erstmals mit dem Einsatz von KI beschäftigen, ist es wichtig, einen sogenannten Nukleus zu bilden. Das bedeutet, dass eine begrenzte Anzahl von Expertinnen und Experten in der Organisation in einer zentralen Einheit gebündelt wird. Die KI-Fachleute führen erste Projekte durch. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Organisation zurück. So wird der Grundstein für eine breite Verankerung gelegt. Besonders wichtig ist es, bereits in dieser Phase Projekte gemeinsam mit den Geschäftsbereichen auszuwählen und umzusetzen. Gleichzeitig sollten bestehende Strukturen und Prozesse für alle übergreifenden Managementaufgaben genutzt werden, etwa für das Portfoliomanagement oder das Risikomanagement. Der Nukleus ist somit das Kompetenzzentrum der Organisation und dient nicht nur der Bewältigung erster Herausforderungen, sondern der kontinuierlichen Verbesserung des KI-Reifegrads der Organisation. Die wesentlichen Grundlagen für den Einsatz von KI sollten in einer KI-Guidance formuliert und fortgeschrieben werden.
Klein anfangen, groß denken – eine zentrale Einheit verbessert den KI-Reifegrad der Organisation
Gibt es ein Beispiel, wo das bereits gelungen ist?
Dr. Bernd Peper: Ein Beispiel ist das KI-Kompetenzzentrum der DB Fernverkehr, das 2022 gegründet wurde. Das Zentrum hat eine kohärente KI-Strategie entwickelt und eine zentrale Governance etabliert, um Ressourcen optimal zu nutzen. Seit der Gründung wurden mehr als 200 KI-Themen bewertet und priorisiert. Mehrere Projekte wurden erfolgreich umgesetzt und weiterentwickelt, darunter auch die Feedback-Plattform Railmate. Die Plattform verarbeitet jährlich 3,2 Millionen Rückmeldungen von Reisenden digital und vollautomatisch und trägt so zu einem besseren Kundenservice und mehr Effizienz bei.
Welche Schritte sind über die Bildung eines Nukleus hinaus noch wichtig, um die gesamte Organisation in die KI-Transformation einzubinden?
Dr. Bernd Peper: Für eine nachhaltige Transformation müssen Unternehmen, aber auch Behörden eine ganze Reihe von Maßnahmen ergreifen, um die gesamte Organisation sukzessive in die Transformation einzubinden. Zunächst sollten sie eine klare KI-Strategie entwickeln, die eng mit der Organisationsstrategie verknüpft ist. Diese Strategie muss realistische Ziele, Anwendungscluster und die Rahmenbedingungen für die Umsetzung definieren. Damit verbunden ist auch die Schaffung einer KI-Vision und -Ambition, die alle Geschäftsbereiche einbezieht und die Grundlage für die Schaffung der notwendigen Strukturen für eine organisationsweite Umsetzung bildet.
In diesem Zusammenhang sind dann KI-spezifische Themenfelder zu gestalten. So sind beispielsweise Datenschutz und Compliance sicherzustellen, geeignete Plattformen und Tools auszuwählen sowie Data-Governance-Standards zu etablieren. Darüber hinaus spielen die kontinuierliche Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden und die Etablierung einer gemeinsamen KI-Kultur eine zentrale Rolle für eine erfolgreiche Transformation. Und nicht zuletzt müssen kontinuierlich wertschöpfende Anwendungsfälle identifiziert und umgesetzt werden.
Die Vielfalt dieser Aufgaben zeigt, dass nicht alle in der zentralen Einheit gelöst werden können, sondern ein großer Teil auch dezentral angegangen oder in der Zusammenarbeit zwischen dem Kompetenzzentrum und den Fachbereichen gelöst und von Anfang an mitgedacht werden muss.
(Quelle: 12minutes.me: “KI trifft Organisation“)
Ist die Umsetzung in der herkömmlichen, funktionsorientierten Organisationsstruktur möglich?
Dr. Bernd Peper: Für die erste Phase, den Aufbau des Nukleus, sind keine großen Veränderungen der Organisationsstruktur notwendig. Wenn später mit zunehmendem KI-Reifegrad Plattformen, Standards und Regelwerke gemeinsam genutzt werden, beginnt die zweite Phase: die Skalierung. Hier stoßen viele Unternehmen und Behörden mit einem funktionsorientierten Aufbau an ihre Grenzen und müssen deshalb rechtzeitig die Entscheidung für eine Reorganisation hin zu einer produktorientierten Organisation treffen.
Was sind die Vorteile einer Reorganisation?
Dr. Bernd Peper: In einer produktorientierten Organisation sind die Expertinnen und Experten direkt in die Produktteams integriert. Ihr Know-how fließt unmittelbar in die Entwicklung ein. Entscheidungen werden schneller getroffen. Das führt zu weniger Reibungsverlusten und mehr Effizienz. Außerdem ist eine produktorientierte Organisation flexibler und kann besser auf dynamische Marktanforderungen reagieren. Ein erster Schritt hin zu einer produktorientierten Struktur ist die Bildung crossfunktionaler Produktteams. Diese Teams setzen sich aus Fachleuten unterschiedlicher Bereiche zusammen, um eine ganzheitliche Sichtweise zu gewährleisten. Ein Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung dieser Struktur ist die Bundesagentur für Arbeit. Es zeigt, dass eine Reorganisation erhebliche Vorteile bringen kann, wenn die neue Struktur sorgfältig und schrittweise umgesetzt wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Claudia Brüggen-Freye (PER Agency für Digitale Exzellenz).